"Vorsicht: Rutschgefahr!" - So möchte man warnen, nach dem Blick auf die Titelliste der neuen CD von Klarinettistin Sharon Kam und ihrem langjährigen Klavierbegleiter Itamar Golan. Denn diese neue CD versammelt unter der Überschrift "Souvenirs" kurze Kompositionen, die schnell zu Schmachtfetzen geraten können: angefangen bei Massenets Tränendrüsendrücker "Méditation", über Elgars "Salut d'amour" bis hin zu Tschaikowskys "Valse sentimentale".
Aber - weit gefehlt! Aus der neuen CD des Duos trieft es nicht: Kein Schmalz, kein Fett, keine zuckersüße Glasur. Mit der neuen Platte aus dem Hause Berlin Classics begibt man sich keineswegs auf eine gefühlsduselige Rutschpartie, sondern auf eine gut einstündige musikalische Reise mit Halt in Lateinamerika, in Wien, Paris und Andalusien.
Enrique Granados: 'Andaluza' aus 'Danzas espanolas', op. 37 Nr. 5
Dass von allen Blasinstrumenten die Klarinette mit ihrer klanglichen Präsenz der menschlichen Stimme am nächsten kommt, ist fast schon eine Binsenweisheit, die jeder, der sich seit dem 18. Jahrhundert zum Klang der Klarinette geäußert hat, so oder zumindest so ähnlich formuliert hat.
Aber - auch das ist eine Binsenweisheit: Nicht jede menschliche Stimme klingt gleich. So haben hellhörige Klarinettenpädagogen beobachtet, dass sich die Muttersprache des Musikers unmittelbar auf die Klangformung und Klangfarbe auswirkt: Wer etwa von klein auf als musikalischer Franzose überwiegend nasale Vokale gehört und im Mund selbst geformt hat, wird auch bei der nicht-verbalen, der musikalischen Kommunikation diesem Klang nacheifern. Somit klingt der Klarinettenton eines ooo-aw- und eee-sozialisierten Briten anders als der einer on-in-an-trainierten Klarinettistin aus Frankreich.
Zurück aber zu Sharon Kam: Sie ist ein Sprachenwunder. Nicht nur im wahren Leben wechselt die gebürtige Israelin, die lange Zeit in New York studiert hat und seit mehr als zehn Jahren in Hannover wohnt, behände zwischen hebräisch, englisch und deutsch. Sondern auch musikalisch weiß sie in den verschiedensten Sprachen zu kommunizieren und sich offensichtlich frei zu machen von frühkindlicher Klangprägung. Von genau dieser Flexibilität lebt ihre neueste CD. Sharon Kam wechselt von einem Idiom zum nächsten, lässt ihr Instrument bei Fritz Kreislers beschwingten Alt-Wiener Tanzweisen ganz anders klingen als etwa bei dem innigen "Gebet" von Ernest Bloch.
Ernest Bloch: 'Prayer' aus 'Jewish Life'
Als "Citizen of the World", als Weltbürgerin, hat sich die heute 37-Jährige Sharon Kam einmal bezeichnet - und ein ebenbürtiger Weltbürger steht ihr auf ihrer neuen CD zur Seite: Nicht zum ersten Mal wird sie von dem in Litauen geborenen, aber in Israel aufgewachsenen Pianisten Itamar Golan begleitet. Wie Sharon Kam hat auch er sich - bei aller Internationalität - keine universelle Spielweise angeeignet. In einem Interview mit dem Klaviermagazin PIANO NEWS sprach Itamar Golan im Frühjahr dieses Jahres von einer "Interpretationskultur": Man müsse als guter Musiker, sagt er, Komponisten, Stile, Klangvorstellungen richtig unterscheiden können.
Auch bei Itamar Golan kommen treffsichere Urteilskraft und größtmögliche Flexibilität zusammen und erklären, warum er einer der gefragtesten Klavierbegleiter überhaupt ist. Streicherstars wie Maxim Vengerov, Mischa Maisky und Julian Rachlin verlangen nach ihm, der sein Wissen und Können als Professor für "Musique de chambre" am renommierten Pariser Konservatorium weitergibt.
Ein passionierter Kammermusiker also, der mit seiner Bereitschaft zu begleiten und nicht die sprichwörtliche erste Geige zu spielen, ganz vorne mit dabei ist.
Edward Elgar: Salut d'amour
Edward Elgars "Salut d'amour", der Liebesgruß. Auf der neuen CD von Sharon Kam und Itamar Golan in der Fassung für Klarinette und Klavier. Natürlich mussten die Musiker auf Bearbeitungen zurückgreifen.
Die "Petit Fours", die die beiden auf einem Silbertablett präsentieren, sind meist im Original für Violine und Klavier oder Violine und Orchester komponiert. Endlose Melodien kann ein Geigenbogen schaffen, ohne nur ein einziges Mal absetzen zu müssen. Doch auch der längste Klarinettistinnenatem ist endlich. Und Sharon Kam macht keinen Hehl daraus, entscheidet sich gegen die Zirkularatmung, lässt Atemgeräusche auch auf dieser klanglich wie interpretatorisch nahezu perfekten CD-Einspielung zu. Das ist sympathisch und verhindert gleichzeitig, dass etwa bei einem so heiklen, weil schlichtweg überstrapazierten Stück wie der "Méditation" von Jules Massenets ein allzu glatter, ein unnatürlicher Eindruck entsteht.
Jules Massenet: 'Méditation' aus 'Thaïs'
Sharon Kam und Itamar Golan haben hoch gepokert, sind ein Risiko eingegangen, ihr neues Album "Souvenirs" gleich mit einem Schmachtfetzen-Schwergewicht wie Massenets "Méditation" zu beginnen. Und vielleicht werden sie den einen oder anderen Hörer, der sich in Werbung und Liebesfilmen daran überhört hat, deswegen nicht für sich gewinnen können. Ohnehin ist es ein Wagnis, all diese musikalischen Kalorienbomben auf einer CD zusammenzubringen. Aber ein Experiment, das aufgegangen ist! Denn in keiner der 64 Musikminuten kommt der Moment, in dem man es über hat, in dem man von musikalischer Emotionalität erdrückt wird. Sharon Kam und Itamar Golan sind von billiger Effekthascherei und musikalischer Gefühlsduselei so weit entfernt, wie man es bei diesem dafür anfälligen, weil vermeintlich seichten Repertoire nur sein kann.
Wer Sharon Kam einmal bei der musikalischen Arbeit beobachten durfte - leidenschaftlich, konsequent und im besten Sinne des Wortes ernsthaft ist sie bei der Sache - der kann sich vorstellen, wie sie jemandem, der der Musikauswahl ihrer neuen CD zunächst skeptisch begegnet, eine Wette anbietet: "Hör's Dir an! Lass Dich drauf ein! Und ich möchte wetten, dass es Dir nachher gefällt!" Und genau so ist es!
Fritz Kreisler: Schön Rosmarin
Die Klarinettistin Sharon Kam und der Pianist Itamar Golan tragen auf ihrer neuen CD mit dem Titel "Souvenirs" häufig gehörte Mitbringsel der Musikgeschichte zusammen - und beeindrucken zutiefst durch engagiertes, aber nicht überladenes Spiel. Misstrauisch zu Beginn, verabschiedet sich jetzt restlos begeistert Maja Ellmenreich.
Aber - weit gefehlt! Aus der neuen CD des Duos trieft es nicht: Kein Schmalz, kein Fett, keine zuckersüße Glasur. Mit der neuen Platte aus dem Hause Berlin Classics begibt man sich keineswegs auf eine gefühlsduselige Rutschpartie, sondern auf eine gut einstündige musikalische Reise mit Halt in Lateinamerika, in Wien, Paris und Andalusien.
Enrique Granados: 'Andaluza' aus 'Danzas espanolas', op. 37 Nr. 5
Dass von allen Blasinstrumenten die Klarinette mit ihrer klanglichen Präsenz der menschlichen Stimme am nächsten kommt, ist fast schon eine Binsenweisheit, die jeder, der sich seit dem 18. Jahrhundert zum Klang der Klarinette geäußert hat, so oder zumindest so ähnlich formuliert hat.
Aber - auch das ist eine Binsenweisheit: Nicht jede menschliche Stimme klingt gleich. So haben hellhörige Klarinettenpädagogen beobachtet, dass sich die Muttersprache des Musikers unmittelbar auf die Klangformung und Klangfarbe auswirkt: Wer etwa von klein auf als musikalischer Franzose überwiegend nasale Vokale gehört und im Mund selbst geformt hat, wird auch bei der nicht-verbalen, der musikalischen Kommunikation diesem Klang nacheifern. Somit klingt der Klarinettenton eines ooo-aw- und eee-sozialisierten Briten anders als der einer on-in-an-trainierten Klarinettistin aus Frankreich.
Zurück aber zu Sharon Kam: Sie ist ein Sprachenwunder. Nicht nur im wahren Leben wechselt die gebürtige Israelin, die lange Zeit in New York studiert hat und seit mehr als zehn Jahren in Hannover wohnt, behände zwischen hebräisch, englisch und deutsch. Sondern auch musikalisch weiß sie in den verschiedensten Sprachen zu kommunizieren und sich offensichtlich frei zu machen von frühkindlicher Klangprägung. Von genau dieser Flexibilität lebt ihre neueste CD. Sharon Kam wechselt von einem Idiom zum nächsten, lässt ihr Instrument bei Fritz Kreislers beschwingten Alt-Wiener Tanzweisen ganz anders klingen als etwa bei dem innigen "Gebet" von Ernest Bloch.
Ernest Bloch: 'Prayer' aus 'Jewish Life'
Als "Citizen of the World", als Weltbürgerin, hat sich die heute 37-Jährige Sharon Kam einmal bezeichnet - und ein ebenbürtiger Weltbürger steht ihr auf ihrer neuen CD zur Seite: Nicht zum ersten Mal wird sie von dem in Litauen geborenen, aber in Israel aufgewachsenen Pianisten Itamar Golan begleitet. Wie Sharon Kam hat auch er sich - bei aller Internationalität - keine universelle Spielweise angeeignet. In einem Interview mit dem Klaviermagazin PIANO NEWS sprach Itamar Golan im Frühjahr dieses Jahres von einer "Interpretationskultur": Man müsse als guter Musiker, sagt er, Komponisten, Stile, Klangvorstellungen richtig unterscheiden können.
Auch bei Itamar Golan kommen treffsichere Urteilskraft und größtmögliche Flexibilität zusammen und erklären, warum er einer der gefragtesten Klavierbegleiter überhaupt ist. Streicherstars wie Maxim Vengerov, Mischa Maisky und Julian Rachlin verlangen nach ihm, der sein Wissen und Können als Professor für "Musique de chambre" am renommierten Pariser Konservatorium weitergibt.
Ein passionierter Kammermusiker also, der mit seiner Bereitschaft zu begleiten und nicht die sprichwörtliche erste Geige zu spielen, ganz vorne mit dabei ist.
Edward Elgar: Salut d'amour
Edward Elgars "Salut d'amour", der Liebesgruß. Auf der neuen CD von Sharon Kam und Itamar Golan in der Fassung für Klarinette und Klavier. Natürlich mussten die Musiker auf Bearbeitungen zurückgreifen.
Die "Petit Fours", die die beiden auf einem Silbertablett präsentieren, sind meist im Original für Violine und Klavier oder Violine und Orchester komponiert. Endlose Melodien kann ein Geigenbogen schaffen, ohne nur ein einziges Mal absetzen zu müssen. Doch auch der längste Klarinettistinnenatem ist endlich. Und Sharon Kam macht keinen Hehl daraus, entscheidet sich gegen die Zirkularatmung, lässt Atemgeräusche auch auf dieser klanglich wie interpretatorisch nahezu perfekten CD-Einspielung zu. Das ist sympathisch und verhindert gleichzeitig, dass etwa bei einem so heiklen, weil schlichtweg überstrapazierten Stück wie der "Méditation" von Jules Massenets ein allzu glatter, ein unnatürlicher Eindruck entsteht.
Jules Massenet: 'Méditation' aus 'Thaïs'
Sharon Kam und Itamar Golan haben hoch gepokert, sind ein Risiko eingegangen, ihr neues Album "Souvenirs" gleich mit einem Schmachtfetzen-Schwergewicht wie Massenets "Méditation" zu beginnen. Und vielleicht werden sie den einen oder anderen Hörer, der sich in Werbung und Liebesfilmen daran überhört hat, deswegen nicht für sich gewinnen können. Ohnehin ist es ein Wagnis, all diese musikalischen Kalorienbomben auf einer CD zusammenzubringen. Aber ein Experiment, das aufgegangen ist! Denn in keiner der 64 Musikminuten kommt der Moment, in dem man es über hat, in dem man von musikalischer Emotionalität erdrückt wird. Sharon Kam und Itamar Golan sind von billiger Effekthascherei und musikalischer Gefühlsduselei so weit entfernt, wie man es bei diesem dafür anfälligen, weil vermeintlich seichten Repertoire nur sein kann.
Wer Sharon Kam einmal bei der musikalischen Arbeit beobachten durfte - leidenschaftlich, konsequent und im besten Sinne des Wortes ernsthaft ist sie bei der Sache - der kann sich vorstellen, wie sie jemandem, der der Musikauswahl ihrer neuen CD zunächst skeptisch begegnet, eine Wette anbietet: "Hör's Dir an! Lass Dich drauf ein! Und ich möchte wetten, dass es Dir nachher gefällt!" Und genau so ist es!
Fritz Kreisler: Schön Rosmarin
Die Klarinettistin Sharon Kam und der Pianist Itamar Golan tragen auf ihrer neuen CD mit dem Titel "Souvenirs" häufig gehörte Mitbringsel der Musikgeschichte zusammen - und beeindrucken zutiefst durch engagiertes, aber nicht überladenes Spiel. Misstrauisch zu Beginn, verabschiedet sich jetzt restlos begeistert Maja Ellmenreich.