Es ist ein Gesetz, das tiefgreifende weltweite Themen betrifft: Ausbeutung und Kinderarbeit in der globalisierten Wirtschaft, Einhaltung von Sicherheits-, Arbeitsschutz- oder Menschenrechts-Standards, aber auch um Umweltschutz. Schon seit längerem drängten Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf eine gesetzliche Regelung, die deutsche Unternehmen verpflichten soll, auch bei ihren ausländischen Lieferanten die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards zu verfolgen. Das Wirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) hatte das Vorhaben jedoch lange abgelehnt. Mitte Mai war ein Kompromissentwurf kurz vor der Abstimmung im Bundestag von der Tagesordnung genommen worden, weil es noch Klärungsbedarf zur Unternehmenshaftung gab.
Welche Hoffnungen weckt das Lieferkettengesetz in Bangladesch?
Mutterschutz, Überstunden-Regelungen, bessere Arbeitsbedingungen - die Erwartungen von Beschäftigten und Aktivistinnen an die Wirkung des deutschen Gesetzes sind groß.
Am 27. Mai 2021 einigten sich Union und SPD dann auf ein Lieferkettengesetz. Eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen ist nun aber nach Kritik der Union explizit ausgeschlossen. Am 11. Juni 2021 verabschiedete der Bundestag das Gesetz. In namentlicher Abstimmung votierten 412 Abgeordnete für das Gesetz, 159 dagegen, 59 enthielten sich. In zweiter Lesung hatten Union, SPD und die Grünen für das Lieferkettengesetz gestimmt. Die Linke enthielt sich, AfD und FDP stimmten dagegen.
Kritisch über das Gesetz äußern sich sowohl Entwicklungs- und Umweltorganisationen als auch Wirtschaftsvertreter.
- Welche Regelungen stehen im Gesetz?
- Für wen soll das Lieferkettengesetz gelten?
- Ab wann gilt das Lieferkettengesetz?
- Welche Überlegungen stehen hinter dem Lieferkettengesetz?
- Wie bewerten die zuständigen Minister ihren Kompromiss?
- Wie reagiert die Wirtschaft auf das Gesetz?
- Was sagen Umweltschutzverbände und andere NGOs?
- Strenger als die deutschen Regelungen: das Lieferkettengesetz der EU
Das Gesetz soll Unternehmen dazu verpflichten, menschenrechtliche Standards in ihren Lieferketten einzuhalten. Die Verantwortung der Unternehmen soll sich, abgestuft nach Einflussmöglichkeiten, auf die gesamte Lieferkette erstrecken. So sollen Unternehmen die Pflichten in ihrem eigenen Geschäftsbereich und bei ihren unmittelbaren Zulieferern umsetzen. Unternehmen sollen verpflichtet werden, eine menschenrechtliche Risikoanalyse vorzunehmen. Dabei soll es eine "abgestufte Verantwortung" für den Weg vom Endprodukt zurück zum Rohstoff geben.
"Die künftigen Verpflichtungen sollen sich eben nicht nur auf den eigenen Geschäftsbereich sowie die unmittelbaren Zulieferer der Unternehmen erstrecken", sagt Deutschlandfunk-Hauptstadt-Korrespondent Volker Finthammer. "Auch mittelbare Zulieferer sollen ebenfalls einbezogen werden, sobald das Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen in seinem Bereich Kenntnis erhält."
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) soll überwachen, dass die Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Zudem bekommen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Möglichkeit, bei Menschenrechtsverletzungen und Schäden durch Umweltverschmutzung durch ausländische Zulieferer vor deutschen Gerichten zu klagen – wenn die Betroffenen zustimmen. Das ist neu: Bisher konnten nur Geschädigte selbst klagen, was aber in der Praxis an den Lebensumständen scheiterte.
Bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflicht kann die Bafa Bußgelder verhängen. Bei Verfehlungen drohen Bußgelder von bis zu zwei Prozent des jährlichen Umsatzes.
Eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen, wie von Müller vorgeschlagen, wird es dagegen nicht geben. Das hatten Altmaier und Wirtschaftsvertreter abgelehnt. Wirtschaftsverbände hatten argumentiert, eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland, die dort eigenen gesetzlichen Regelungen unterliegen, sei realitätsfern. Steffen Kampeter, der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, hatte im Dlf vor unüberschaubaren Haftungsrisiken für deutsche Unternehmen gewarnt.
Gelten wird das Gesetz zunächst nur für große Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Laut Statistik gibt es in Deutschland rund 2890 Unternehmen mit 1000 oder mehr Beschäftigten. Kleinere mittelständische Unternehmen sind nicht betroffen.
In einem zweiten Schritt soll der Geltungsbereich des Gesetzes dann auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigte ausgedehnt werden, das sind knapp 3.000.
Mittelständische Unternehmen fielen somit nicht in den Anwendungsbereich, betonte Altmaier.
Wegen der Belastungen durch die Corona-Pandemie tritt es erst 2023 in Kraft und zunächst auch nur für die großen Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten sollen erst ab 2024 in die Pflicht genommen werden.
Unternehmen produzieren global in vielen verschiedenen Ländern, und nicht immer werden dabei grundlegende Sicherheits-, Arbeitsschutz- oder Menschenrechts-Standards eingehalten. "Das zeigt sich dann beispielsweise, wenn der mangelnde Brandschutz in einer Kik-Zulieferfabrik in Pakistan zum Tod von 258 Menschen führt. Oder wenn ein Damm bricht in einer brasilianischen Eisenerzmine und ebenfalls viele Menschen sterben", sagt Johanna Kusch von der Initiative "Lieferkettengesetz".
Das waren die Gründe, warum Entwicklungsminister Müller ein solches Gesetz schon seit langem auf den Weg bringen wollte: "Unsere Jeans werden in Bangladesch produziert, unsere Turnschuhe und vieles mehr. Aber dort werden sie von Menschen produziert, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen. Es ist unerträglich, dass wir, die reichen Industriestaaten, solche Zustände dulden und erlauben in unserem globalen Lieferketten."
Das jetzt vorgesehene Gesetz geht zurück auf die UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten von 2011. Daraufhin hat Deutschland 2016 den "Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte" (NAP) beschlossen, der auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD bekräftigt wird. Dieser sah vor: Wenn sich bis 2020 herausstellt, dass weniger als die Hälfte der großen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, sollen "weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen" geprüft werden. Ein Monitoring der Bundesregierung hatte gezeigt: Nicht einmal ein Fünftel aller in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten erfüllte die Anforderungen hinreichend.
Auch Wissenschaftler unterstreichen daher die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. Wie etwa Carsten Momsen, Experte für Wirtschafts- und Umweltstrafrecht an der Freien Universität Berlin: "Die günstigen Produktionskosten resultieren natürlich daher, dass da die Standards gerade im Bereich Menschenrechtsschutz in der Regel niedriger sind als bei uns. Von daher denke ich, dass es doch eine gerechte Kosten- und Ertrags-Verteilung global ist, wenn deutsche Unternehmen global verpflichtet werden, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, für die Einhaltung europäischer oder westlicher Menschenrechtsstandards auch dort zu sorgen."
Befürworter des Lieferkettengesetzes erwarten zudem, dass mit diesem auch Initiativen in den jeweiligen Ländern gestärkt werden, die für bessere Arbeits-, Umwelt- oder Menschenrechtsstandards kämpfen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bezeichnete das Gesetz als "Meilenstein" und sprach im Bundestag von einem "wichtigen Tag für Menschenrechte" und im Kampf gegen Kinderarbeit. Das Gesetz, über das lange diskutiert und um das "hart gerungen" worden sei, setze wichtige Standards, sagte Heil. Unternehmen, die sich nicht um ihre Lieferketten kümmerten, dürften "keinen Wettbewerbsvorteil" gegenüber denjenigen haben, die dies täten.
Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) betonte, das Gesetz sei gegen starken Lobbydruck zustande gekommen.
Arbeitgeber und Industrie kritisierten das Lieferkettengesetz bereits seit Monaten als nationalen Alleingang. Laut Ifo-Institut erwarten Unternehmer zudem mehr bürokratischen Aufwand. Viele Unternehmen zweifelten an der praktischen Durchsetzbarkeit, Produktionsstandards bei ihren Zulieferern effektiv zu kontrollieren, und befürchteten juristische Haftungsrisiken, teilte das Institut nach einer Umfrage unter 7000 Unternehmen mit.
"Vor allem in der Industrie geben 43 Prozent der teilnehmenden Unternehmen an, negative Auswirkungen durch Erhöhung der Bürokratie oder des Dokumentationsaufwandes zu erwarten, gefolgt vom Großhandel", sagte die Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, Lisandra Flach.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sieht viele Unternehmen wegen ihrer globalen Lieferketten und wegen des internationalen Wettbewerbs vor große Herausforderungen gestellt. Der BDI forderte, dass sich die Bundesregierung nun auch für ein Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene stark machen müsse.
Das Gesetz sei überflüssig, urteilte Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger. Es sei davon auszugehen, dass die Pflichten an kleine und mittelständische Zulieferer weitergereicht würden. "Die schlimmsten Fehler" des Sorgfaltspflichtengesetzes seien zwar ausgemerzt worden, erklärte der Verband der Maschinenbauer (VDMA), doch auch der Kompromiss werde für die Unternehmen "spürbar mehr Bürokratie und Belastung" darstellen.
Der Chemieverband VCI monierte, das Vorhaben gehe in die falsche Richtung. Der deutsche Alleingang führe zu einem Flickenteppich.
Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, warnte, das Gesetz belaste die Falschen, wenn es auf deutsche Unternehmen abziele. "Besser wäre es, ein Fehlverhalten ausländischer Unternehmen direkt mit geeigneten Sanktionen zu ahnden." Der Außenhandelsverband BGA begrüßte, dass "viele der völlig überzogenen und praxisfernen Forderungen in der jetzigen Einigung zum Lieferkettengesetz" nicht mehr enthalten seien. Den Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern sei nur dann geholfen, wenn sich Investoren und Unternehmen aus Sorgen vor unkalkulierbaren Risiken nicht zurückzögen, sondern vor Ort an der Verbesserung der Lebensbedingungen mitwirken könnten.
Die Sorge, dass Unternehmen wegen des Lieferkettengesetzes die Produktion in den jeweiligen Ländern zurückgefahren werden, hält Wirtschafts- und Umweltstrafrechtler Carsten Momsen für unbegründet: "Also das wäre nur dann der Fall, wenn in diesen Ländern die Produktionskosten sich angleichen an das Niveau in den Besteller-Ländern. Und da ist glaube ich, ist der Unterschied so groß, dass das nicht ernsthaft zu befürchten ist."
Befürworter eines Lieferkettengesetzes, wie etwa Entwicklungsorganisationen, sprachen bei der Vorstellung des Entwurfs von einem ersten wichtigen Schritt, forderten aber schärfere Bestimmungen. "Brot für die Welt" kritisierte, dass keine Regelungen zur zivilrechtlichen Unternehmenshaftung und Entschädigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen vorgesehen sind. "Geschädigte in Bangladesch, Peru oder Ghana erhalten damit nicht die Chance, von deutschen Gerichten eine Entschädigung zugesprochen zu bekommen." Auch Oxfam sprach von "einem Lieferkettengesetz light mit Schonfrist für Unternehmen".
Miseror und das zivilgesellschaftliche Bündnis "Initiative Lieferkettengesetz" forderten ebenfalls Nachbesserungen. Der BUND, Greenpeace und WWF Deutschland monierten gleichfalls fehlende Haftungsregeln - sowie die fehlende "starke umweltbezogene Sorgfaltspflicht". Kritik gibt es auch daran, dass der Klimaschutz und das Artensterben nicht ausreichend im Gesetz berücksichtigt werde.
Die Deutsche Umwelthilfe sieht in dem Gesetz einen "von Industrieinteressen weichgespülten Minimalkonsens". Das Gesetz decke bloß einen kleinen Teil der Lieferkette ab. "Nur für den eigenen Geschäftsbereich sowie die direkten Zulieferer müssen die Unternehmen Risikoanalyse, Prävention und Abhilfe verpflichtend vornehmen", so die Kritik der Umwelthilfe. Bei mittelbaren Zulieferern müssten Firmen nur anlassbezogen eine Risikoanalyse durchführen, wenn sie "substantiierte Kenntnis" über Missstände erlangen. Damit bleibe gerade der Teil der Lieferkette außen vor, "wo die meisten Umweltrisiken und Menschenrechtsverletzungen stattfinden, etwa in der Landwirtschaft oder im Bergbau".
Das EU-Parlament hat sich für ein deutlich strengeres Lieferkettengesetz ausgesprochen als die Bundesregierung. Eine breite Mehrheit der Abgeordneten stimmte dabei für weitreichende Sorgfaltspflichten für europäische Unternehmen zur Einhaltung der Menschenrechte entlang ihrer Lieferkette. Auch kleine und mittlere Unternehmen sollen demnach darunter fallen. Die EU-Abgeordneten fordern zudem, dass Unternehmen auf Schadensersatz für Menschenrechts- und Umweltverstöße verklagt werden können.
Lieferketten - Das europäische Parlament ist strenger als die Bundesregierung
Manche der Forderungen des EU-Palamentes zum Lieferkettengesetz seien begrüßenswert, kommentiert Paul Vorreiter - wie beispielsweise die gesamte Lieferkette in den Blick zu nehmen sowie auch kleine und mittlere Unternehmen einzubeziehen. Doch müsse der Vorschlag Augenmaß halten. Unternehmen dürften nicht Mängel ausbaden, die Fehler von Handelspolitik sind.
Manche der Forderungen des EU-Palamentes zum Lieferkettengesetz seien begrüßenswert, kommentiert Paul Vorreiter - wie beispielsweise die gesamte Lieferkette in den Blick zu nehmen sowie auch kleine und mittlere Unternehmen einzubeziehen. Doch müsse der Vorschlag Augenmaß halten. Unternehmen dürften nicht Mängel ausbaden, die Fehler von Handelspolitik sind.
Auch sollte das Gesetz ebenso für Firmen gelten, die zwar nicht in der EU sitzen, aber im Binnenmarkt tätig sind. Außerdem forderte das Parlament ein Einfuhrverbot für Produkte, die etwa mit Zwangsarbeit oder Kinderarbeit in Verbindung stehen.
Konservative und rechte Fraktionen scheiterten mit ihren Forderungen nach weitreichenderen Ausnahmen für kleinere und mittlere Unternehmen. Anders als die Bundesregierung sprachen sich die EU-Abgeordneten zudem für strenge Haftungsregeln aus.
Der eigentliche EU-Gesetzgebungsprozess beginnt, wenn die Kommission tatsächlich ihren Vorschlag vorlegt und das wird voraussichtlich noch einige Zeit dauern. Die Bundesregierung müsste dann gegebenenfalls nationale Regeln später an EU-Recht anpassen. In einigen EU-Ländern gibt es bereits Gesetze zu Lieferketten.
(Mischa Ehrhardt, Volker Finthammer, Wulf Wilde, dpa, rtr afp, epd, pe, fwe, tei)