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Sozialarbeiter in Bautzen
Befindlichkeiten abbauen, Begegnungen schaffen

Rechtsextreme machen Jagd auf Flüchtlinge - das brachte die Stadt Bautzen im Sommer 2016 in die Schlagzeilen. Jetzt packen neue Sozialarbeiter das Problem an der Wurzel: Sie sprechen Jugendliche aktiv an und ermitteln so deren Problemlagen. Mobile Jugendarbeit nennt sich das.

Von Bastian Brandau | 18.05.2017
    Sozialarbeiter Benno Auras und Sophia Delan vor dem Rathaus auf dem Hauptmarkt von Bautzen
    Sozialarbeiter Benno Auras und Sophia Delan vor dem Rathaus auf dem Hauptmarkt von Bautzen (Bastian Brandau)
    Die sächsische Kleinstadt Bautzen im vergangenen Sommer. 80 Rechtsextreme machen Jagd auf eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge. Zuvor hatten die Rechten sich offenbar über das Internet verabredet. Es war der vorläufige Höhepunkt einer wochenlangen Auseinandersetzung mit gegenseitigen Provokationen auf dem Kornmarkt. Die Konflikte dort seien immer "niederschwellig" gewesen, sagte Bautzens Oberbürgermeister Ahrens damals, im vergangenen September, in einer Fernseh-Talkshow. Und auch die neue Sozialarbeiterin der Stadt, Sophia Delan, warnt davor, den Kornmarkt zu dämonisieren.
    Eine neue Sozialarbeiterin
    "Konflikte gibt es immer, zwischen Jugendgruppen, überall, immer wenn sich Jugendgruppen einen Platz teilen, sind Interessenskonflikte da. Und da gilt es halt für uns zu schauen, wenn man halt mehreren Jugendgruppen auf einem Platz begegnet, dass man da halt auch Befindlichkeiten abbaut, vielleicht auch Begegnungen schafft, dass man sich halt kennenlernt. Und dass man die andere Gruppe, die auch den Platz nutzt, auch toleriert."
    Der Kornmarkt sei nicht ihr Arbeitsschwerpunkt, stellt Sozialarbeiterin Delan gleich zu Beginn des Gesprächs fest. Seit einigen Wochen ist die gebürtige Bautzenerin mit ihrem Kollegen Benno Auras dabei, ihre Stadt noch einmal neu zu vermessen. Es geht zuerst einmal darum herauszufinden, wo sich die Jugendlichen überhaupt aufhalten.
    "Es gibt halt noch verschiedene Viertel in der Stadt, wo die sich auf Bolzplätzen treffen, wo die sich an Märkten treffen, so typische Orte, wo Jugendliche sich wohlfühlen, wo sie eine Sitzgelegenheit haben, wo sie halt gegebenenfalls auch einer Aktivität nachgehen können wie Fußball spielen. Und das sind so Punkte, wo wir als erstes anlaufen."
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    Sozialarbeiter Benno Auras und Sophia Delan vor dem Rathaus auf dem Hauptmarkt von Bautzen (Bastian Brandau)
    Zuerst seien sie inkognito durch die Viertel gestreift, erzählt Delan. Später dann mit den neuen schwarzen Jacken mit grünem Schriftzug: "Pro Chance" ist der Name des Projekts, die Jacken machen sie kenntlich als Sozialarbeiter der Stadt. Sie sprechen die Jugendlichen an, erklären, dass sie im Auftrag der Stadt unterwegs sind und Ansprechpartner für alle zwischen 14 und 27. Mobile Jugendarbeit: Ein Angebot, das es so bisher in der Stadt Bautzen nicht gab. Und das gut ankomme, sagt Delan. Viele Jugendliche, gerade in den sozial schwächeren Vierteln, würden sich freuen, dass sich jemand für sie interessiert:
    Jugendliche brauchen Raum
    "Zum Beispiel im Allendeviertel gibt es so eine Jugendgruppe, die sagt, ‚Wir haben halt nie einen Platz‘, wo sie mal in Ruhe dauerhaft bleiben können, die werden immer irgendwie… von Ort zu Ort müssen sie umziehen, weil die Bewohnerschaft sich genervt fühlt so von Jugendlichen. Das sind so Themen, wo die Jugendlichen sagen, das wäre schon cool, so ein Raum, wir haben uns da schon mal einen Raum in den Fokus genommen, der für uns interessant wäre."
    Einen Raum für sich selbst zu gestalten, diesen Wunsch hätten sie inzwischen häufig gehört. Delan und ihr Kollege Benno Auras ermutigen die Jugendlichen, selbst aktiv zu werden, sie vermitteln Kontakte: Etwa zu einer Wohnungsgenossenschaft, die möglicherweise einen Raum zur Verfügung stellen könnte. Aber auch zu Behörden, möglichen Ausbildungsbetrieben oder Ansprechpartnern, die bei Schulden oder Suchtproblemen helfen. Während Delan schon seit Jahren im Landkreis als Sozialarbeiterin unterwegs war, ist Auras für den Job aus Berlin wieder in seine Heimatstadt Bautzen gezogen.
    "Ich sehe das auch gar nicht als eine Art Reparatur, sondern als Chance überhaupt mal etwas in der konkreten Richtung angehen zu können. Und wie gesagt, das Potenzial ist gerade von Seiten der Jugendlichen da und die Bereitschaft auch der Stadt ist eben da, was anzugehen, auch."
    Die Ausschreitungen fanden nicht im luftleeren Raum statt
    In Bautzen also alles wie in anderen Kleinstädten auch? Bei den ersten Begegnungen zwischen Sozialarbeitern und Jugendlichen ist klargeworden, dass die Ausschreitungen am Kornmarkt nicht im luftleeren Raum stattgefunden haben. Es gebe durchaus Vorbehalte gegen Flüchtlinge in Bautzen, sagt Sophia Delan.
    "Und das kam jetzt schon bei einigen Gesprächen heraus, so im Sinne von ‚Wir haben nichts gegen sie, aber es wäre schön, wenn das alles friedlich verläuft‘. Also auch dieser Wunsch nach Ruhe und Frieden an der Stelle. Das ist, glaube ich, das Ausschlaggebende an vielen Orten, da einfach so die Ängste auch abzuholen, zu schauen, dass man die abbaut. Und ich habe auch schon ganz oft in meiner Arbeit erlebt, dass Jugendliche ihre Ängste erst durch Begegnung abbauen können. Und das ist unser Auftrag, da Gemeinsamkeiten zu schaffen und zu schauen: Wie kann man die Wünsche, Interessen und Ängste da abholen?"
    Rechtsextreme versuchen Fuß zu fassen in der Stadt
    Wünsche, Interessen und Ängste umwandeln in Toleranz: So lautet der Auftrag, den die Sozialarbeiter seit Mitte März angehen, aber nicht alleine stemmen werden in Bautzen. In der Kleinstadt ist es auch in den vergangenen Monaten immer wieder zu Übergriffen auf Flüchtlinge gekommen. Eine Stadt, die NPD und andere rechtsextreme Gruppen erklärtermaßen zu ihrem Kiez machen wollen. Wo sich am 1. Mai aber auch mehrere hundert Menschen den Rechtsextremen entgegenstellten, in einer Menschenkette vom Rand der Innenstadt bis zum Kornmarkt. Dort wiederum fährt noch immer nachmittags ein Polizeiwagen vor, die Polizei will Präsenz zeigen. Zugleich hat die Stadtverwaltung hohe Erwartungen an die Arbeit der neuen Sozialarbeiter, sagt Stadtsprecher Andre Wucht, schränkt aber ein:
    "Ob es tatsächlich ausreichen wird, also die Summe der Maßnahmen, um solche Situationen, wie wir sie hier hatten, und wie sie auch in anderen deutschen Städten vorgekommen sind, tatsächlich langfristig zu unterbinden, das muss einfach die Zeit zeigen. Also die Möglichkeit besteht trotzdem, denn auch Sozialarbeiter, die auf die Leute zugehen, werden nicht alle Leute erreichen, und die werden auch nicht alle Leute in ihren politischen und gesellschaftlichen Ansichten bekehren, da muss man einfach Realist sein und das so sehen, wie die Sachlage ist."