Donnerstag, 02. Mai 2024

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Sozialdemokratin von Kindesbeinen an

Aus einem politisch aktiven und sozialdemokratisch geprägten Haushalt stammend, engagierte sich Anke Fuchs als eine der ersten Frauen in der SPD und bei den Gewerkschaften. Sie war Bundesfamilienministerin, Bundesgeschäftsführerin der SPD und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags.

25.06.2009
    Anke Fuchs - SPD-Politikerin, geboren am 5. Juli 1937 in Hamburg, 1987 bis 1991 Bundesgeschäftsführerin der SPD, 1995 bis 2007 Präsidentin des Deutschen Mieterbundes, 1982 fünf Monate Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit. 1998 bis 2002 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Frau Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.


    "Die Nachkriegszeit und die Angriffe haben mich schon sehr beeindruckt."

    Nie wieder Krieg - Politik und Familie
    Rainer Burchardt: Frau Fuchs, Sie sind Jahrgang 1937, man darf es ja sagen heutzutage.

    Anke Fuchs: Natürlich.

    Burchardt: Und Sie sind hineingeboren, wenn ich das mal so sagen darf, in eigentlich doch eine sehr hochpolitische Familie. Ihr Vater war später der Bürgermeister von Hamburg und Ihr Bruder, Knut Nevermann, hat ja eine nicht unentscheidende Rolle in der 68er-Bewegung gespielt. Wie haben Sie selbst, gerade in Ihrer Kindheit, eigentlich eine politische Familie, in die Sie eingebettet waren, selbst erlebt?

    Fuchs: Meine Kindheit war ja noch Kriegszeit: 1937 bis 1945 noch. Und danach kam für uns, für mein Elternhaus, die Befreiung vom Naziregime und mein Vater hat sich gleich politisch engagiert und wir waren immer mit dabei. Wir sind zu allen Versammlungen mitgefahren, haben hinten gesessen und geklatscht, wenn es darum ging, den Beifall zu produzieren.

    Also, wir sind in diese öffentliche, befreite Atmosphäre hineingewachsen - und damit natürlich auch in die Sozialdemokratie. Und bei uns wurde zu Hause nach dem Krieg sehr viel diskutiert, im Krieg nicht, weil ich auch als Mädchen in der Schule eine Nazilehrerin hatte und die jedes aufschnappte, was man aufschnappen konnte, insofern war da Vorsicht geboten.

    Aber danach waren wir eben ein sehr diskussionsfreudiges Haus. Und Sie haben meinen Bruder Knut erwähnt; es gibt noch einen Bruder, Jan Nevermann, der war Bürgermeister in Pinneberg. Wir alle haben immer irgendwas mit der Partei gemacht.

    Burchardt: Mit der sozialdemokratischen Partei.

    Fuchs: Mit der sozialdemokratischen Partei gemacht, ja.

    Burchardt: Wie hat man das eigentlich empfunden als Kind, wenn man zu Hause sagt: Du, halt den Mund in der Schule?

    Fuchs: Das haben die natürlich so nie gesagt, weil ich dann bockig geworden wäre und erst recht nicht den Mund gehalten hätte. Die haben die Atmosphäre so hingekriegt, dass ich das nicht wahrgenommen habe.

    Burchardt: Sie haben das nicht selber als ein ...

    Fuchs: Ich hab das selbst nicht als Einschränkung ...

    Burchardt: ... gesehen?

    Fuchs: Nee, nee, es war keine Einschränkung, sondern es war nur eine elegante Umschreibung von Dingen. Und da war ich ja auch noch ziemlich jung und ziemlich klein. Also mich hat das nicht belastet.

    Burchardt: Hat Sie das denn in der damaligen Zeit möglicherweise schon politisch insofern beeinflusst, als man sagen würde: Also nach rechts und konservativ, rechtsradikal, da wird mich niemand vorfinden oder ...

    Fuchs: Also nach 1945 war es natürlich erst mal so ...

    Burchardt: ... welchen Einfluss hatte es?

    Fuchs: Diejenigen, die mit den Nazis zusammengearbeitet hatten, die waren mir natürlich dann doch schon bekannt, und die hat man auch gemieden. Und dann ging es in Hamburg los - wie gesagt, wir waren ja in der sozialdemokratischen Partei aktiv. Und was Konservatives, was war das eigentlich? Genau konkret sagen kann ich das nicht, aber wir mochten es nicht. Das war klar, ohne dass man besondere Argumente brauchte.

    Burchardt: Nun sagt man zu Hamburg, ja natürlich, damals war es die britische Besatzungszeit, dass im Grunde genommen die Briten wie die Amerikaner, aber woanders, das Prinzip der Demokratie nach dem Krieg nach Deutschland importiert haben.

    Woran war das zu spüren? Haben Sie diesen Eindruck damals auch gehabt oder haben Sie gesagt - nach dem Motto "Nie wieder Krieg": Wir werden jetzt, gerade in unserer Jugend, versuchen, ein anderes Deutschland zu schaffen?

    Fuchs: Also: Wir wollen versuchen, ein anderes Deutschland zu schaffen, war schon die Marschrichtung, aber ohne die Briten eigentlich. Die spielten in meiner Erinnerung nur eine Rolle, dass sie durch Hamburg durchfuhren, dass meine Mutter für sie Kaffee kochte, wir von ihnen Kaugummis bekamen - also so die erste Zeit, 1945.

    Aber dann spielte es eigentlich keine Rolle. Auch die Besatzungsmacht als solche hat das, was Sie sagen, nicht behindert. Wir sind erzogen worden: Nie wieder Krieg, sich um andere kümmern, nicht nur um den eigenen Kreis sich drehen, sondern gucken, was kann ich in der Gesellschaft einbringen. Und das hat uns so geprägt, dass wir uns engagiert haben. Aber es kam mehr aus dem Elternhaus als von der Besatzungsmacht.

    Burchardt: Vielleicht noch mal einen kurzen Schritt zurück in die Kriegszeit: Es gab den sogenannten Hamburger Feuersturm. Haben Sie den miterlebt oder haben Sie nur Ihre Eltern oder wen auch immer darüber erzählen hören?

    Fuchs: Nein, nein, wir haben es schon miterlebt, denn wir waren im Keller und sahen die Flugzeuge nach Hamburg kommen. Mein Bruder Knut, zu der damaligen Zeit ja sehr klein noch, der schlief in der Kartoffelkiste. Wir alle waren aber wach. Und es war eine eigenartige Mischung. Wenn Gewitter und Angriffe zusammenkamen, war das sehr beängstigend.

    Das hat mich sehr geprägt und ist übrigens auch der große Unterschied zu all denen, die Krieg nicht mehr erlebt haben: Ich hab nach dem Krieg noch oft meine Sachen gepackt, stand auf dem Flur und habe gesagt: Wir müssen in den Keller - und hab das doch noch in Träumen und alles wieder erlebt; und da gehörten auch die großen Angriffe auf Hamburg dazu, die uns sehr belastet haben. Dann ist die Schule immer kaputtgegangen. Das fand ich ganz praktisch, weil man dann schulfrei hatte. Das fand man nicht so schlimm. Aber insgesamt haben die Nachkriegszeit und die Angriffe mich schon sehr beeindruckt.

    Burchardt: Wirkt das bis heute nach?

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Ein Kindheitstrauma?

    Fuchs: Trauma ist zu viel gesagt, dafür bin ich nachher zu glücklich aufgewachsen, denk ich. Aber wenn ich Sirenen höre, zucke ich immer und denk: Die Russen kommen. Oder wenn ich ein großes Feuerwerk sehe - ich mag noch heute keine Feuerwerke, weil das mir zu sehr nach Krieg aussieht.

    Burchardt: Es gibt immer großartige Hafengeburtstage in Hamburg.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Da gehen Sie da nicht hin?

    Fuchs: Nein. Also ich geh dann schon dahin. Aber ich mag eigentlich keine Feuerwerke aus dieser Erinnerung heraus, weil es so zerstörerisch ist, weil es Geld verplempern heißt und weil es im Grunde diesen Krach macht, den ich noch in den Ohren habe.

    Burchardt: Glückliche Kindheit, sagten Sie eben. Wie sah die glückliche Kindheit aus, auch für die Schülerin oder die heranwachsende Anke Fuchs in der damaligen Zeit?

    Fuchs: Also der Krieg war vorbei. Man konnte jetzt frei spielen. Wir wohnen ja in Blankenese in der Nähe von Wald und Elbe. Ich bin gern zur Schule gegangen. Und ich hab einfach schlicht das Leben genossen, also mit Freundinnen und Freunden.

    Das war ja früher auch anders, als es heute bei meinen Enkelkindern zum Beispiel ist. Man ging auf die Straße und da war immer jemand zum Spielen. Und da waren dann drei, vier zum Spielen. Dann ging man in den Wald und sammelte Kastanien oder spielte an den Bäumen. Also insofern war das eine sehr freie Zeit eigentlich, die nach 1945 dann kam.

    Burchardt: Blankenese ist ja das, was man das feine Viertel in Hamburg nennt, jenseits der Elbchaussee. War das für Sie dann nicht auch eine kleine Schutzzone, in der Sie da gelebt haben?

    Fuchs: Also wir wohnen in Blankenese nicht da, wo die feinen Leute wohnen, sondern da, wo die wohnen, die mit Mühe - so auch meine Eltern - sich ein Haus finanziert hatten. Diese Straße, Rissener Landstraße, ist jetzt wahnsinnig von Autos befahren. Damals gab es keine Autos, wir konnten Schlagball spielen auf der Straße.

    Nein, es war keine Insel eigentlich. Als wir zur Schule kamen dann und auch auf die Oberschule, merkte ich, dass es hier unterschiedliche Blankeneser gab: die da von oben vom Falkenstein, die von unten vom Strandweg, die von der Elbchaussee. Zu all denen gehörte ich nicht.

    Burchardt: Es gibt da ein schlossähnliches Restaurant, das heißt Süllberg, soll angeblich Hitlers Lieblingsrestaurant in Hamburg gewesen sein. Hatte das denn das Odium in der Nachkriegszeit, dass man da nicht hinging?

    Fuchs: Zunächst ja. Also erstens konnte man es sich sowieso nicht leisten, in Restaurants zu gehen und irgendwo auswärts zu essen. Das gab es ja eigentlich nicht. Und der Süllberg hatte im Laufe der Zeit sein gutes Renommee wiedergefunden. Wir haben zum Beispiel unsere Tochter 1969 dort getauft. Da war dann eine Aussöhnung, wenn man so will. Denn es ist ein wunderschönes Fleckchen Erde und es macht wahnsinnig Spaß, da ins Restaurant zu gehen und da zu sitzen. Aber in der Nachkriegszeit wurde schon drauf geachtet, dass man sich anders verhielt gegenüber solchen, die mit Hitler paktiert hatten als mit den anderen.


    "Insofern waren wir toll und die Bonner waren eben schlecht; und den Adenauer hab ich natürlich überhaupt nicht gemocht."

    Politische Etappen - Der Muff der 50er-Jahre
    Burchardt: Ihre politische Sozialisierung muss ja in den 50er-Jahren stattgefunden haben. 1949, also vor jetzt 60 Jahren, wurde das Grundgesetz verabschiedet. Was bedeutete das für ein, ja, Mädchen von zwölf, 13 Jahren?

    Fuchs: Das ist nun zu weit gegriffen. Also da ging man zur Schule. Ich war bei den Falken, der Jugendorganisation der SPD, aktiv. Aber wir haben an sich …

    Burchardt: Seit wann?

    Fuchs: Ja, seit Nachkriegszeit. Also wir sind dann in Zeltlager gefahren, haben Wanderungen gemacht und solche Sachen. Grundgesetz erinnere ich eigentlich nicht als Punkt. Und ich will auch nicht so tun, als ob ich nun die ganze Zeit politisch so aktiv war.

    Burchardt: Wann fing denn das an?

    Fuchs: Zunächst mal war ich die erste Zeit bei den Falken und bei den Jungsozialisten. Und dann kamen die 60er-Jahre mit Studium und Heiraten und Kinder bekommen und so. Da hab ich dann auch nicht so viel Politik gemacht. Aber als junge Mädchen waren wir eben bei den Falken, sind da mit anderen zusammengekommen - und noch heute habe ich Freundschaften aus dieser Zeit.

    Burchardt: Aber Sie haben sich dann ja parteipolitisch engagiert. Was war der entscheidende Punkt?

    Fuchs: Also mein Bruder Jan und ich, wir waren ja bei den Jungsozialisten und wollten zu einem Kongress. Und da hörten wir, wir konnten nur Delegierte sein, wenn wir in die Partei eintreten. Also sind wir 1956 in die Partei eingetreten, da war ich 18. Es war eigentlich klar, dass man mitmachen musste, es war klar, dass man Mitglied sein wollte, und das sind wir auch seitdem geblieben und haben in verschiedenen Funktionen uns immer sozialdemokratisch engagiert.

    Burchardt: Wenn man das politische oder auch persönlich prägende Klima der 50er-Jahre noch mal rekapituliert, dann war es ja nicht nur die Kriegszeit, dass der Russe vor der Tür stand, sondern wir sind ja alle, die von diesem Jahrgang sind, noch in dieser Zeit groß geworden.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Und wir haben 1953 den Aufstand in Ostberlin gehabt. Wir haben 1956, das Jahr, als Sie in die SPD eingetreten sind, Ungarn gehabt, den Aufstand in Budapest. Ist das auch für Sie etwas Wichtiges gewesen in Ihrer politischen Vita?

    Fuchs: Es ist etwas sehr Wichtiges gewesen, denn es war ja die Frage: Nie wieder Krieg! Fängt das jetzt schon wieder an mit dem Kalten Krieg? Das war die große Sorge, dass der Frieden noch nicht stabil genug ist. Und ich hab an allen Demonstrationen teilgenommen, die man damals so machte, um klarzumachen, dass wir jungen Deutschen einen friedlichen Weg wollen, dass wir Angst nicht schüren wollen, sondern miteinander leben.

    Und Sie erinnern sich vielleicht auch noch: Es war ja auch die Versorgungslage noch so, dass wir zwar nicht gehungert haben, aber sehr bescheiden gelebt haben. Und insofern hat man eigentlich sehr darauf gedrungen, dass man mit anderen zusammen die Verhältnisse verbessert. Das konnte man nie alleine; das konnte man nur, indem man sich engagierte, und das haben wir eigentlich ausgiebig gemacht.

    Wir haben dann allerdings in Hamburg auch bald, mein Bruder und ich, das neue Kulturleben genossen. Es war ja dann doch in den Städten eine Menge los an Theater und Oper und Kultur und Kunst. Und das erinnere ich aus der Zeit, also sagen wir mal, ab 1953 - mit 16, 17 Jahren so - in dem Lebensabschnitt: Wie aktiv man war, um irgendwohin zu gehen; wir mussten von Blankenese ja immer eine halbe Stunde bis zur S-Bahn, dann eine halbe Stunde in die Stadt und nach der Vorstellung wieder zurück. Das war überhaupt keine Mühe. Es gehörte zum Leben, und ich fand enorm, was wir damals alles gemacht haben und aufgesogen haben, und was man in der Zeit sich angeeignet hat, das sitzt auch noch.

    Burchardt: Politisch spricht man ja von der Adenauer-Ära in dieser Zeit: Die Union hatte 1957 die absolute Mehrheit und sicherlich war in den 60er-Jahren auch die Überwindung dieses Muffs oder dieser miefigen Atmosphäre, die es damals gab in Deutschland, ein ganz wesentlicher Grund, dass man auch auf die Straße gegangen ist. Haben Sie das so empfunden in der Zeit?

    Fuchs: Also erstens Mal waren wir in Hamburg ja sozialdemokratisch regiert, sodass die SPD ...

    Burchardt: Da hatte der Muff keine Chance.

    Fuchs: Da hat der Muff keine Chance. Also die SPD war in Hamburg stark. Also mein Vater war ja Bürgermeister. Wir hatten sogar mal Angst vor einer Zweidrittelmehrheit, also das waren: Insofern waren wir toll, und die Bonner waren eben schlecht; und den Adenauer hab ich natürlich überhaupt nicht gemocht.

    Ich erinnere mal, dass er mal einen Streik geschlichtet hat. Da war ich sehr verärgert, dass das Sozialdemokraten so zugelassen haben. Also wir waren schon gepolt: Hamburg in Ordnung, SPD; Bonn ist konservativ, da kann man kaum was machen. Aber wir wollten was machen, und das hat uns natürlich sehr geprägt. Wir haben in Hamburg dann doch sehr dazu beigetragen, dass es auch atmosphärisch sozusagen sozialdemokratisch war. Das ist dann alles ein bisschen anders geworden. Aber zunächst mal war das so, dass wir die internationalen Entwicklungen begleitet haben, dass wir immer wieder versucht haben, in Bonn bessere Ergebnisse zu erzielen. Aber das gelang eben nicht so schnell, wie wir gedacht hatten.

    Burchardt: Aber es gab dann für Ihren Vater ja den sogenannten EDK-Effekt: Ende der Karriere.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Das gehört dann ja auch in die Abteilung Muff, ein wenig jedenfalls, oder spießige Auffassung, weil er mit seiner Gattin nicht mehr die Königin von England empfangen hat.

    Fuchs: Das war ein sehr trauriges Kapitel, gerade für uns Kinder, weil meine Eltern eigentlich eine glückliche Ehe geführt hatten und dann so Dinge passierten, die also passierten, damit konnte keiner so richtig umgehen. Und es lauerten natürlich in der Partei schon die, die eh diesen beliebten Bürgermeister auf dem Kieker hatten und die dann schnell dabei waren, seinen Rücktritt zu fordern. Aber ich will noch mal davor schalten: Ich war Mitglied der Schuldeputation schon in Hamburg und saß deswegen mit immer in der Universitätsaula.

    Burchardt: Ist es das, was man später die Schülermitverantwortung genannt hat oder SMV?

    Fuchs: Nein, das war ein parlamentarisches Kontrollgremium der Verwaltung. Und da saß ich mit in der Uni an jenem Tag, als Dieter Albers mit den Plakaten reinkam: Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren. Das fing ja dann damals an, also insofern die Zeit erinnere ich sehr aktiv.

    Nein, aber die Schwierigkeiten meiner Eltern haben uns persönlich sehr belastet, weil es sehr schwer ist, in solcher Situation zu entscheiden, auf welche Seite stellt man sich. Mein Vater hat es nicht gut gemacht, finde ich. Das hätte auch alles anders kommen können. Aber wie gesagt, damit war das Ende der Karriere da, darunter hat er sehr gelitten. Aber er ist dann ja Präsident des Deutschen Mieterbundes geworden. Da hat er sich noch mal aktiviert. Und er hat dann den Rest seines Lebens auf Teneriffa verbracht mit der neuen Frau, muss man immerhin fairerweise sagen. Aber das ist eigentlich nicht die schönste Zeit meines Lebens.

    Burchardt: War das für Sie auch so ein Lernerlebnis, dass Politik und Privatleben plötzlich dann doch zusammengenommen wurden und man politische Wirkungen erzielte?

    Fuchs: Wir waren ja bisher eigentlich ... bis dahin haben wir so gelebt, dass wir eigentlich beliebt waren, auch als Familie. Mein Vater war ja ein sehr beliebter Bürgermeister. Immer wenn ich mit ihm irgendwohin kam, war es immer anderes, interessant und angenehm; und wenn es kritisch war, war das sachlich kritisch, aber nicht so persönlich boshaft.

    Und eigentlich in dieser Ehegeschichte ist zum ersten Mal so richtig ins private Leben sich eingemischt worden, und das hab ich schon als sehr beleidigend und demütigend empfunden, hat mich auch insofern sehr geprägt, dass ich für mich selbst im Verhältnis zur Presse einen eigenen Weg gegangen bin. Also ich habe nie die vielen Privatfotos machen lassen, hab mich nicht hochjubeln lassen in irgendeiner Zeitschrift, Frauenzeitschrift oder so was, hab da ganz bewusst mich mehr zurückgehalten, was sicherlich meiner Karriere nicht genützt hat, aber ich bin deswegen im Grunde mit mir selbst sehr im Reinen geblieben.

    Burchardt: War das das Heuchlerische in der Politik, das Sie da sehr nah erleben mussten?

    Fuchs: Richtig, erst wird man hochgeschrieben, und dann machen sie schon die Fotos, die benutzt werden können, wenn es bergab geht. Mir ist der Johannes Rau als schwierigster Fall im Grunde in Erinnerung. Wie die Presse mit ihm umgegangen ist, auch als er Bundespräsident war, das war so was von schäbig, dass ich mich davor eigentlich immer ganz bewusst bewahrt habe.

    Burchardt: Aber es war kein Grund, Sie jetzt total von der Politik fernzuhalten?

    Fuchs: Nein, überhaupt nicht. Also ich bin ja, wie gesagt, wir waren ja jetzt in Hamburg, dann hab ich studiert und Assessorexamen gemacht und geheiratet und Kinder bekommen. Und dann fing eigentlich meine berufliche Karriere an, beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Hamburg zunächst und dann bei der IG Metall. Das war eine unglaublich spannende, für mich die aufregendste Zeit meines Lebens, denn ich war eine ganz junge Frau mit zwei kleinen Kindern, mit einem Beamten verheiratet, und die IG-Metall-Männer fragten: Was willst du hier eigentlich? Du müsstest dich doch eigentlich um deine Kinder kümmern?

    Da hab ich viel gelernt und bin von dort aus ja dann nach Bonn als beamtete Staatssekretärin, hat Helmut Schmidt mich geholt. Das waren aber alles Karrieresprünge ohne besonders kritische Begleitung in der Öffentlichkeit. Also das wurde akzeptiert und da hab ich großes Glück gehabt, dass ich immer überall im Grunde mit großem Wohlwollen erst mal aufgenommen wurde. Und ich war dann gut etabliert, wenn die Schwierigkeiten begannen, insofern waren die Starts eigentlich immer sehr erfreulich.

    "Wir haben ja eine Zeit hinter uns, wo Neoliberalismus die Gewerkschaften versucht hat kaputtzumachen."

    Die Gewerkschafterin
    Burchardt: Sie waren ja im DGB-Bezirk Nordmark an einflussreicher Stelle. Das war ja eine Sektion im Norden. Damals gab es wilde Streiks.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Unter anderem Werftenstreiks in Norddeutschland. Wie wurden die eigentlich damals aus Ihrer Sicht von Gewerkschaftsseite gesehen?

    Fuchs: Es waren ja damals …

    Burchardt: ... schien eigentlich alles auseinanderzulaufen ...

    Fuchs: Ja. Also es waren illegale Streiks. Und rechtlich - ich war ja als Juristin, die erste Juristin, die da in der Bezirksleitung tätig war -, rechtlich war das alles zu beanstanden. Und ich musste - das werd ich nie vergessen: Ich musste einen Streik auf der Howaldt-Werft in Kiel schlichten; oder ich kam da hin, die Leute standen ...

    Burchardt: Als Gewerkschafterin mussten Sie schlichten?

    Fuchs: Als Gewerkschafterin; schlichten nicht, sondern ich musste da hin, um diesen Streik zu beenden. Und da war ich junge Gewerkschafterin aus der Bezirksleitung und marschierte durch so ein Spalier von streikenden Leuten. Und denn gab es einen berühmten Betriebsratsvorsitzenden: Böhm hieß er, glaub ich.

    Burchardt: Ja, Böhm.

    Fuchs: Ja, ja. Mit dem hab ich mich dann so gefetzt, aber so sachlich offensichtlich, dass wir es geschafft haben, die Leute an die Arbeit zurückzubringen.

    Burchardt: Aber es gab damals auch kommunistische Betriebsgruppen, …

    Fuchs: Ja, gab es auch.

    Burchardt: ... die ja auch in Verdacht waren. Wie sind Sie mit denen umgegangen?

    Fuchs: Also irgendwie - ich weiß nicht mehr genau, wie, denn ich war ja jung und ich hatte keine Erfahrung. Aber ich hab ihnen die Lage erklärt und wahrscheinlich so, dass sie mir gefolgt sind.

    Burchardt: Haben sie Sie als Troubleshooter gewählt?

    Fuchs: Ja, als Troubleshooter gewählt; und ich weiß, dass die Arbeitgeberseite das mit großer Hochachtung begleitet hat. Irgendwie ist mir das gelungen.

    Burchardt: Wenn wir jetzt den Sprung auf heute wagen, gerade in diesem Zusammenhang, Bereich Gewerkschaften: Es gab ja eine Zeit der Krise der Gewerkschaften, vielleicht gibt es sie immer noch. Aber mittlerweile stellt man doch fest, dass die Gewerkschaften, gerade Verdi, doch ziemlich viele Erfolge einfahren. Woran liegt das nach Ihrer Meinung?

    Fuchs: Das liegt schon an der politischen Entwicklung: Wir haben ja eine Zeit hinter uns, wo Neoliberalismus die Gewerkschaften versucht hat kaputtzumachen, wenn man das alles noch mal Revue passieren lässt. Und ich freue mich sehr, dass in dieser Finanzkrise jetzt die Leute sagen: Wir brauchen nicht nur wieder mehr Staat - so viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich, hat Karl Schiller uns beigebracht -, wir brauchen Sozialpartnerschaft.

    Und dass die Arbeitgeber selbst so auf die Gewerkschaften zugehen und sagen: Mit denen können wir verantwortungsbewusst arbeiten, ist für mich ein großer Erfolg der Gewerkschaften, denn die können ja auch bockig in der Ecke stehen und sagen, mit euch wollen wir nichts zu tun haben. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, und wir sind ja nun dabei, mit einer von Helmut Schmidt so bezeichneten "Mixed Policy" Wirtschaft, Finanzen und Soziales so zusammenzubinden, dass auch die Gewerkschaften mit Entwicklung leben können.

    Ich finde es hochinteressant und finde es ganz spannend und hoffe nur sehr, dass meine eigene Partei diesen neuen Trend auch kräftig unterstützt, damit wir sagen können: Wir sind die, die mit finanzieller und wirtschaftlicher Kompetenz die Konzepte vorlegen. Die Gewerkschaften sind auf unserer Seite. Also besser kann es eigentlich gar nicht sein.

    Burchardt: Wie beurteilen Sie denn jetzt eigentlich überhaupt die Stärkung der Rolle des Staates in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik?

    Fuchs: Ja, wir müssen noch mal Revue passieren lassen: Die Finanzpolitik war ohne Regeln. Und ich hab schon - wenn man recht behält, ist ja nicht so gut, aber trotzdem - immer gesagt: Die Finanzwelt vagabundiert hin und her, wir brauchen finanzielle Regelungen. Die kriegen wir jetzt offensichtlich auch dank Steinbrück, der gute Vorschläge macht.

    Und dann muss man sagen: Es kann nicht sein, dass die soziale Marktwirtschaft, die wir alle wollen, so definiert wird, wie die Unternehmer es wollen. Ich finde es schon spannend, dass sie jetzt zwar einen Schutzschirm wollen mit viel Milliarden Euro Hilfe, dass sie aber sagen: Der Staat soll sich raushalten. Das geht eben nicht zusammen.

    Ich bin dagegen, dass der Staat Unternehmer spielt. Ich bin dagegen, dass der Staat sich dort einmischt, wo die Wirtschaft es besser kann. Aber dass wir Spielregeln brauchen, dass wir Kontrollen brauchen, dass wir mehr handlungsfähigen Staat brauchen, das ist doch eindeutig jetzt. Und das muss man auch durchbuchstabieren, und da muss man auch dazu stehen und nicht fackeln.

    Burchardt: Aber dann die Frage an die erfahrene Gewerkschafterin Anke Fuchs: Es gab mal einen Gewerkschaftsvorsitzenden, der hieß Heinz Kluncker, ÖTV, was heute Verdi ist. Und die maßlosen Forderungen, wie es später hieß, damals von Kluncker, die gingen ja bis zu 16 Prozent Lohnerhöhung. Willy Brandt war Bundeskanzler. Und man sagt ja auch, dass dieses auch ein Grund für seinen Rücktritt gewesen sein soll.

    Wie gefährlich sind eigentlich dann überzogen erscheinende Forderungen der Gewerkschaften in diesen Tagen, wo der Staat eigentlich gestärkt und nicht geschwächt werden sollte?

    Fuchs: Die können schon gefährlich sein. Ja, die Kluncker-Geschichte darf man nicht in die heutige Zeit übertragen. Das war eine Sondersituation, weil die Gewerkschaften übermütig waren und meinten, dem Willy Brandt eins verpassen zu können. Das war unredlich, und das wäre …

    Burchardt: Willy Brandt: SPD, muss man dazu sagen.

    Fuchs: Willy Brandt, SPD, und Heinz Kluncker, SPD auch. Das hat das Verhältnis zwischen SPD und Gewerkschaften damals ziemlich belastet, und auch heute sind natürlich überzogene Forderungen wirtschaftspolitisch nicht vertretbar. Trotzdem müssen die Gewerkschaften das machen, und Sie werden mitverfolgt haben, dass all die Lohnerhöhungen, die jetzt durchgesetzt werden sollen, bei der Bevölkerung eigentlich auf Sympathie stößt. Es ist ja nicht so, dass die Leute sagen: Wir wollen keine Lohnerhöhung und es ist nicht akzeptabel. Die Frage ist nur, wie kann man das ökonomisch vernünftig so aufbereiten, dass die unternehmerische Wirtschaft es verkraften kann. Das ist der ewige Balanceakt und die ewige Auseinandersetzung. Aber heute sehe ich das so, dass die Gewerkschaften, dass die das verantwortungsbewusst machen.

    Burchardt: Könnte die Tarifautonomie der Gewerkschaften zur Disposition gestellt werden?

    Fuchs: Nein, die kann überhaupt nicht zur Disposition gestellt werden, muss sie auch nicht. Wir müssen sehen, dass wir immer wieder darauf drängen, dass sie sich an einen Tisch setzen, dass sie so viel Schlichtungsverfahren machen, wie sie wollen. Aber im Endeffekt müssen Gewerkschaften und Arbeitgeber zusammen die Tarifautonomie gestalten. Das wissen auch alle.

    Und diese Heißsporne, die manchmal auf beiden Seiten sind, wissen ganz genau, dass man da irgendwie wieder an den Tisch zurückkehren muss und miteinander verhandeln muss, und das hat ja auch immer ganz gut funktioniert, und das funktioniert ja auch jetzt, wenngleich ich gelesen habe, dass irgendjemand den Herrn Huber von der IG Metall jetzt angemotzt hat. Nun denn, das muss auch sein. Aber im Augenblick freu ich mich sehr, dass beide Seiten die Sozialpartnerschaft akzeptieren.


    "Aber dann hab ich schnell entdeckt, das ist ein soziales Thema, sehr wichtig für die meisten Menschen bei uns in unserem Land. Wir sind ja ein Mieterland."

    Gesellschaftliche Herausforderungen
    Burchardt: Ihr Bruder Knut Nevermann war Protagonist der 68er - sicherlich nicht die ganz große Prominenz wie Rudi Dutschke, aber trotz alledem: Er ist jemand, der das nun wirklich sehr hautnah miterlebt und auch mit gestaltet hat. Welche Rolle haben Sie damals gespielt?

    Fuchs: Sie müssen bedenken, dass ich in der Zeit schon beim DGB war, verheiratet, zwei kleine Kinder. Insofern hatte ich für Politik gar nicht so viel Zeit und hab auch die Zeit positiv in Erinnerung, denn die Große Koalition damals machte eine ganze Menge arbeitnehmerfreundliche Gesetze. Und ich reiste in der Weltgeschichte herum, um zu erklären, wie toll das Ausbildungsförderungsgesetz ist oder die Mitbestimmung und wie tolle Gesetze auf den Weg gebracht wurden. Insofern hatte ich innerlich eine ganz andere Haltung als mein Bruder Knut als Student. Wir haben uns zu Hause ...

    Burchardt: Gab es da Konflikte?

    Fuchs: Ja, wir haben zu Hause fleißig gestritten. Wir sind mal Weihnachten in die Kirche gegangen, um den Streit abzubrechen, erinnere ich nur. Es ging hart her bei uns. Er hatte eine Freundin, Anke Wilkens, Anke Nevermann nachher. Die sagte immer: Du musst dein ganzes Leben infragestellen; und du musst überlegen, warum du morgens zur Arbeit gehst, und warum ... Also das war schon ein bisschen hart und auseinandersetzungsreich.

    Auf der anderen Seite finde ich, dass diese Studentenbewegung am Anfang recht hatte mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die sie forderten. Sie forderte es nur ein bisschen in einer Zeit, wo Willy Brandt es ja eh eigentlich wollte. Insofern ist er ein bisschen schlecht weggekommen eigentlich dabei. Also sie hatten recht mit den Auseinandersetzungen, und als Student können Sie natürlich ungestraft demonstrieren, können ungestraft Positionen vertreten, die keiner nachkontrolliert, und Sie können lernen, sich zu artikulieren. Insofern ist das auch ein wichtiger Erziehungsprozess für die, die dabei waren, und mein Bruder Knut hat bestimmt eine Menge von dem, was er später beruflich gemacht hat, eine Menge gelernt in den Jahren.

    Burchardt: Sie hatten eben die Große Koalition genannt, die ja von 1966 bis 1969 in der Tat regierte. Das war die Regierung Kiesinger/Brandt.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Es gab da auch die Notstandsgesetze. Und die Notstandsgesetze sind nun auch ein wesentlicher Impuls für diese Studentenbewegung gewesen damals. Wie haben Sie denn das beurteilt?

    Fuchs: Also Notstandsgesetze ...

    Burchardt: Und sie werden heute auch wieder, zumindest in Diskussionen, revitalisiert.

    Fuchs: Ja, richtig. Also Notstandsgesetze war sozusagen mein erstes großes Demonstrationsthema. Da bin ich mit auf die Straße. Da muss ich schon bei der IG Metall gewesen sein oder noch beim DGB. Auf jeden Fall - Notstandsgesetze ...

    Burchardt: Sie waren dagegen?

    Fuchs: ... war ich dagegen und hab auch mit demonstriert. Und als ich nachher später, im Jahre 1982, eine kurze Zeit Gesundheitsministerin war, sollte ich eins der letzten Gesetze der Notstandsgesetze umsetzen. Ich weiß nicht mehr genau, worum es geht, um Krankenschwestern, die ...

    Burchardt: Wahrscheinlich Einsatzhilfe?

    Fuchs: ... im Notfall geholt werden konnten. Das hab ich abgelehnt. Da hab ich großen Beifall gekriegt bei allen, die je gegen die Notstandsgesetzgebung waren, haben sie uns nach 20 Jahren wieder eingeholt. Aber wir sind da hartnäckig geblieben und haben es nicht gemacht, und da ging die Regierung eh kaputt ...

    Burchardt: Ja, wollte ich gerade sagen. Das ist nun nicht der Grund gewesen.

    Fuchs: Aber Helmut Schmidt hat zu mir gesagt: Das hast du klug gemacht. Also insofern hatte ich zwar den Auftrag, aber auch offensichtlich von ihm halbherzig, sodass ich mit seiner Unterstützung den ganzen Prozess stoppen konnte.

    Burchardt: Sie haben Helmut Schmidt schon zweimal vorher erwähnt, dann jetzt doch die Frage: Welche Beziehung politischer Art haben Sie zu Helmut Schmidt durch die Jahrzehnte gehabt bis heute?

    Fuchs: Er war ja Senator, als mein Vater Bürgermeister war und die berühmte Flutkatastrophe in Hamburg war. Insofern kannte ich ihn auch in der damaligen Zeit schon. Er hat mich immer wohlwollend unterstützt. Aber er war natürlich auch gelegentlich sehr kritisch mir gegenüber, um es vorsichtig auszudrücken, sodass man nicht immer seine Nähe suchte im Gespräch. Das überlässt man dann Leuten, die ihn nicht so gut kennen.

    Burchardt: Eine diplomatische Antwort. Aber Sie sind nicht nur Diplomatin gewesen in Ihrer Zeit, denn - in Ihrer politischen Zeit - dazu gehört ganz sicher auch die Phase als Präsidentin des Deutschen Mieterbundes, was Ihr Vater ja vorher auch war. Man ist versucht, zu fragen: Ist das ein Erbrecht - oder was war da unterwegs?

    Fuchs: Ja, das ist schon spannend. Also mein Vater war ja dann Präsident des Deutschen Mieterbundes. Und der hat das mit solchem Engagement gemacht, dass man doch eine Menge mitkriegte. Also ich bin auch mal mitgegangen zu Veranstaltungen. Es gibt einen Mietertag, da war er Präsident und ich Staatssekretärin, also insofern hab ich das alles bisschen mitverfolgt.

    Burchardt: Haben Sie dann gedacht damals: Das kann ich auch, was der kann?

    Fuchs: Nein, überhaupt gar nicht. Also Mietrecht war mir völlig fremd, auch Wohnungsbau, also für meine politische Arbeit. Aber dann hab ich schnell entdeckt, das ist ein soziales Thema, sehr wichtig für die meisten Menschen bei uns in unserem Land. Wir sind ja ein Mieterland. Und irgendwie hab ich es mehr begleitet, sodass ich auch dann als Präsidentin eigentlich Lust hatte zu den Inhalten. Und wir haben ja dann - ich bin 95 Präsidentin geworden -, dann kam die rot-grüne Regierung, da wurde das Wohngeld erhöht und das Mietrecht verändert, und wir haben eine ganze Menge vernünftiger Dinge auf den Weg gebracht, weil die rot-grüne Regierung uns zugetan war. Es war für den Mieterbund eine erfolgreiche Epoche.

    Burchardt: Ja, nicht nur die Politik, sondern auch der Bundesgerichtshof, …

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: ... der ja eigentlich doch - ja, man kann fast sagen - eine Trendumkehr mitmachte und sehr mieterfreundliche Gesetze losließ. Wie haben Sie als Juristin das gesehen?

    Fuchs: Also, die obersten Gerichte haben unterschiedlich geurteilt.

    Burchardt: Also zum Kündigungsschutz zum Beispiel.

    Fuchs: Kündigungsschutz als Beispiel haben wir gewonnen. Wir haben auch zur Energiepolitik und Energieverbrauch eine ganze Menge Urteile gewonnen. Es schwankt mal. Aber ich bin eigentlich mit der Rechtsprechung sehr zufrieden. Sie ist schon sehr mieterfreundlich. Insgesamt sind wir rechtlich ein mieterfreundliches Land.

    Burchardt: Ist das politisch akzeptabel im Augenblick in dieser Situation?

    Fuchs: Ja, deswegen warne ich ja davor, der FDP zu viele Stimmen zu geben. Dann geht das alles von vorne wieder los; dann fangen wir an mit Mitbestimmung und Betriebsverfassung und Kündigungsschutz, und auch Mietrecht wird dann verändert und die Eigenbedarfsklage wird abgeschafft und so. Also deswegen warne ich als Sozialpolitikerin alle Menschen davor, die FDP zu wählen. Denn alles, was wir jetzt mal mit Ruhe begleiten konnten die letzten zehn Jahre, würde dann wieder infragegestellt, und das wäre für die Demokratie und für die Leute nicht gut.

    "Frauen wählen ja nicht Frauen. Also als Frau haben Sie ja keinen Pluspunkt in dem Sinne."

    Parteikarriere - Akzeptanzprobleme in der SPD
    Burchardt: Nahezu geräuschlos, übergangslos sind Sie in die Parteipolitik abgerutscht oder haben die wieder auf den Tisch gelegt. Sie selbst sind ja in der SPD dann auch als Spitzenkandidatin angetreten. Einmal, im Vorfeld, haben Sie versucht, gegen Gerhard Schröder in Niedersachsen nominiert zu werden, und zum anderen haben Sie dann in dem einstmals roten Sachsen - um es mal so zu sagen - eine Niederlage als Spitzenkandidatin erlebt: 19 plus etwas Prozent, was heute noch als eines der besten SPD-Ergebnisse von damals genannt wird. So ändern sich die Zeiten. Aber zurück da in diese Richtung: Sind Sie in der Partei nie richtig akzeptiert worden? Was war da eigentlich los?

    Fuchs: Also, es ist richtig, ich kam ja von den Gewerkschaften in die Partei, also ich kam von der IG Metall dann nach Bonn in die Regierung als Staatssekretärin, wurde in den Parteivorstand gewählt, hab mich selbst zur Bundesgeschäftsführerin erklärt, was natürlich auch sehr spannend gewesen war.

    Burchardt: Ja, das war ja nun 1987. Das war eine spannende Zeit.

    Fuchs: War eine spannende Zeit.

    Burchardt: Kommen wir noch hin.

    Fuchs: Kommen wir noch hin. Und ich gehörte keiner ... ich bin dann zwar zu den Seeheimern gegangen, zu den Rechten, aber ganz gehörte ich da auch nicht hin. Ich war, wie Sie zu Recht sagen, im Grunde nie eingebunden. Und als Alleinkämpfer in der Partei haben Sie schwache Karten, zumal dann, wie in Niedersachsen, Gerhard Schröder mein Gegenkandidat parteiintern war, und die Truppen, die mich vorher aufgestellt hatten, schwenkten zu ihm rüber, weil er eben einfach der bessere Verkäufer war.

    Burchardt: Männer oder Frauen?

    Fuchs: Männer und Frauen, beide. Frauen wählen ja nicht Frauen. Also als Frau haben Sie ja keinen Pluspunkt in dem Sinne. Ist ja nicht so, dass Sie als Frau größere Chancen haben als als Mann; ich glaube, eher geringere.

    Burchardt: Wie beurteilen Sie denn die 40-Prozent-Quote der SPD in diesem Zusammenhang?

    Fuchs: Ja, das ist schon richtig,

    Burchardt: Das finden Sie richtig?

    Fuchs: Das finde ich richtig. Also ich bin ja von Alibifrau zu Quotilde geworden und hab diesen ganzen Kampf mitgemacht. Sie kriegen es auf eigene Weise nicht hin und deswegen muss es so verordnet werden; und heute ist es so selbstverständlich, dass es ganz in Ordnung ist. Und wir Frauen haben auch gelernt, miteinander Konkurrenzen auszuhalten, wir haben uns nicht gegenseitig unterstützt, sondern so gekämpft wie die Männer auch.

    Aber zurück zu Niedersachsen: Gerhard Schröder war mein Gegenkandidat und, wie gesagt, die parteiinternen Auseinandersetzungen hat er gewonnen. Wir waren inhaltlich gar nicht weit auseinander. Und was Sachsen anlangt, haben wir damals unterschätzt, dass wir als Sozialdemokraten ja nicht die Roten sind, die in Sachsen regiert haben, sondern das waren die Kommunisten. Und 40 Jahre SED-Herrschaft hat doch immer da hineintrompetet: Die Sozialdemokratie sind unsere Klassenfeinde.

    Burchardt: Ja, ich spiel da auch ein bisschen auf die Weimarer Republik an, da galt es ja als das rote Bundesland.

    Fuchs: Ja, galt es als das rote Sachsen, aber einschließlich Kommunisten.

    Burchardt: Ja, klar.

    Fuchs: Sozialdemokraten waren ja nicht die Stärksten allein, sondern mit anderen zusammen. Und nach der Wende war eben dann die Konkurrenz zur SED oder PDS damals dann doch da. Ich hab das mit großer Freude gemacht, weil: Ich bin schon ein Anhänger der Wiedervereinigung und finde es so was von fantastisch, dass kulturell der Osten wieder zu uns gehört, bin gerne durch die Lande gezogen und fand mich auch wirklich gut. Ich glaube, ich wäre eine gute Ministerpräsidentin geworden. Mit Biedenkopf waren wir sehr offen in Diskussionen, und man hat ja auch eine offene Medienlandschaft gefunden.

    Burchardt: War Biedenkopf denn eigentlich für Sie wirklich ein Gegner? Er ist ja auch einer der Protagonisten des Mitbestimmungsrechtes, des Betriebsverfassungsgesetzes damals gewesen. Und er ist ja eigentlich auch jemand, der auch sehr wendig ist. Woran haben Sie sich damals eigentlich dann gebissen?

    Fuchs: Nein, wir haben uns gar nicht gezankt. Wir waren für eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wenn die alle gemacht hätten, was wir beide wollten, wäre manches anders gelaufen. Also, das muss ich jetzt nicht alles runterbeten, aber die Leute erst arbeitslos zu machen und dann Arbeitsplätze schaffen, statt zunächst mal zu sehen, was ist an Arbeit da, da behalten wir sie im Prozess, das war unser beider Auffassung. Wir haben Verkehrsprojekte miteinander besprochen. Also wir waren an sich keine Konkurrenten im Inhalt.

    Burchardt: Ist das das Problem gewesen für das Ergebnis eventuell?

    Fuchs: Nein, das glaub ich eigentlich nicht. Es war mehr das Problem, dass wir die sozialdemokratischen Potenziale nicht ausschöpfen konnten und die Leute im Grunde dann mich auch nicht so kannten. Denn in Dresden gab es kein Fernsehen. Das hab ich auch erst hinterher gemerkt und gelernt.

    Burchardt: Das Tal der Ahnungslosen.

    Fuchs: Tal der Ahnungslosen. Und irgendwie hat die Mobilisierung nicht geklappt. Aber 19 Prozent wäre heute ein gutes Ergebnis. Aber ich war damals sehr enttäuscht deswegen.

    Burchardt: Sagen Sie das bitte nicht Herrn Steinmeier!

    Fuchs: 19 Prozent in Sachsen.

    Burchardt: Aha.

    Fuchs: Wenn wir in Sachsen wieder 19 Prozent hätten, das wäre schon mal gar nicht so schlecht. Das sieht übrigens auch so aus, als ob wir dahin wieder kommen. Also die Umfragen für die ostdeutschen Länder sind für die sozialdemokratische Partei durchaus ermutigend. Deswegen werden wir auch die Wahlen gewinnen. Passen Sie nur auf.


    "Es wäre leichter gewesen, wenn man mit der Einführung des Begriffes 'Generalsekretärin' auch die Zuständigkeiten geregelt hätte. Die waren ja nie geregelt. Also man war so ein bisschen Kofferträger von Hans-Jochen Vogel."

    Schnelle Wechsel
    Burchardt: Frau Fuchs, wir haben vorhin gesagt, 1987 war eine interessante Zeit. In der Tat, es war ja die Zeit auch des Rücktritts von Willy Brandt als Parteivorsitzender. Hans-Jochen Vogel wurde dann im Juni fast genau auf den Tag inthronisiert, 1987. Sie wurden Bundesgeschäftsführerin.

    Fuchs: Ja.

    Burchardt: Wie haben Sie diese Zeit mit Hans-Jochen Vogel, rückblickend betrachtet, gewertet und gesehen?

    Fuchs: Die Partei war eigentlich ganz gut aufgestellt: Er war ja sehr bürokratisch und hatte immer die Sorge, dass ihm ein Thema widerfährt, ohne dass er vorbereitet ist. Deswegen war er auch so darauf bedacht, alle Themen immer wieder durchzukauen, sodass man immer auf der Höhe der Zeit war.

    Und er hat sich enorme Mühe gegeben um die Partei als solche. Wir fuhren durch alle Landesverbände, fragten erst mal: Wie ist die Mitgliederentwicklung, wie ist die Beitragsentwicklung. Das war nicht sehr beliebt, aber wichtig. Also ich wünschte mir, dass die Partei sich so kümmerte.

    Persönlich war es schwierig, mit ihm zusammenzuarbeiten, weil er eben doch einen Führungsstil hatte, der dazu führte, dass man immer wie ein Dümmling aus Sitzungen wieder herauskam, sodass es schwierig war. Aber er hatte die Partei liebevoll geführt, finde ich, hat einen enormen Einsatz gegeben und hatte ja, wenn man das noch mal erinnert, das große Problem, dass die Nachfolgenden eigentlich schon rangelten, wer wird Nummer eins.

    Burchardt: Das war die Enkeldiskussion.

    Fuchs: Das war die Enkeldiskussion. Die war ja unerträglich. Die wollten lieber noch im Sandkasten spielen und mussten schon politische Verantwortung übernehmen. Und wir haben ja dann erlebt, wie viel Parteivorsitzende wir verschlissen haben.

    Burchardt: Das war am Jahrestag.

    Fuchs: Das war am Jahrestag mehr oder weniger, sicher richtig. Also da hat die Partei eine schwierige Zeit erlebt; und die hat Jochen Vogel gut gemeistert.

    Burchardt: Gerade dieser Punkt ist doch ganz interessant: Willy Brandt war 23 Jahre lang Parteivorsitzender; und danach wechselte das so schnell. Worauf führen Sie das zurück?

    Fuchs: Das führe ich darauf zurück, dass die Söhne- und Töchtergeneration von Willy Brandt nicht herangezogen wurde. Er hat ja ganz gern mit den Enkeln, wie es so schön heißt, Politik gemacht und hat Leute wie Jochen Vogel oder Johannes Rau oder den Bremer Bürgermeister Hans Koschnick, die hat er alle beiseitegeschoben, weil er auf die jungen Leute hoffte. Das heißt, der Einfluss derer mit viel Parteierfahrung war nicht so groß, wie er eigentlich hätte sein können.

    Burchardt: Hat er da etwas, sagen wir mal, den Stallgeruch selbst vermissen lassen?

    Fuchs: Das weiß ich nicht. Da müsste man ihn eigentlich fragen. Aber er fand natürlich toll, dass es die Riege von Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping und Gerhard Schröder - wen hab ich jetzt vergessen?

    Burchardt: Engholm.

    Fuchs: Engholm. Dass es die alle gab. Und die fand er natürlich interessanter als die, die so in seine Altersklasse hineinkamen. Und die jungen Leute waren zwar kämpferisch, aber im Grunde nur für Mehrheiten in der Partei, nicht wirklich für Inhalte, und die wollten die Parteimacht. Und als sie sie dann hatten, wussten sie nicht so recht, was sie damit anfangen sollen.

    Burchardt: Die Rolle, die Sie damals hatten, hieß Bundesgeschäftsführerin. Heute heißt sie Generalsekretär oder Generalsekretärin, im Moment ist es ein männlicher, Herr Heil. Wäre es besser gewesen, Sie wären Generalsekretärin gewesen damals? Hätten Sie dann auch mehr Einfluss ausspielen können?

    Fuchs: Ich war ja die erste gewählte Bundesgeschäftsführerin auf dem Parteitag, insofern hatte ich schon das Vertrauen der Partei ohnehin. Es ist ja immer ein Unterschied, ob Sie in der Partei was bewirken können oder ob Sie in den Gremien Rückhalt finden. Und in den Gremien hat man eben dann doch nicht so leicht Rückhalt empfunden. Generalsekretäre wollten wir uns nie nennen, weil die Kommunisten es so nennen. Aus Aversion gegen Kommunismus hieß ich Bundesgeschäftsführerin. Wir haben das gewählte ...

    Burchardt: Aber die CDU hatte ja damals auch einen Generalsekretär.

    Fuchs: Ja, richtig. Das war der Rühe eine Zeit lang, und dann ...

    Burchardt: Heiner Geißler vor allen Dingen.

    Fuchs: Heiner Geißler vor allen Dingen. Es wäre leichter gewesen, wenn man mit der Einführung des Begriffes "Generalsekretärin" auch die Zuständigkeiten geregelt hätte. Die waren ja nie geregelt. Also man war so ein bisschen Kofferträger von Hans-Jochen Vogel.

    Die Präsidiumsmitglieder wollten alle in der Öffentlichkeit auftreten. Ich hatte ja am Anfang eine unglaublich gute Presseresonanz; und als die Leute das merkten, sind sie alle mit mir in die Pressekonferenzen gegangen, und wenn zwei in die Pressekonferenz gehen, ist sie eigentlich schon erledigt. Mein Fehler war, dass ich an meiner eigenen Stärke zugrundegegangen bin, nämlich an meiner Gutmütigkeit. Wenn ich damals ruppiger gewesen wäre und gesagt hätte: So nicht, liebe Leute, hätte ich wahrscheinlich auch noch ein bisschen anders agieren können.

    Burchardt: In Ihre Zeit fällt ja damals auch der sogenannte SED-SPD-Dialog mit diesem berühmt-berüchtigten Papier. Wie beurteilen Sie das nachträglich? War das ein vorauseilender Gehorsam, insbesondere, sagen wir, aus der Gruppe Egon Bahr und andere, gegenüber der SED, um zumindest mehr Erleichterung für die Deutschen zu erreichen und nicht zu erkennen, dass tatsächlich schon so etwas wie eine Einheit sich anbahnen könnte?

    Fuchs: Also, zunächst mal war es ein Teil von Ostpolitik und Erleichterungen für die Menschen hüben wie drüben, wenn ich es so formulieren darf. Es war dann, glaub ich, aus der Sicht der SPD problematisch, weil die Sozialdemokratie West überhaupt nicht drauf vorbereitet war. Es kam dann plötzlich ein Papier ins Präsidium. Das mussten wir dann plötzlich abnicken. Ich fand es im Grunde richtig, aber es ist völlig falsch zu meinen, damals - 1988 war es ja, glaub ich - damals hätte sich schon abgezeichnet, dass da was brüchig ist.

    Burchardt: Na ja, es war ein Jahr davor.

    Fuchs: Ja, aber trotzdem, das war in unseren Köpfen nichts drin. Ich erinnere an die Rede, die Erhard Eppler im Deutschen Bundestag hielt, wo er sagte - und das hat mich sehr aufgeschreckt, weil ich das positiv begleiten wollte: Es ist nicht unsere Aufgabe als SPD, wegen sicherheitspolitischer oder ostpolitischer Konzepte ein marodes Regime zu unterstützen, ein marodes Regime zu unterstützen. Und wenn die Menschen was anderes wollen, dann müssen wir das auch akzeptieren.

    Burchardt: War das Papier eine Unterstützung eines maroden Systems?

    Fuchs: Ja. Das war es dann doch, weil sich die maroden SED-Leute mit uns an den Tisch setzten, und die sind ja auch alle dann ganz schön in der Versenkung verschwunden, als das alles den Bach runterging. Also die Auseinandersetzungen waren schwierig, und die SPD war eigentlich nicht gut darauf vorbereitet.

    "Die Demokratie als solche ist schon ein Bild an sich."

    Probleme der Einheit
    Burchardt: Sie sagten eben, Sie seien ein Fan der deutschen Einheit und fänden das alles ganz toll. Wer sagt es nicht. Aber es gibt auch Skeptiker natürlich. Trotzdem ist auch unübersehbar, dass die Probleme der Einheit auch jetzt, 20 Jahre danach, keineswegs überwunden sind, sondern eher noch zunehmen, auch durch die gesellschaftliche Spaltung, auch Stichwort "Mauer in den Köpfen". Was muss geschehen, auch aus Sicht einer Sozialpolitikerin, damit sich dieser Missstand irgendwann mal erledigt hat?

    Fuchs: Ich glaube, man muss immer wieder versuchen, den Wert von Demokratie, Freiheit und europäischer Einigung in die Köpfe zu bringen. Es hat keinen Sinn, nur sozialpolitisch zu antworten. Natürlich ist es wichtig, dass die Leute einen Job haben. Natürlich ist es auch gut, dass die eine Wohnung haben. Eine bezahlbare Wohnung haben sie alle. Das haben wir immerhin hingekriegt - eine Entwicklung, die ich positiv finde. Und natürlich brauchen wir Kindergartenplätze. Aber das wird nur gelingen, wenn wir den Menschen erklären, Demokratie ist auch ihre eigene Angelegenheit. Sie selbst müssen sich engagieren, so mühsam es auch sein muss, denn wir leben - das muss man sich nach dem Zweiten Weltkrieg vorstellen - wir leben in Einheit, wir leben in Europa, wir haben Freiheit und wir haben Frieden. Das sind Merke für ein Land, die so unvorstellbar war in der Nachkriegszeit, dass man es erst klären muss.

    Das klingt bisschen traditionell und es erreicht vielleicht die Leute auch nicht, aber in dem allen, was sie aktuell tun müssen, muss man eben die Grundlagen wiederholen und auch nach draußen tragen und auch den Leuten sagen: Also ein bisschen musst du auch mit beitragen, dass die Demokratie stabil bleibt, und das ist auch deine Angelegenheit. Du kannst nicht nur drauf gucken, ob du Steuerentlastungen oder Sozialgeschichten kriegst, sondern die Demokratie als solche ist schon ein Wert an sich.

    In unserer Reihe "Zeitzeugen" hörten Sie Rainer Burchardt im Gespräch mit Anke Fuchs.