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Soziale Kontrolle ist einzig wirksamer Schutz

Alle drei Tage wird in Italien eine Frau von ihrem Mann, Ex-Mann, Freund oder Ex-Freund getötet. Gewalt gegen Frauen innerhalb der Familie wird in der italienischen Gesellschaft immer noch tabuisiert. Für ihren Schutz macht sich jedoch in Italien kein Politiker stark.

Von Kirstin Hausen | 23.08.2012
    Ein Telefon, ein Fensterbrett mit Zimmerpflanze, leicht abgenutzte Sitzmöbel und ein großer Schreibtisch sind das Interieur des "Centro ascolto donna", einer Anlaufstelle für misshandelte Frauen in Varese.

    "Wenn ich über Gewalt gegen Frauen spreche, werde ich oft ungläubig gefragt, ob es die auch hier in Varese gibt."
    Erzählt Camilla Zanzi, die Vereinspräsidentin. Varese liegt 20 Kilometer entfernt von der Schweizer Grenze, ganz im Norden Italiens, und der Norden, so meinen viele Italiener, sei modern, der Süden dagegen kulturell rückständig. Die Gewalt hält sich jedoch nicht an regionale Grenzen, so die Erfahrung von Camilla Zanzi.

    ""Es passiert überall und leider auch dort, wo es niemand vermutet. Gewalt gegen Frauen entsteht immer dort, wo der Mann seine Frau oder Freundin als seinen Besitz betrachtet. So denken auch manche gut verdienenden Freiberufler, Ärzte, Anwälte und Polizisten. Aber wenn wir das öffentlich sagen, werden wir nicht ganz ernst genommen."
    Das Phänomen wird in Italien seit Jahren heruntergespielt. Misshandelte Frauen sind den italienischen Medien erst dann eine Nachricht wert, wenn sie tot sind. Erstochen, erwürgt, erschlagen von ihren Ehemännern.
    TV-Ausschnitt:
    Mehr als 70 Frauen sind seit Beginn des Jahres in Italien von Männern getötet worden, die beteuerten, sie zu lieben. Aus Eifersucht, aus Wut darüber, verlassen zu werden.
    Du darfst mich nicht verlassen - ist einer der häufigsten Sätze, den die Täter sagen, bevor sie zuschlagen. Camilla Zanzi spielt mit ihrer Halskette. Ihre hellblauen Augen funkeln. Sie ist Anfang Sechzig und engagiert sich seit 15 Jahren für Frauen, die vor gewalttätigen Männern flüchten müssen. Die Scheidung ist in Italien erst seit Mitte der Siebziger Jahre möglich. Vorher galt ganz wörtlich: bis dass der Tod uns scheidet. Und für manche Italiener gilt das auch heute noch. Renata Polverini, Präsidentin der Region Latium sieht die Familie und die Schule in der Pflicht.
    "Der Respekt vor den Frauen muss unseren Heranwachsenden so früh wie möglich vermittelt werden. Unser Land hinkt hinterher."

    Polverini gehört zur Partei von Silvio Berlusconi, der Italien jahrelang regiert hat. Das Thema Gewalt gegen Frauen gehörte nicht zu seinen Prioritäten. Und linke Politikerinnen wie Livia Turco halten die Medien des ehemaligen Regierungschefs für mitverantwortlich.

    "Weil das Frauenbild, das die Medien vermitteln, bedeutsam ist. Und in unserem Land werden Frauen im Fernsehen viel zu oft zu Objekten herabgewürdigt."

    Inzwischen regiert Mario Monti und eines der wichtigsten Ministerien, das Arbeits- und Sozialministerium, wird von einer Frau geleitet. Doch für Frauenhäuser und Gewaltpräventionsprogramme fehlt das Geld. Auch die jetzige Regierung hat in der Wirtschaftskrise andere Prioritäten.
    "Wenn es eine Priorität wäre, würde man schon Geld auftreiben. Im Übrigen gibt es viel ehrenamtliche Hilfe. Die Anlaufstellen für Frauen werden oft von Frauen geleitet, die keine Bezahlung verlangen."

    Von Frauen wie Camilla Zanzi. Sie verbringt drei Nachmittage der Woche im Büro des Zentrums, hört sich die Leidensgeschichten der Frauen an, die den Mut haben, zu ihr zu kommen und sucht für sie psychologischen und juristischen Beistand. Und ein Versteck. Denn wer seinen gewalttätigen Ehemann anzeigt, riskiert oft genug sein Leben.

    "Die Justiz in Italien ist bekannt für ihre Langsamkeit, und bis ein Prozess zu Ende ist und ein Urteil gefällt, vergehen Jahre."

    In dieser Zeit gibt es keine rechtliche Handhabe, den beschuldigten Mann von seiner Frau fernzuhalten. Zwar gilt seit drei Jahren ein Gesetz, dass die Opfer von Drohungen und Belästigungen schützen soll, doch es gehe nicht weit genug- sagt die Anwältin Ilaria Ramoni.

    "Das Gesetz ist rechtlich gesehen ein großer Fortschritt, aber es löst das Problem nicht. Wenn jemand eine Frau oder auch einen Mann mit Anrufen und SMS belästigt oder auf Schritt und Tritt verfolgt, kann die Polizei ihm das verbieten. Es ist aber nicht gesagt, dass er sich daran hält. Es kann auch dazu führen, dass seine Gewaltbereitschaft steigt."

    Der einzige wirksame Schutz ist die soziale Kontrolle. Solange aber Nachbarn und sogar Freunde und Verwandte wegschauen, wenn Frauen in der Familie misshandelt werden, wird die Zahl der Opfer in Italien kaum sinken.