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Soziale Netzwerke
Viele Beschwerden, wenig Transparenz

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zeigt Wirkung: Bei Facebook, Twitter und Co sind im vergangenen halben Jahr Tausende Beschwerden wegen Hass im Netz eingegangen. Der Blick hinter die Zahlen verrät allerdings: Welche Beiträge die Netzbetreiber löschen, bleibt undurchschaubar.

Von Christoph Sterz |
    Social Media Apps auf einem Smartphone
    Mit Hass im Netz haben es alle großen sozialen Netzwerke zu tun. (imago/Simon Belcher)
    1704 - das ist die überraschendste Zahl aus den NetzDG-Berichten der großen Plattformen. Bei Facebook, einem Netzwerk mit mehr als 30 Millionen Nutzern in Deutschland, sind von Januar bis Juni gerade mal 1704 Inhalte beanstandet worden - für Äußerungen, die mutmaßlich illegal sind.
    Das liegt wohl vor allem daran, dass Facebook das entsprechende Formular ziemlich versteckt hat, während es zum Beispiel bei Twitter sehr leicht zu finden ist. So kamen bei Twitter knapp 265.000 Beschwerden zusammen, beim Video-Netzwerk YouTube waren es bis Juni ebenfalls über 200.000 Meldungen.
    "Wir wissen nicht, was sie wirklich gelöscht haben"
    Aber egal, wie hoch die Zahlen im Einzelfall sind: Sie sind allesamt nicht aussagekräftig, meint die Geschäftsführerin des Vereins Digitale Gesellschaft, Elke Steven: "Wir wissen nicht, was sie wirklich gelöscht haben. Es könnte sein, dass sie viel zu viel gelöscht haben. Es könnte sein, dass sie manches gelöscht haben, was nicht hätte gelöscht werden müssen und anderes nicht gelöscht haben, wo man sagen würde, das müsste strafrechtlich verfolgt werden. Dass sie in den Berichten dann versichern, dass sie das in dem Sinne tun, wie es gesellschaftlich gewollt ist oder wie es die Regierung gewollt hat, das ist das Eine. Aber wir wissen nicht, was sie wirklich gelöscht haben."
    Auch wenn die veröffentlichen Zahlen zeigen, dass die Mehrheit der gemeldeten Inhalte nicht entfernt oder blockiert wird: Die digitalen Netzwerke sind nach Ansicht von Steven nicht transparent genug. Es sei nach wie vor nicht auszuschließen, dass es zu einem sogenannten Overblocking kommt: dass die Netzwerke lieber zu viel löschen als zu wenig, wegen einer möglichen Strafe von bis zu 50 Millionen Euro.
    Widersprüche und Strafanzeigen nicht erfasst
    In den Anfangstagen des Gesetzes war zum Beispiel ein Satire-Tweet der Zeitschrift "Titanic" gesperrt worden. Davon ist in den Berichten allerdings nichts zu lesen. Und auch sonst gibt es einiges, was nicht erläutert wird: zum Beispiel, ob und wie oft es Widersprüche gegen gelöschte oder gesperrte Inhalte gegeben hat oder wie oft es neben dem reinen Sperren auch Anzeigen gab - also wie es mit der strafrechtlichen Verfolgung der illegalen Inhalte aussieht.
    Das ist ein zentrales Problem, findet Elke Steven. "Strafverfolgung gehört in staatliche Hände und nicht in die Hände von privaten Unternehmen. Eine strafrechtliche Verfolgung von strafrechtlich relevanten Äußerungen führt eben auch zu einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung darüber, was gesagt worden ist und was das heißt und warum das strafrechtlich relevant ist. So werden Sachen gelöscht und eher noch verhindert, dass man sich gesellschaftlich damit auseinandersetzt."
    Kanzlerin Merkel hält am Gesetz fest
    Aber auch wenn Steven und andere Kritiker dabei bleiben, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ihrer Ansicht nach eine Gefahr für die Meinungsfreiheit ist: Die Bundesregierung will grundsätzlich an dem Gesetz festhalten, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel schon vor einigen Monaten in ihrem Videopodcast sagte: "Wir sind der festen Überzeugung, dass auch das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Das heißt, das, was in der Welt, die wir kennen, in der analogen Welt, geregelt ist, das muss in gewisser Weise auch in der Welt des Internets geregelt werden."
    Die aktuellen Zahlen zeigten, dass strafbarer Hass im Netz real sei, sagte der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Gerd Billen, der Deutschen Presse-Agentur. Das Gesetz zeige erste Wirkung, man stehe aber erst ganz am Anfang.
    Bisher noch keine Bußgelder
    Das gilt auch für das Bundesamt für Justiz. Das ist zuständig für die Frage, ob die großen Netzwerke die Anforderungen des Gesetzes erfüllen, zum Beispiel, ob sie rechtswidrige Inhalte nicht sperren, obwohl sie es müssten - oder, ob sie offensichtlich rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb der vorgegebenen 24-Stunden-Frist löschen.
    Auf Anfrage unserer Redaktion teilt das Bundesamt mit: "Zum 30. Juni 2018 sind 526 Meldungen nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingegangen. Die Gesetzesbegründung enthält eine Schätzung von rund 25.000 Meldungen pro Jahr. Der Gesetzgeber ging bei der geschätzten Zahl davon aus, dass diese Meldungen zum großen Teil unbegründet sein würden. Dies hat sich nicht bestätigt."
    Bußgelder hat es laut dem Bundesamt für Justiz bisher aber nicht gegeben. Die könnten in Zukunft übrigens noch über einen weiteren Weg vermieden werden: über das Einrichten einer unabhängigen Stelle, ein Expertengremium, an das die schwierigsten Fälle weitergeleitet werden können.
    Neue Expertenkommission geplant
    Solch ein Gremium gibt es bislang nicht. Laut der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia laufen dazu aber aktuell Gespräche mit den großen Netzwerk-Betreibern: "Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die rechtliche Bewertung von Onlineinhalten oft schwierig ist. Wir arbeiten derzeit gemeinsam mit unseren Mitgliedern daran, die Selbstregulierungsmechanismen des NetzDG umzusetzen. Wir wollen im vierten Quartal 2018 starten."
    Damit könnte zumindest etwas mehr Transparenz geschaffen werden, was das Löschen oder Sperren illegaler Inhalte angeht. Das gilt allerdings nur für Inhalte, die unter das NetzDG fallen, nicht für Inhalte, die Facebook und Co wegen der eigenen Hausregeln löschen - etwa, weil ihnen nackte Brüste nicht passen.
    Hier haben die Netzwerke in den letzten Jahren deutlich mehr gelöscht als vorher: Die großen neuen Medienriesen orientieren sich also ohnehin lieber an den eigenen Standards als an deutschem Strafrecht.