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Soziale Standards von Unternehmen
Das Geschäft mit den Menschenrechten

Seit dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch 2013 mit über 1.000 Toten geraten die dort billig produzierenden Unternehmen immer wieder in die Negativ-Schlagzeilen. Viele Firmen versuchen, von ihrem schlechten Image loszukommen - Hilfe bekommen Sie dabei vom ehemaligen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung.

Von Jens Rosbach | 18.12.2014
    Kinderarbeit. Ausbeutung. Gesundheitsgefährdung. Gewerkschaftsverbot. Markus Lönings Notizblock - ein kleines, schwarzes Büchlein - sammelt stichwortartig das Elend der Entwicklungsländer. Elend, das immer häufiger in den Medien auftaucht - weil deutsche Unternehmen in den "Billigstaaten" produzieren lassen.
    "Wir sehen, dass die Öffentlichkeit mehr Transparenz verlangt, da wird es auch einen Wettbewerb zwischen den Firmen geben: Wer meint es ehrlich - und wer nicht? Aber wer es nicht ernst betreibt, wird früher oder später auch auf der Nase liegen damit!"
    Löning - kurze graue Haare, Randlosbrille, blaues Jackett - war bis 2013 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Heute berät der 54-jährige FDP-Mann Konzerne, wie sie Sozial-Standards in Südostasien und Südamerika garantieren können.
    "Ich glaube, das ist ein neuer Trend."
    Ob Textil-, Lebensmittel- oder Technik-Zulieferer: Lönings Kunden wollen Negativ-Schlagzeilen verhindern. So fragt ihn ein deutsches Unternehmen, wie es Arbeits- und Lohnbedingungen ausländischer Bauern kontrollieren könne. Und ein Autokonzern will von dem Ex-Politiker wissen, ob man Fahrzeuge mit GPS-Modulen überallhin liefern dürfe - auch in Diktaturen.
    "Man muss natürlich davon ausgehen, dass in autoritären Staaten, ob das jetzt Russland ist, ob das China ist, ein Missbrauchspotenzial besteht - dass dort Geheimdienste versuchen, an Daten aus diesen Autos heranzukommen. Das ist für die Autohersteller ein ganz neues Dilemma. Diese Module kann man natürlich in bestimmten Ländern rausnehmen. Denn natürlich möchte kein deutscher Hersteller seine Kunden da womöglich in Schwierigkeiten bringen."
    Oberflächliche PR-Aktionen?
    Markus Löning hat aus seinem Menschenrechts-Amt ein Geschäftsmodell entwickelt. Und seine Beratung könnte bald schon boomen. Denn die EU hat eine neue Bilanzrichtlinie verabschiedet. Diese verpflichtet große Unternehmen, bei ihrer Rechnungslegung auch über die Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsbelangen zu informieren.
    "Zum einen werden die Großen natürlich an ihre Zulieferer ihre Transparenzanforderungen weitergeben, das wird sehr schnell eben auch auf den Mittelstand durchschlagen: Wer ist transparent, wem kann ich vertrauen?"
    "Also, die Industrie hat sicherlich Angst, dass das Image geschwächt wird, dass das Image geschädigt wird. Leider ist die Angst nicht groß genug, wirklich substanziell was zu ändern."
    Berlin-Friedrichshain, in einem alten DDR-Plattenbau. Ein schlichtes Büro, beklebt mit Plakaten gegen Hungerlöhne und Ausbeutung in Schwellenstaaten. Auf den Tischen: kritische Broschüren über Discounter wie Aldi. Es ist das Berliner Büro der christlichen Initiative Romero - Gründungsmitglied der internationalen Kampagne für saubere Kleidung. Aktivistin Sandra Dusch Silva glaubt nicht an ein ehrliches Bemühen der Industrie. Sie spricht von oberflächlichen PR-Aktionen, von "Social Washing". Der Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch habe dies bewiesen:
    "Ein Jahr vor Rana Plaza haben wir Lidl, haben wir Aldi, haben wir Kik mit einer Studie aus Bangladesch konfrontiert und sie aufgefordert, die Missstände zu beseitigen. Rana Plaza musste erst nötig sein, um irgendwas Zusätzliches zu tun."
    Der Verein Romero klagt, dass die Supermarktketten in ihren Werbespots etwa einen guten Draht zu Farmern in Südamerika suggerieren. Tatsächlich habe eine eigene Untersuchung das Gegenteil gezeigt - speziell bei den Orangensaftherstellern.
    "Die Studie hat ergeben, dass die Arbeiter und Arbeiterinnen auf den Plantagen kaum Lohn kriegen, dass sie in Unterkünften leben, die menschenunwürdig sind, dass es in den Fabriken häufiger zu Unfällen kam. Da gibt es überhaupt keine Initiative, das zu beseitigen."
    Kritik an Unternehmen, die lauthals mit Sozialstandards werben, kommt auch aus der Wirtschaft selbst:
    "Dieses Greenwashing-Phänomen oder Social-Washing-Phänomen möchte ich nicht bestreiten, es ist sehr misslich, weil es auf diese Art und Weise immer wieder zu Vertrauensverlusten beim Konsumenten kommt, und das verzerrt letztendlich den Markt."
    Löning: "Wenn ihr drüber sprecht, tut's auch!"
    Johannes Merck ist beim Otto-Konzern Direktor für CSR, für Corporate Social Responsibility. In seiner Abteilung kümmern sich 13 Mitarbeiter um Umweltschutz, Nachhaltigkeit und gerechte Löhne. Die Unternehmensgruppe hat für einzelne Produkte Labels kreiert, die bestimmte Sozialstandards garantieren. Wie "Cotton made in Africa" - ein Label, das einen umweltschonenden Baumwollanbau und eine Schulung der Bauern garantiert.
    "Die Nutzung nachhaltiger Rohstoffe, zum Beispiel von "Cotton made in Africa", belastet die Kalkulation eines Artikels ungefähr mit zwei Prozent. Sodass wir hier bei dem großen Volumen, was wir mittlerweile einsetzen, einen beachtlichen zweistelligen Millionenbetrag aufbringen müssen, um alle unsere Produkte in dieser Qualität auch anzubieten."
    Während einige NGOs, wie Germanwatch, der Otto Group echtes Engagement attestieren, üben andere Gruppen Kritik an dem Konzern. So klagt die Initiative Romero, dass die Masse der Versandhaus-Produkte weiterhin ohne Label und ohne Transparenz verkauft wird. Zudem bemängelt sie, dass Otto aus dem sogenannten Textilbündnis ausgestiegen ist. Das Bündnis war von Entwicklungshilfeminister Gerd Müller, CSU, initiiert worden und sollte Umwelt- und Sozialstandards in der gesamten Lieferkette sicherstellen. Doch der Wirtschaft gingen die Forderungen zu weit. CSR-Direktor Merck verspricht allerdings, noch mehr Produkte fair und sauber herzustellen - und auch das Textilbündnis nicht abzuschreiben:
    "Wir werden in einen guten Dialog kommen und die Otto Group wird früher oder später auch diesem Textilbündnis beitreten können."
    Neue, gerechte Standards für Produkte aus Entwicklungsländern? Offenbar noch ein weiter Weg. Berater Markus Löning warnt die Branche vor reinen Werbefeldzügen.
    "Mein Rat an die Unternehmen ist immer: Wenn ihr drüber sprecht, tut's auch! Denn wenn ihr nur drüber sprecht, werden die Leute relativ schnell merken, dass ihr versucht, hier zu flunkern."