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Sozialer Tod

Eigentlich gilt die Sklaverei offiziell als abgeschafft, doch sie existiert noch heute, und es hat sie zu allen Zeiten gegeben. Dabei war sie beileibe nicht allein ein Problem der US-amerikanischen Südstaaten. Darauf verweisen die Autoren des Buches "Schwarzes Amerika - Eine Geschichte der Sklaverei". Den Opfern der Sklaverei räumen Jochen Meissner, Ulrich Mücke und Klaus Weber ebensoviel Raum ein wie den Profiteuren des Menschenhandels. Marcus Pindur hat das Buch gelesen.

    Die Sklaverei in Form des transatlantischen Sklavenhandels entwickelte sich just in der Zeit, die gemeinhin in der europäischen Geschichte für ideellen Aufbruch und moralischen und politischen Fortschritt steht: vom frühen 16. bis ins späte 19. Jahrhundert - in der Epoche, die unter anderem Renaissance und Aufklärung umfasst. Die Autoren des Bandes gehen der Frage nach, welche Rolle dieser Sklavenhandel in der Geschichte Europas, Afrikas und der beiden Amerikas spielte.

    Atlantischer Sklavenhandel und Sklaverei sind keine entlegenen Spezialthemen, die mit unserer eigenen Geschichte wenig zu tun haben. Die atlantische Sklaverei war ein Motor für landwirtschaftliche, industrielle und finanzwirtschaftliche Innovationen, da sie aufgrund der außerordentlichen Investitionen, der langfristigen Investitionen und des großen Kapitalbedarfs besonders anspruchsvolle Anforderungen an die zu organisierenden Handels- und Kreditbeziehungen stellte. Die Bedeutung des Sklavenhandels für jene Prozesse, die wir heute Globalisierung nennen, kann also kaum überschätzt werden.
    Die Verfasser gehen transnational vor, sie vergleichen, sie stellen internationale Zusammenhänge dar. Ein erfreulich moderner, zeitgemäßer und auch dem Gegenstand angemessener Ansatz. Dabei wenden sich die Autoren an ein Publikum von Studenten und historisch interessierten Laien. Den Opfern der Sklaverei wird dabei ebensoviel Raum eingeräumt wie den Profiteuren und Tätern, auch dies eine moderne Herangehensweise. Die Kultur der Sklaven prägt zu einem nicht unwesentlichen Teil bis heute die Kultur der Sklavereigesellschaften, sei dies in Brasilien, der Karibik oder in den USA. Der Motor des transatlantischen Sklavenhandels war die Nachfrage nach Zucker - eines Stoffes, der zunächst fast in Gold aufgewogen wurde und nur in feuchtheißem Klima gedieh. Prof. Ulrich Mücke von der Uni Hamburg, einer der Co-Autoren des Bandes "Schwarzes Amerika":

    "Zuckerrohr ist von Brasilien bis in die Karibik das wichtigste Produkt für die Sklaverei gewesen, und die meisten Sklaven, die in den Amerikas lebten, bis ins 19. Jahrhundert, also bis zur Abschaffung der Sklaverei, dann in den karibischen Gebieten und schließlich in Brasilien, haben auch im Zuckerrohr gearbeitet. Und das funktioniert deshalb, weil man mit Zuckerrohr Geld verdienen kann. Zuckerrohr ist so eine Art Erdöl der frühen Neuzeit, nur mit dem Unterschied, dass Sie dazu viel Arbeitskraft gebrauchen. Aber wenn Sie die Arbeitskraft haben, können Sie in diesem für europäische Verhältnisse doch relativ entlegenen exotischen Gebiete enorme Gewinne erwirtschaften."
    Schätzungsweise acht Millionen Afrikaner wurden zwischen 1492 und 1820 in die Amerikas verschleppt - unter den brutalsten, menschenunwürdigsten Bedingungen - viele starben schon kurz nach der Gefangennahme oder auf der berüchtigten Überfahrt.
    Viele Historiker sehen den eigentlichen Kern der Sklaverei in der Herauslösung aus allen sozialen Beziehungen. Da der Mensch ein soziales Wesen sei, vernichte der mit der Sklaverei verbundene soziale Tod die Persönlichkeit der Sklaven. Immer wieder versuchten sie, Familien aufzubauen und Freundschaften zu pflegen, aber stets in sehr prekärer Lage, denn Familien konnten ohne weiteres durch den Verkauf einzelner Familienmitglieder zerrissen werden. Die Sklaverei rief wegen ihrer offensichtlichen Grausamkeit auch stets Widerspruch hervor. Diese Opposition formierte sich als politische Kraft im ausgehenden 18. Jahrhundert. Diese Bewegung der sogenannten Abolitionisten speiste sich aus den freiheitlichen Ideen der Aufklärung, hauptsächlich aber aus christlichen Quellen. Vorneweg dabei die Quäker, eine protestantische Sekte. Sie organisierten in Großbritannien und den USA regelrechte Kampagnen gegen Sklaverei. Mit Erfolg: Schritt für Schritt wurde von 1807 an in Großbritannien und seinem Kolonialreich die Sklaverei per Gesetz verboten. In den 50 Jahren danach wendete die britische Navy ebensoviel Geld zur Bekämpfung der Sklaverei auf, wie britische Kaufleute in den 50 Jahren zuvor an ihr verdient hatten. Was in dem Band "Schwarzes Amerika" fehlt, ist eine kurze Darstellung des ideologischen Hintergrundes, vor dem die Sklaverei betrieben wurde. Die Autoren begnügen sich mit dem Hinweis, Sklaverei sei als notwendiges Übel zur Christianisierung akzeptiert oder mit angeblicher kultureller Überlegenheit begründet worden.

    "Wir diskutieren das nicht ausführlich, wir sprechen das allerdings in einem der einleitenden Kapitel kurz an, dass unserer Meinung nach Sklaverei nicht aus dem Rassismus entsteht, sondern der Rassismus aus der Sklaverei. Wir sind also nicht der Auffassung, dass man Afrikaner versklavt hat, weil man ein besonders schlechtes Bild oder eine besonders negative Vorstellung von Afrikanern hatte, vielmehr galt Sklaverei im 15./16./17./ 18. Jahrhundert als etwas ganz normales, dass die Menschen, die es halt traf, getroffen hatte. Das heißt die Frage diskutieren wir eventuell nicht, weil es keine Frage war in der früheren Neuzeit, und dass da so ein komplexes und gut funktionierendes und lange bestehendes System der Sklaverei entstand, das hat tatsächlich unseres Erachtens seinen Antrieb in den Wirtschaftsbeziehungen des atlantischen Raums."
    Es bleibt ein Widerspruch: Einerseits billigen die Autoren dem christlichen Widerstand gegen die Sklaverei die Hauptrolle bei der Abschaffung von Sklavenhandel und Sklaverei zu, andererseits unterbleibt eine Debatte über die Geisteshaltung, die den atlantischen Sklavenhandel erst ermöglichte. Die Autoren lenken den Blick aber dafür auf etwas anderes: Nicht nur die Gesellschaften, die direkt mit Sklaven handelten und produzierten, bereicherten sich am transatlantischen Sklavenhandel. Auch andere europäische Länder wie Deutschland profitierten davon, hauptsächlich durch die Ausfuhr von Waffen und Stoffen, beides wichtig als Tauschware:

    Für die Entwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung in den deutschen Ländern war dieser Export von enormer Bedeutung. Besonders in den landwirtschaftlich weniger ertragreichen Mittelgebirgsregionen wurde Wachstum nur durch die Leinenweberei und andere Nebenerwerbe möglich. Während der Sklavenhandel also dem afrikanischen Kontinent schwere Bevölkerungsverluste zufügte, konnten mitteleuropäische Regionen durch die Produktion der Tauschwaren zusätzliche Grundnahrungsmittel einführen und so demographisch profitieren.
    "Schwarzes Amerika" ist ein sehr gutes und lesenswertes Buch. Es ist mit seinem transnationalen Ansatz methodisch auf dem neuesten Stand, es vereinbart eine Darstellung des transatlantischen Sklavenhandels mit einer Diskussion der wichtigsten Forschungsansätze. Die Autoren befleißigen sich einer nüchternen, klaren, aber dennoch eindringlichen Sprache. Das Buch verfügt über einen umfangreichen und sehr nützlichen Literaturanhang. Und es verweist darauf, dass es Ausbeutung bis hin zur Sklaverei auch in unseren Tagen noch gibt. Die International Labour Organisation, die Arbeitsorganisation der UNO, schätzt, dass weltweit über zwölf Millionen Menschen wie Sklaven behandelt werden:

    Das Phänomen ist in Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern gleichermaßen verbreitet. Es betrifft nicht nur minderjährige Bauarbeiter in Indien, Näherinnen in chinesischen und mittelamerikanischen Sweatshops, Kindersoldaten in Afrika oder Landarbeiter in Brasilien, sondern auch Haussklaven in London und Paris oder Zwangsprostituierte in München und Berlin.

    Das Buch "Schwarzes Amerika - Eine Geschichte der Sklaverei" von Jochen Meissner, Ulrich Mücke und Klaus Weber ist im C.H. Beck Verlag erschienen. 320 Seiten für 26 Euro 90