Zagatta: Herr Böhmer, eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission hat sich gerade gegen einen sozialen Pflichtdienst ausgesprochen und für einen freiwilligen Dienst plädiert. Warum wollen Sie den Zwangsdienst vorziehen?
Böhmer: Also, ich habe nicht gesagt, dass das unbedingt vorzuziehen wäre, aber ich bin dafür, dass wir ein solches Jahr einführen. Wenn es auf freiwilliger Grundlage möglich ist und alle erfasst, dann wäre mir das fast noch lieber. Aber wir müssen natürlich für eine bestimmte Gerechtigkeit innerhalb einer Generation sorgen, aber auch zwischen den Generationen. Und da mir bekannt ist, dass sicherlich nicht mehr alle jungen Männer, die dafür in Frage kämen, zum Militärdienst eingezogen werden können, und das ist vielleicht auch gar nicht unbedingt erstrebenswert, dann muss man dafür sorgen, dass die anderen, die nicht eingezogen werden, in irgendeiner Weise eine andere Leistung erbringen, damit es auch innerhalb einer Generation gewisse Gerechtigkeit gibt. Und man kann das durch das Gesetz machen, man kann das als Pflichtjahr machen, man kann das aber auch freiwillig machen, aber dann muss man an die Erfüllung dieses Jahres bestimmte andere Vorteile bilden oder binden. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass man bei der Vergabe von Studienplätzen oder bei anderen Sachen dieses dann in gewisser Weise honoriert, darüber kann man reden.
Zagatta: Ja, das ist das eine Modell. Wenn Sie jetzt aber über einen Pflichtdienst tatsächlich nachdenken, das sagen ja Wohlfahrtsverbände, die mit dem Zivildienst Erfahrung haben, ein solcher Pflichtdienst, das sei eigentlich unsinnig, weil die Pflege von kranken oder alten Menschen nur auf freiwilliger Basis funktionieren könne. Ist das denn so falsch, was sagt denn da der frühere Arzt Wolfgang Böhmer?
Böhmer: Ja, es heißt ja nicht, dass nun alle unbedingt in der Altenpflege eingesetzt werden müssen. Es gibt doch eine ganze Reihe anderer Arbeiten, die erfüllt werden können mit einem solchen sozialen Dienst. Das muss ja nicht nur in der Kranken- oder Altenpflege sein.
Zagatta: An welche Aufgaben denken Sie da noch?
Böhmer: Da kann es zum Beispiel Infrastrukturaufgaben geben, die erfüllt werden müssen, da hat es ja schon eine Reihe von Ideen und Möglichkeiten gegeben, die in diesem Zusammenhang angeboten worden sind. Man kann auch meinetwegen Essen auf Rädern organisieren, oder alles dies sind Sachen, die haben bisher noch niemanden geschadet, auch dann nicht, wenn er es nicht unbedingt nur freiwillig gemacht hat.
Zagatta: Wäre da genug Arbeit da für 500.000 Menschen oder noch mehr, das sind ja die Zahlen, die da durch den Raum schweben?
Böhmer: Das ist eine Frage, die kann ich jetzt auch nicht abschließend beurteilen, aber ich habe den Verdacht, dass es eine ganze Reihe von Leistungen gibt, die wir auch niemals werden öffentlich bezahlen können. Und wir haben jetzt schon, dann in den neuen Bundesländern, viele Leistungen über SAM oder ABM organisiert, die von der öffentlichen Hand nicht bezahlt werden können, und die muss man dann möglicherweise auf einem solchen Weg organisieren.
Zagatta: Aber wenn Sie da 500.000 Menschen pro Jahr, junge Menschen, Frauen und Männer, oder wohlmöglich noch mehr quasi öffentlich beschäftigen wollen, solche Mehrausgaben zu finanzieren in diesen Zeiten, wo überall gespart wird, wo es an Geld fehlt für Krankenhäuser, für Schulen, halten Sie das für vorstellbar?
Böhmer: Ich halte das für vorstellbar, denn das ist keine lohnbringende Arbeit, die voll bezahlt werden sollte und auch gar nicht kann. Das ist auch jetzt nicht der Fall. Und eine ganze Reihe von Arbeiten bleiben jetzt liegen, weil sie entweder nicht bezahlt werden können, oder weil sie wie gesagt über die Möglichkeiten des zweiten Arbeitsmarktes organisiert werden. Und da das sowieso wegfallen wird, halte ich das für denkbar und ich gehe auch nicht davon aus, dass alle jungen Leute, vor allen Dingen alle jungen Mädchen oder Frauen dafür in Frage kommen. Da gibt es ja eine ganze Reihe von Umständen, die sicherlich vernünftigerweise dann dafür eine Begründung liefern, dass die Betreffenden nicht daran teilnehmen können.
Zagatta: Welche Begründung, warum sollen da Frauen wieder ausgenommen werden?
Böhmer: Wenn zum Beispiel eine junge Frau Mutter ist, dann bin ich der Meinung, ist das schon eine Leistung für die Gesellschaft, die sie dann von solchen Pflichten entbindet. Und das kommt ja immer häufiger vor.
Zagatta: Herr Böhmer, passt so ein Pflichtdienst, oder allein schon dieser Vorschlag überhaupt in die Zeit? Das würde ja dann bedeuten, dass diejenigen, die dazu in Frage kommen, dass die jungen Leute wieder ein Jahr später in den Beruf kommen, dass sie wieder ein Jahr später zum Studium kommen. Deutschland hat doch jetzt schon die ältesten Studenten der Welt.
Böhmer: Nein, das muss man so nicht sehen. Wenn wir das Abitur auf zwölf Jahre allgemeine Schulbildung zurück führen, und das wollen ja fast alle, dann würde das kein zusätzliches Jahr bedeuten. Und man muss sich natürlich fragen, was in die Zeit passt. Wenn es darum geht, Forderungen gegenüber der Gesellschaft zu erheben, dann passt scheinbar alles in die Zeit. Und wenn es darum geht, das wir erwarten, dass die jungen Menschen wenigstens ein Jahr in ihrem Leben einmal etwas für diese Gesellschaft tun, dann werden nur die Hinderungsgründe genannt. Das ist schon ein Problem, was wir einmal ausdiskutieren müssen.
Zagatta: Bei Forderungen oder Stichwort Forderungen, die da in die Zeit passen, Herr Böhmer, da schon noch kurz zum Schluss vielleicht zu einem ganz anderen Thema. Die Steuerpläne der Union, die sind ja auch da, die stehen ja jetzt im Raum. Jetzt heißt es aus der CDU wieder, die von ihrer Partei angekündigte Entlastung von mehr als 20 Milliarden Euro, die da im Gespräch war, die gelte jetzt gar nicht mehr. Was gilt denn noch in Ihrer Partei?
Böhmer: Ja, nein, das ist ein meiner Ansicht fast vorsätzliches Missverständnis, sondern Frau Merkel hat deutlich gesagt, dass ein Vorschlag für eine Steuerreform von der Bundesregierung kommen muss und dass wir bereit sind, mit unseren Vorstellungen dann einen Kompromiss zu suchen. Und wenn von der Bundesregierung nichts kommt, dann wird es eine vorgezogene oder eine Steuerreform in diesem Jahr, die dann zum ersten Januar 2005 in Kraft treten könnte, nicht geben.
Zagatta: Das ist klar, aber von den 25 Milliarden ist Herr Merz ja mittlerweile auch schon wieder abgerückt.
Böhmer: Ja, nun Gott, ich muss einmal ganz deutlich sagen, das ist eine Frage, was wir einem Haushalt zumuten können und was wir nicht zumuten können.
Zagatta: Genau.
Böhmer: Sie werden bestimmt eine ganze Reihe von Sendungen gemacht haben, wo die Leute erzählen, was alles noch von der öffentlichen Hand geleistet werden müsste. Das kann sie nur, wenn sie auch Einnahmen hat und deswegen müssen wir uns ganz klar darüber werden, auch in dieser Gesellschaft, was wir vom Staat erwarten und was nicht, aber das, was wir erwarten, muss auch über Steuereinnahmen finanziert werden.
Zagatta: Wolfgang Böhmer, der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Herr Böhmer, schönen Dank nach Magdeburg.
Böhmer: Bitte, Herr Zagatta.
Zagatta: Danke schön, auf Wiederhören.
