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Soziales Projekt
Crowdfunding fürs Grundeinkommen

Auf "mein-Grundeinkommen.de" kann man an einer Verlosung für eine monatliche Rente von 1.000 Euro teilnehmen - finanziert aus Crowdfunding. Die Idee der Initiatoren: Wer von Geldsorgen befreit ist, kann sich den wichtigen Dingen des Lebens widmen.

Von Benjamin Dierks | 23.04.2015
    "Joshua ist 25 Jahre alt, lebt bei seinen Eltern, weil er gerade sein Studium abgebrochen hat, und will sich in nächster Zeit selbstständig machen als IT-ler, um Spiele zu programmieren."
    "Cool!"
    "Schön!"
    "Da haben wir ja eine ganz schöne Vielfalt..."
    Ein heller Altbauraum in Berlin-Kreuzberg. Michael Bohmeyer sitzt mit seinem Team zusammen und Mitarbeiterin Amira Jehia präsentiert stolz den neuesten Gewinner ihrer Initiative Mein-Grundeinkommen.de: Joshua, der 25-jährige Studienabbrecher hatte Glück. Er wurde bei einer Verlosung in der vergangenen Woche aus gut 30.000 Teilnehmern gezogen. Nun wird er ein Jahr lang jeden Monat Geld erhalten. Geld, das Bohmeyer und sein Team vor allem über Spenden eingesammelt haben. Teilnehmen kann jeder. Egal ob Firmenbesitzer oder Arbeitsloser, es soll ein tatsächlich bedingungsloses Grundeinkommen sein. Das ist die Idee. Joshua ist schon der Zehnte, der sich darüber freuen darf.
    "Wir machen Mein-Grundeinkommen.de, das ist eine Kampagne fürs bedingungslose Grundeinkommen, aber es ist keine theoretische Debatte, sondern wir sagen, wir müssen es praktisch ausprobieren und dafür sammeln wir Geld übers Internet ein, per Crowdfunding, also ganz viele Menschen geben Kleinstbeträge, um gemeinsam ein Projekt zu stemmen. Und in unserem Fall ist das Projekt, dass, wenn 12.000 Euro zusammen sind, wird es an eine Person bedingungslos für ein Jahr 1.000 Euro monatlich verlost."
    Michael Bohmeyer ist davon überzeugt, dass Menschen nicht aus wirtschaftlichem Zwang heraus arbeiten sollten, sondern aus Überzeugung. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens oder Bürgergelds ist nicht nur unter Linken oder Piraten beliebt. Auch liberale Ökonomen fordern es, Unternehmer setzen sich dafür ein, wie der Chef der Drogerie-Kette DM, Götz Werner. In der Schweiz wird im kommenden Jahr über ein Grundeinkommen abgestimmt. Ein Argument: Die Welt wandelt sich so rasant, dass viele Jobs schon durch Automatisierung verschwinden werden. Deswegen ist es sinnlos, am Ziel der Vollbeschäftigung festzuhalten und die Arbeitslosen über eine teure und bürokratische Sozialverwaltung zu stützen. Doch Vorbehalte halten sich wacker: dass Menschen nur faul werden, wenn sie einfach so Geld erhalten. Dass sie Druck brauchen, um zu arbeiten. Deswegen startete Michael Bohmeyer sein Experiment.
    "Wir wollen die Geschichten erzählen aus dem Leben, was dann passiert, wenn Menschen nicht mehr arbeiten müssen, sondern arbeiten können, weil sie es wollen. Wie sich Arbeit verändert, wie sich Leben verändert und was das mit den Menschen macht."
    Und die Geschichten der Gewinner machen Bohmeyer Mut: Der erste zum Beispiel kündigte seinen ungeliebten Job im Call-Center und begann eine Ausbildung als Erzieher.
    "So ein Grundeinkommen gibt ja überhaupt erst den finanziellen Freiraum, es gibt die Sicherheit, dass man sich fragen kann, was will ich denn eigentlich zur Gesellschaft beitragen? Was kann ich denn gut?"
    In ihrem kleinen Büro haben Bohmeyer und seine Leute die Tische zusammengeschoben und sitzen sich gegenüber. Die Laptops haben sie aufgeklappt. Daneben liegen ihre bunten Sonnenbrillen. Und obwohl alle mit dem Internet groß geworden sind, kleben die wichtigsten Ideen auf Post-it-Zettel gekritzelt bunt verteilt an der Wand. Michael Bohmeyer fallen die Haare ins jungenhafte Gesicht. Die blauen Hemdsärmel hat er hochgekrempelt. Im letzten Sommer ging der Dreißigjährige mit Mein-Grundeinkommen.de an den Start.
    Überlegungen zu einer Versicherung für Hartz-IV-Empfänger
    "Mein Beweggrund ist, dass ich selbst so ein bedingungsloses Grundeinkommen beziehe. Ich habe vor vielen Jahren ein Online-Startup gegründet, ein Online-Shop für Schilder und da habe ich jetzt den glücklichen Zustand, dass ich monatlich knapp 1.000 Euro rausbekomme, aber nicht mehr dafür arbeiten muss. Und dieser Umstand hat mein Leben radikal verändert: Ich bin ein besserer Vater geworden, ich bin kreativer geworden und vor allem auch mutiger."
    Das wollte der Unternehmer auch anderen ermöglichen. Dass er nun schon das zehnte Grundeinkommen finanzieren würde, hätte er selbst zu Beginn nicht gedacht. Mit Michael Bohmeyer sitzt auch Johannes Ponader am Tisch, der ehemalige politische Geschäftsführer der Piratenpartei, der durch seine TV-Auftritte in Sandalen Aufsehen erregte – und sein Amt vor gut zwei Jahren im Streit niederlegte. Dem bedingungslosen Grundeinkommen will er nun mit Bohmeyer näherkommen, durch die praktische Anwendung seines Ideals.
    "All die Fragen, die ich jahrelang an Infoständen gestellt bekommen habe, die ich tausendfach beantwortet habe, die wenigsten Menschen konnte ich durch Argumente überzeugen, sondern eher durch Sich-mal-reinversetzen: Was ist der Unterschied – ich kriege Geld bedingungslos, oder ich kriege Geld aber mir wird dann diktiert, was ich machen muss, welche Stelle ich annehmen muss. Und wenn es jemand mal geschafft hat, die Perspektive zu verändern, den Blick zu verändern, dann hat sich was bewegt im Menschen."
    Nach dem Anfangserfolg wollen Michael Bohmeyer und sein Team noch einen draufsetzen. Nicht nur zehn, sondern einhundert Leuten wollen sie zu einem Grundeinkommen verhelfen.
    Auch das Mittagessen beim angesagten Vietnamesen um die Ecke nutzen sie zum Diskutieren – denn den Nachmittag hat Michael Bohmeyer für seine dreijährige Tochter freigehalten. Davor will er noch viele Ideen besprechen: Über eine eigene Kreditkarte denkt er nach, mit Provisionen fürs Grundeinkommen. Oder über eine Versicherung für Hartz-IV-Empfänger, damit die geschützt sind, wenn sie Auflagen der Jobcenter verweigern und deshalb weniger Geld bekommen. Ist das nicht ein wenig zu subversiv für einen findigen Jungunternehmer?
    "Subversiv ist ja durchaus was Gutes. Uns ist wichtig, dass wir gewaltfrei agieren. Wir versuchen hier keine politischen Fronten aufzumachen. Weil natürlich sind Jobcenter-Mitarbeiter auch nicht böse und natürlich sind Grundeinkommens-Gegner auch nicht böse. Sondern alle Menschen sind durch ihr Umfeld geprägt, und meine Überzeugung ist, man muss nicht die Menschen angreifen, sondern man muss die Verhältnisse angreifen. Und das kann man ruhig auch mal mit ein bisschen Subversivität tun."