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Sozialhilfe-Betrug: Massendelikt oder Scheindebatte?

Der Staat will beim Sozialen kürzen und braucht eine Rechtfertigung. Die sieht immer so aus, dass man ein Feindbild konstruiert. Sozialhilfe-Empfängerinnen sind seit Jahr und Tag beliebtes Objekt von Feindbild-Konstruktionen. Die Faulenzer-Debatte geht ja in eine ähnliche Richtung, genauso immer wieder diese Märchen von den Sozialhilfe-Empfängern, die abzocken und den Wohlstand auf Mallorca verprassen.

Thomas Mösch | 20.12.2002
    Dirk Hauer, Sprecher der Sozialpolitischen Opposition, eines Zusammenschlusses von rund 100 Initiativen und Trägern sozialer Einrichtungen in Hamburg. Schira:

    Es geht nicht darum, zu suggerieren, dass wir Sozialhilfe-Empfänger in eine Ecke stellen wollen, sondern gerade diejenigen, die wirklich auf Hilfe des Staates angewiesen sind, vor pauschalen Vorurteilen schützen wollen, indem wir die kleine Gruppe von Betrügern stärker kontrollieren und ggf. vor Gericht bringen.

    Frank-Thorsten Schira, sozialpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft.

    Die beiden Stimmen aus Hamburg zeigen: Je nach politischem Standpunkt ist der Missbrauch von Sozialhilfe entweder ein Kampfbegriff des Gegners oder ein ernstes Problem. Die Befürworter strenger Kontrollen verweisen auf die großen Summen, um die es geht. In Deutschland haben Ende 2001 rund 2,7 Millionen Menschen so genannte "Hilfe zum Lebensunterhalt" bekommen. Städte und Gemeinden haben dafür neuneinhalb Milliarden Euro ausgegeben. Zählt man besondere Hilfen bei Krankheit, Pflege und Behinderung hinzu, waren es sogar knapp 24 Milliarden Euro. Das ist mehr als Bundesländer wie Niedersachsen oder Hessen in einem Jahr insgesamt ausgeben können.

    Doch wie viel von diesen 24 Milliarden Euro wird zu Unrecht ausgezahlt? Niemand scheint eine Antwort zu wissen. Auch Experten halten sich mit Schätzungen zurück. Vielleicht machen nur wenige Prozent der Sozialhilfeempfänger falsche Angaben, vielleicht aber auch jeder zweite. Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2001 knapp 19.000 Fälle aus - mit einer Schadenssumme von 57 Millionen Euro. Das wären nur 0,24 Prozent der Gesamtausgaben. Doch in der Kriminalstatistik landen nur die Fälle, die angezeigt werden.

    Die Hamburger Sozialämter vergleichen seit Ende 2001 alle drei Monate ihre Sozialhilfedaten mit denen der Rentenversicherungsträger. Sozialbehörden-Sprecher Oliver Kleßmann zu den Ergebnissen der ersten neun Monate. Kleßmann:

    Insgesamt haben wir in Hamburg bei rund 2800 Personen zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückgefordert, bei 532 davon Strafanzeige gestellt wegen Unterstützungsbetrug.

    In Hamburg bekommen 117.000 Menschen Sozialhilfe. 2,4 Prozent haben falsche Angaben gemacht. Der Schaden beträgt immerhin viereinhalb Millionen Euro. Die Ämter zeigen aber nur diejenigen an, die ihrer Meinung nach vorsätzlich betrogen haben. Oft vergessen Leute einfach, dass sie hier oder dort ein paar Euro verdient haben, erklärt Behördensprecher Kleßmann. In zwei Drittel der ermittelten Fälle lag die Schadenssumme unter 1000 Euro. Die CDU-geführte Sozialbehörde setzt dennoch auf den abschreckenden Effekt der Kontrollen und will so jährlich 600.000 Euro einsparen.

    Tanja Bestmann, Bürgerschaftsabgeordnete der oppositionellen Sozialdemokraten, sieht in den Ergebnissen des Datenabgleichs dagegen keinen Grund, die Kontrollen weiter zu verschärfen.

    Ich war relativ erstaunt, dass Zeitungen Skandal getitelt hatten. Rausgekommen ist ja, dass es Missbrauch in 2,4% der Fälle gegeben hat. Das finde ich sehr niedrig im Vergleich zu Steuern, wo man damit rechnet, dass 50% der Bürger nicht ganz ehrlich sind mit ihren Angaben. Oder nehmen wir die Versicherungen; da ist das hier sehr, sehr niedrig.

    Doch der Gesamtschaden von viereinhalb Millionen Euro beeindruckt auch Tanja Bestmann. Deshalb hält die Sozialdemokratin Datenabgleiche auch in Zukunft für sinnvoll. Sie hätte es gern gesehen, wenn die SPD schon früher mehr auf Kontrollen gesetzt hätte. Bis vor gut einem Jahr trug sie in der Hansestadt noch selbst Regierungsverantwortung.

    Das Hamburger Beispiel macht eines deutlich: Die Diskussion über den Missbrauch von Sozialhilfe verläuft heute ohne die alten ideologischen Grabenkämpfe. Kontrollen sind nicht von vornherein ein unzulässiger Eingriff in die Privatsphäre - da sind sich Sozial- und Christdemokraten grundsätzlich einig. Grund dafür sind nicht zuletzt die leeren Kassen der Städte und Gemeinden. Helmut Hartmann, ehemaliger Leiter des Landessozialamtes in Hamburg, berät Kommunen in Sachen Sozialhilfe. Er stellt fest, dass die Behörden heute bundesweit genauer hinschauen:

    Immer mehr Sozialämter widmen sich dem Thema Missbrauch schwerpunktmäßig, d.h. Ermittler einzustellen, Mitarbeiter abzustellen, die sich darum kümmern, sei es bei Datenabgleich, Hausbesuchen, Ermittlungen bei Anträgen auf einmalige Leistungen wie Möbel und dergleichen mehr.

    Zulässig ist der Datenabgleich seit vier Jahren. Das Bundessozialhilfegesetz erlaubt den Sozialämtern zwar schon seit 1993 die Anfrage bei den Trägern der gesetzlichen Unfall- und Rentenversicherung oder bei der Bundesanstalt für Arbeit. Doch erst 1998 hat die Bundesregierung den Weg endgültig frei gemacht und klare Vorschriften erlassen. Inzwischen dürfen die Ämter außerdem die örtlichen Kraftfahrzeug-Zulassungsstellen fragen, ob ein Sozialhilfe-Empfänger ein Auto besitzt. Und das Bundesamt für Finanzen muss nun mitteilen, ob jemand Zinseinkünfte hat.

    Vor Beginn der Datenabgleiche standen heikle Fragen zur Debatte, erläutert Detlef Malessa, Mitarbeiter des Hamburger Datenschutzbeauftragten.

    Das zentrale Anliegen der Datenschutzbeauftragten war, dass kein zentraler Sozialdatenpool bundesweit eingerichtet wird, sondern dass die Daten zum Abgleich nur für einen kurzen Zeitraum zur Verfügung gestellt werden. Das hat der Bundesdatenschutzbeauftragte auch durchsetzen können. Es ist jetzt technisch umgesetzt, dass die Daten nur für einen beschränkten Zeitraum insgesamt zur Verfügung stehen und dem Abgleichsverfahren zugeführt werden.

    Die Sozialämter können ihre Datenbestände deshalb nicht direkt mit den anderen Institutionen abgleichen. Einmal im Vierteljahr führt der Verband der Rentenversicherungsträger alle relevanten Informationen zusammen. Ende 1999 haben Wissenschaftler bundesweit Sozialämter nach ihren ersten Erfahrungen mit dem neuen Kontrollmittel gefragt. Die Ergebnisse glichen denen, die Hamburg jetzt veröffentlicht hat: Nur 2,5 Prozent der Sozialhilfe-Empfänger hatten - nach dieser Erhebung - falsche Angaben gemacht. Der finanzielle Schaden lag bei 0,5 Prozent der Gesamtausgaben für Sozialhilfe. In den meisten Fällen gingen die Sozialämter davon aus, dass die Empfänger aus Unkenntnis Informationen verschwiegen haben.

    Anfangs lagen den Behörden für ihre Kontrollen oft nur veraltete Daten vor. Besonders häufig betraf das die so genannten 325-Euro-Jobs. Einige Arbeitgeber hatten ihre Mitarbeiter nach Beendigung der Tätigkeit nicht beim Arbeitsamt abgemeldet. Der Datenabgleich ergab dann zu Unrecht, dass ein Sozialhilfe-Empfänger arbeitet. Inzwischen sollen die Daten zuverlässiger sein.

    Datenschützer mahnen die Behörden trotzdem zur Vorsicht. Alle Unklarheiten müssen sie zunächst direkt mit dem Hilfe-Empfänger besprechen, betont Detlef Malessa.

    Es kann beispielsweise nicht angehen, dass aufgrund von fehlerhaften Daten man sofort, ohne dass der Hilfe-Empfänger beteiligt wird, Kontakt mit dem Arbeitgeber aufnimmt. Das darf nicht sein!

    Das größte Sozialamt Deutschlands ist das im Berliner Bezirk Mitte. Die Sachbearbeiter betreuen 40.000 Klienten. Zwar werden die Fehler weniger, berichtet Fachbereichsleiter Jörg Kuczmierczyk, doch die Datenkontrolle ist immer noch ein gewaltiger Aufwand.

    Kuczmierczyk:

    Mit dem Kraftverkehrsamt haben wir auch einen Datenabgleich. Da ist die Trefferquote nicht so hoch, wie wir uns das vorgestellt hatten bzw. es Sinn machen würde, die Sachbearbeiter zu beschäftigen. Mit Rentenversicherungsträgern, Arbeitsämtern, Finanzämtern rechtfertigt der Erfolg allemal den Aufwand.

    Noch aufwendiger ist die direkte Kontrolle beim Sozialhilfe-Empfänger zu Hause. In Berlin-Mitte erledigen die 12 Mitarbeiter des amtseigenen Prüf- und Ermittlungsdienstes diese Hausbesuche. Sie haben verschiedene Möglichkeiten:

    Kuczmierczyk:

    Das ist zum einen der angemeldete Hausbesuch für kleine Antragsarten, das ist der unangemeldete Hausbesuch, der besonders in Bezug auf Wohn- und Wirtschafts- und Lebensgemeinschaften durchgeführt wird; dann noch die Sofortprüfungen, wenn der Antrag unglaubwürdig erscheint, dann werden Antragsteller sofort begleitet von einem unserer Mitarbeiter und der Antrag entsprechend bewertet.

    Inzwischen muss in Berlin-Mitte jeder mit Besuch rechnen, der zum Beispiel Geld für einen Kühlschrank oder ein Bett beantragt. Hier hätten die Prüfer dem Amt in den ersten neun Monaten dieses Jahres schon über 700.000 Euro gespart, sagt Kuczmierczyk. Zum Einsatz kommen die Ermittler auch nach Hinweisen aus der Bevölkerung.

    Kontrollbesuche sind heikel, denn sie berühren das Grundrecht auf die Unversehrtheit der Wohnung. Datenschützer wie Detlef Malessa bestehen deshalb auf strengen Spielregeln.

    Es kann nicht angehen, dass der Hilfeempfänger zu Hause überrumpelt wird; grundsätzlich sollte sich der Mitarbeiter telefonisch oder schriftlich ankündigen; wenn Verdachtsmomente darauf schließen lassen, dass eine Anmeldung die Aufklärung verschleiern könnte, dann kann man auch unangekündigt auftauchen; es ist aber nicht zulässig, sich mit Gewalt Zutritt zur Wohnung zu verschaffen.

    Und auch nicht mit Drohungen. Eine verschlossene Tür allein berechtigt das Sozialamt noch nicht, die Hilfe zu kürzen oder zu streichen. Die Prüfer dürfen auch nicht einfach die Nachbarn ausfragen, wenn der Empfänger nicht zuhause ist. Da gibt es immer mal wieder Beschwerden, klagt der Hamburger Datenschützer.

    Also, wir in Hamburg haben diese Beschwerden relativ vereinzelt; im Kreis der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben wir das öfter diskutiert, weil es wohl in anderen Bundesländern häufiger vorkam. Wir haben auch schon Grundsätze festgeschrieben und versuchen in den Gesprächen mit den Sozialdienststellen, auf diese Grundsätze aufmerksam machen.

    Wer den Eindruck hat, seine Rechte seien verletzt worden, soll vom Amt Aufklärung verlangen, rät Malessa. Wenn das nicht fruchtet, ist der Datenschutzbeauftragte die richtige Anlaufstelle.

    Jörg Kuczmierczyk vom Sozialamt Berlin-Mitte betont, dass seine Prüfer auch beraten sollen. Manchmal kämen sie sogar zu dem Schluss, dass ein Antragsteller zu bescheiden gewesen sei. So oder so - Die Kontrollen sind eine personal-intensive Angelegenheit. Deshalb hätte Kuczmierczyk gern deutlich mehr Ermittler.

    Wir können uns gerade bei Schwarzarbeit vorstellen, mehr Personal zu beschäftigen und dann zu den entsprechenden Zeiten zu postieren, morgens und zur Feierabendzeit, um zu sehen, wo geht er hin, wie kommt er zurück, was hat er an, hat er Arbeitsklamotten an oder hat er schmutzige Wäsche, die auf Schwarzarbeit schließen lassen. Allerdings ist das mit dem derzeitigen Personal nicht leistbar.

    Detektive will Kuczmierczyk seine Kontrolleure trotzdem nicht nennen. Der CDU-Sozialpolitiker Frank-Thorsten Schira in Hamburg ist da unbefangener. Er empfiehlt seiner Parteifreundin, der Hamburger Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram, ein Modell zur Prüfung, das er im niederländischen `s-Hertogenbosch entdeckt hat.

    Was ich weiß von diesem niederländischen Modell: die staatlichen Stellen haben Detektivbüros beauftragt, bei ausländischen Sozialhilfe-Beziehern zu prüfen, in wieweit Geld aus Schwarzarbeit in den Hausbau bzw. die Unterstützung von Verwandten im Ausland geflossen ist.

    Die Hamburger Behörde prüft zur Zeit noch, welche Möglichkeit sich am besten eignet, Betrügern mit Vermögen im Ausland auf die Schliche zu kommen. Auch Schiras sozialdemokratische Bürgerschaftskollegin Tanja Bestmann lehnt schärfere Kontrollen nicht von vornherein ab. Es müsse aber ein Verdacht auf kriminelles Verhalten vorliegen. Bestmann:

    In diesen Bereichen kann ich mir vorstellen, dass wenn die Behörde nicht weiter weiß, sie sich auch privater Hilfe bedient; es kann aber nicht sein, dass jeder Verdacht an Detekteien geht. Das wäre nicht angemessen. Aber dort, wo die Sachbearbeiter, die ihre Pappenheimer ja wahrscheinlich kennen, ganz konkrete Verdachtsmomente haben und es nicht nachweisen können mit ihren Möglichkeiten, da ist es dann auch für die Allgemeinheit gerechtfertigt, dass intensiver nachgeforscht wird.

    Gibt es Gruppen, die besonders häufig auffallen? Praktiker und Experten äußern sich dazu nur sehr zurückhaltend. So auch Behörden-Berater Helmut Hartmann:

    Es gibt sicherlich Gruppen, bei denen das häufiger anzutreffen ist. Die alleinstehende ältere Frau hat weniger Möglichkeiten als ein junger kräftiger Mann, der verschiedene Formen, noch zusätzliche Einkünfte zu erzielen, entwickeln kann.

    Medien und Stammtische haben häufig Ausländer oder Asylsuchende im Visier, wenn es um den vermeintlich massenhaften Sozialhilfe-Betrug geht. Hartmann:

    Das kann man nicht bestätigen. Die Medien berichten darüber seit Jahrzehnten, immer mit unterschiedlichen Schlagzeilen. Es ist ein politisch sensibles Thema, da kursieren viele Gerüchte und weniger Fakten.

    So oder ähnlich lautet die offizielle Antwort überall. Wenn das Mikrophon ausgeschaltet ist, erzählen Experten dagegen, dass unter den Erwischten relativ oft Ausländer seien. In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2001 machen sie fast ein Drittel der Verdächtigen beim Sozialleistungsbetrug aus. Allerdings sind auch ungefähr ein Viertel aller Sozialhilfe-Empfänger Ausländer.

    Zudem erfasst die Statistik nur Verdächtige, nicht die tatsächlich Verurteilten. Und zahlreiche Studien belegen, dass Minderheiten, in diesem Fall Ausländer, häufiger unberechtigt einer Straftat verdächtigt werden als Angehörige der Mehrheit.

    Grundsätzlich gilt: Das Ausmaß des Sozialhilfe-Betruges lässt sich schwer schätzen. Einig sind sich die meisten Experten nur in einem: Kontrollen schrecken ab. Helmut Hartmann warnt seine Kunden in den Behörden aber davor, grundsätzlich jedem Antragsteller zu misstrauen. Das, sagt er, schafft nur ein unnötig schlechtes Klima.

    Eine gute Verfahrensweise ist, dass man allen Hilfebeziehern deutlich macht, dass kontrolliert wird. Dort, wo jemand vermutet, hier wird nie kontrolliert, steigt natürlich der Missbrauch. Der 2. Punkt: gleich zu Beginn des Kontaktes dem Bürger deutlich machen, was und wie kontrolliert wird. Das sollte transparent sein, sodass jeder weiß, hier wird auch nachgeprüft, ob bestimmte Angaben stimmen.

    Allem Eifer der Behörden zum Trotz hat das Kontroll-Netz nach Hartmanns Erfahrung immer noch Löcher. Beispiel Krankenhilfe: Für denjenigen, der nicht krankenversichert ist, zahlt das Sozialamt Arzt- und Krankenhausrechnungen. Die Sachbearbeiter können aber kaum kontrollieren, ob die Ärzte korrekt abrechnen oder jemand seinen Behandlungsschein an einen anderen weitergegeben hat. Auch der Deutsche Städtetag drängt darauf, dieses Problem zu lösen. Die Empfänger von Krankenhilfe sollen endlich in die gesetzliche Krankenversicherung aufgenommen werden, fordern die Kommunen.

    Ein bisher wenig beachtetes Einfallstor für Betrug sieht Behörden-Berater Hartmann beim Personal der Sozialämter selbst. Die Sachbearbeiter verwalten enorme Summen, da ist die Versuchung groß, sich zu bedienen. Die meisten Ämter verschließen davor die Augen, kritisiert Hartmann. Nur wenige Fälle werden entdeckt.

    Für besonders erfolgversprechend im Kampf gegen Missbrauch hält Helmut Hartmann die Zusammenarbeit von Sozial- und Arbeitsämtern. Er nennt als Beispiel Köln: Dort wird jungen Antragstellern sofort ein Arbeitsplatz, eine Ausbildung oder eine Weiterbildung angeboten, lobt Hartmann. Sein Fazit lautet: Wer keine Sozialhilfe bezieht, kann auch nicht betrügen. Der Sparzwang der Behörden und der Kampf gegen Missbrauch gehen so Hand in Hand.

    Genau das geht Dirk Hauer vom Hamburger Initiativenbündnis "Sozialpolitische Opposition" zu weit. Die Konzentration auf den vermeintlichen Missbrauch und der Zwang zum Sparen bestimmen das Handeln der Mitarbeiter in den Sozialämtern schon zu sehr, kritisiert Hauer.

    In dem Zynismus der Verwaltung heißt das: Sachbearbeiterinnen sollen nicht mehr so viel Gedanken an karitative Aufgaben verschwenden, sondern sich das Denken der Behörde zu eigen machen: das Denken in Kostenreduktion und Fallzahlreduktion.

    Frank-Thorsten Schira von der Hamburger CDU sieht es dagegen als die Pflicht jeder Sozialbehörde, sich über neue Formen der Missbrauchsbekämpfung Gedanken zu machen.

    Man muss kreativ sein. Menschen, die den Staat beschummeln wollen, sind auch kreativ; der Staat wird nie so schnell sein wie Menschen, die das Geld hinterziehen wollen, aber muss man wissen, dass der Staat auch flexibel reagieren sollte und kann.

    Weniger sportlich sehen das militante Gegner einer harten Kontrollpolitik im Berliner Bezirk Reinickendorf. Sie haben dem Sozialstadtrat Frank Balzer sogar schon Morddrohungen geschickt. Das CDU-Mitglied schätzt die Zahl der Betrüger erheblich höher ein als andere. Die Kontrollen hat er drastisch verschärft. Seine Gegner werfen ihm deshalb soziale Kälte vor. Zumindest in Reinickendorf scheint die Welt der Grabenkämpfer also noch in Ordnung zu sein.