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Sozialistische Autokultur

Der Trabant gehört inzwischen zu dem, was man Ostalgie nennt - den etwas wehmütigen Blick auf eine Welt, die es nicht mehr gibt. Neu ist aber, dass das sozialistische Auto erstmals international von Historikern genau analyisert wird. Und am Umgang einer Gesellschaft mit Autos kann offenbar mehr abgelesen werden als nur der Stand technischer Entwicklungen.

Von Bettina Mittelstrass | 31.07.2008
    "Vieles, was in der Gesellschaft passiert, wird am Auto diskutiert, und wenn man über das Auto redet, redet man manchmal über ganz andere Dinge, nämlich über gesellschaftliche Entwicklungen, über persönliche Beziehungen und Ähnliches."

    In seiner rund 120-jährigen Geschichte war das Auto niemals nur ein praktisches Transportmittel, fügt Kurt Möser vom Institut für Geschichte der Universität Karlsruhe hinzu. Das Auto war immer aufgeladen mit Bedeutung. Individuelle Freiheit, Abenteuer, Macht, Status, Kraft oder Potenz und Selbstbewusstsein - das sind nur einige Begriffe, die sich vor allem in der westlichen Welt von jeher mit dem Auto verbinden.

    Mit seinem Zweitakt-Motor und einem Gehäuse aus Fiberglas war besonders der Trabant zur Zeit der deutschen Teilung für Westdeutsche das Symbol für die miserable Qualität, Inkompetenz und Rückständigkeit des sozialistischen Gesellschaftssystems. Aber was war das Auto für die Gesellschaft der DDR, der Sowjetunion oder im kommunistischen Rumänien?

    Der amerikanische Historiker Lewis Siegelbaum hat dazu jüngst ein Buch mit dem Titel "Cars for Comrades" - Autos für Kameraden - geschrieben, "über das Leben des sowjetisches Automobils" ("The Life of the Soviet Automobile").

    "In mancher Hinsicht wurde das Auto nicht anders betrachtet als im Westen. Es bedeutete größere Mobilität, es gab einem mehr Kontrolle über die Zeit, die man brauchte, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Aber ein großer Unterschied besteht unter anderem darin, dass Autos eine Einkommensquelle waren.

    Nur, indem man sie zum Geldverdienen nutzte, verstrickte man sich in illegale Aktivitäten. Zum Beispiel war es in der Sowjetunion üblich, Autos unerlaubt als Taxis einzusetzen, um Güter illegal von hier nach da zu schaffen. Das waren Geschäfte, an denen sich die Mehrheit der städtischen Auto-Besitzer beteiligte."

    Die Tatsache, überhaupt ein Auto zu haben, reichte schon aus, um sich in einem ganz speziellen, gesellschaftlichen Netzwerk eingebunden zu finden, das zum Teil eigenen, nicht staatskonformen Gesetzen folgte. Das weiß auch Kurt Möser über Menschen und ihre Autos in der DDR zu erzählen:

    "Um in einer relativen Mangelgesellschaft so ein komplexes Objekt wie das Auto am Laufen zu halten, muss man fast illegal werden. Die ökonomische Struktur des Sozialismus hatte eigentlich alle Elemente, die nötig waren, um das Auto zum Laufen zu bringen nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung gestellt. Weder Ersatzteile noch Sprit noch Reparaturmöglichkeiten und Ähnliches.

    Und um das zu erreichen, musste man entweder Eigeninitiative machen, Privatzeit nehmen dafür, oder man musste sich auf illegale Weise diesen Service und Dinge wie Sprit besorgen. Und das waren in sozialistischer Terminologie staatfeindliche Aktivitäten."

    Im real existierenden Sozialismus war es politisch nicht gewollt, gesellschaftliche Unterschiede sichtbar werden zu lassen. Aber es gab sie, und das Auto machte sie sichtbar. Jedem waren die feinen sozialen Differenzierungen klar, die sich darin ausdrückten, ob man Trabant oder Lada oder gar einen von den 10.000 Golfs oder Mazdas fuhr, die Honecker organisiert hatte.

    So sehr sich die Partei auch bemühte, das Auto in das gesellschaftliche Konzept des Sozialismus, den Kollektivismus, einzubinden – etwa als gleichförmig designtes Familienauto – man hatte mit der Auto-Mobilisierung der sozialistischen Gesellschaft ein Problem:

    "Nämlich auf der einen Seite das Auto als wirkliche Privatheitsmaschine, auch als Maschine, die im Fokus und im Zentrum der Konsumgesellschaft steht. Und auf der anderen Seite die Integration dieser individualistischen Maschine in eine Gesellschaft, die gerade nicht individualistisch sein will."

    Diese Gradwanderung machte eine spezifische "Auto-Kultur" auch im Sozialismus möglich, für die sich Alltags-Historiker jetzt immer stärker interessieren, sagt Kurt Möser.

    "Vorher war Auto-Geschichte eigentlich eine Geschichte der Technik des Autos, der Gestaltung vielleicht noch des Autos. Aber die Autogeschichte hat sich vor allem in den letzten 20 Jahren zur Mobilitätsgeschichte hin entwickelt. Das heißt, man versucht zu verstehen, nicht nur was das Auto mechanisch ist, sondern was das Auto sozial ist, welche Nutzung der Gesellschaft stattfindet, ob es politisch unterstützt oder blockiert wird, wie es mit den Nutzern aussah, welche ästhetischen Wahrnehmungen des Autos vor sich gehen.

    Es hat sich also so etwas wie eine Totalgeschichte der Mobilität rund um das Auto entwickelt. Und was wir zurzeit erleben ist auch, das sozialistische Auto in diese Totalgeschichte der Mobilität einzupassen und zu fragen: Passt es in Muster, die bereits die Forschung zur westlichen Auto-Kultur entwickelt hat? Oder müssen wir vielleicht neu anfangen zu denken? Gibt es andere Prioritäten? Spielt vielleicht das Militär eine andere Rolle als im Westen für die privaten Nutzungsformen? Gibt es Unterschiede in der Ausbildung?"

    Weil private Autos in Ostblockstaaten in den meisten Fällen nicht für den Berufsalltag sondern für Sonderfälle - für die Freizeit als Familienkutsche - verwendet wurden, stößt man auch schnell auf die Frage, ob Autos eigentlich im wesentlichen Männersache waren oder nicht. Für die Sowjetunion untersucht das derzeit auch Corinna Kuhr-Korolev, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in Moskau:

    "Im Prinzip gab es keine Frauen, die Auto gefahren sind. Es gab zwar die Traktoristinnen und die Pilotinnen und die Kosmonautinnen. Aber Frauen am Steuer waren die absolute Ausnahme. Die Datscha, das war der Grund weshalb ein Auto angeschafft worden ist, das war auch sozusagen das Dreieck der Konsumträume der sowjetischen Frau: der Pelzmantel, die Datscha und das Auto.

    Das Auto, um auf die Datscha zu kommen und um Baumaterial auf die Datscha zu bringen. Die Familie auf die Datscha zu bringen. Die Kinder am Anfang des Sommers und am Ende des Sommers wieder alle abzuholen. Das war eigentlich der Grund für russische Frauen, um ein Auto zu haben."

    Auch in der DDR wurde das Auto wesentlich für Wege in die Ferien beziehungseise zur Laubenpieperkolonie genutzt und dafür mit viel Akribie mit Dachträgern oder Anhängerkupplungen, soweit das zu bekommen war, ausgebaut und Instand gehalten. Dieses ständige private Basteln am Auto in der Freizeit und für die Freizeit ist für Kurt Möser mehr als nur die logische Konsequenz von fehlenden Ersatzteilen.

    "Sie können ja das Schrauben am Auto in zweierlei Hinsicht interpretieren. Sie können sagen, das ist ein Effekt von Defekten. Das Fahrzeug ist nicht perfekt, es bricht ständig zusammen, es braucht viel Wartung, also müssen sie sich irgendwie damit beschäftigen. Das wäre sozusagen das alte Element des Schraubens.

    Aber sie können auch sagen: Indem Sie mit ihrem Fahrzeug umgehen, und schrauben, lernen Sie, mit Mechanik umzugehen. Sie machen das, was im Englischen so schön 'mechanicaly minded' heißt. Man bekommt mehr Sinn für Mechanik, und man entwickelt Qualifikationen und Spezialismen, die einem auch im normalen Leben nützlich sind. Und das könnte dann interpretiert werden als modernisierende Erfahrung."

    Je erfolgreicher aber dann eine Gesellschaft die Produktion und Instandhaltung ihrer Fahrzeuge organisiert, desto mehr geht der Allgemeinheit technisches Wissen paradoxerweise auch wieder verloren.

    "Im Westen in den 80er Jahren konnten die wenigsten Leute die Zündkerzen aus ihrem Auto herausschrauben. Trabi-Besitzer taten das, mussten das können."