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Sozialkritik und romantische Landschaften

Der Maler Franz Radziwil, geboren 1895 in der Bremer Wesermarsch, ließ sich nur kurz in Berlin den Wind um die Nase wehen, ehe er sich 1923 in Dangast am Jadebusen niederließ. Vorher war er von den Brücke-Expressionisten inspiriert, aber hier begann er dem Vorbild niederländischer alter Meister zu folgen. Das Haus in Dangast zeigt dieses Jahr eine Doppelschau der Bilder von Otto Dix und Franz Radziwil.

Von Rainer Berthold Schossig | 01.05.2006
    Das von den Erben des Künstlers betriebene Franz-Radziwill-Haus in Dangast am Jadebusen zeigt alljährlich wechselnde Ausstellungen, die immer wieder neue, überraschende Blickwinkel auf das Werk dieses magisch-realistischen Künstlers aus dem Nordwesten werfen. Die diesjährige Sonderschau zeigt gleich eine doppelte Schlüsselbegegnung. Anhand von einem halben Hundert Bildern, darunter interessante Leihgaben aus verschiedenen Sammlungen und Museen Deutschlands, wird rekonstruiert, wie Radziwill in der Kunststadt Dresden Ende der 1920er Jahre durch den Kritischen Realisten Otto Dix beeinflusst wurde, und wie er dort zugleich die deutsche Romantik erlebte.

    Franz Radziwill wurde Ende des 19. Jahrhunderts in der Bremer Wesermarsch geboren. Nach einem kurzen Gastspiel in Berlin, wo er sich den Brückemalern lose anschloss und munter der ausdrucksvollen Malerei Marc Chagalls nacheiferte, zog es ihn zurück in den Nordwesten. Im Jahre 1923 ließ er sich in der Abgeschiedenheit der ostfriesischen Provinz nieder, in Dangast am Jadebusen. Hier wurde – unter dem Einfluss der holländischen Landschaftsmalerei aus dem wilden Expressionisten ein magischer Realist. Radziwill malte nun sehr altmeisterlich, Bilder die von den Träumen und Ängsten der Zeit, kleinen Zufällen und großen Katastrophen künden, rätselhafte Interieurs, somnambule Hafen- und Marinebilder. Die Ausstellung im Franz-Radziwill-Haus erinnert an einen kurzen, aber folgenreichen Ausflug Radziwills nach Dresden in den Jahren 1927/28. Drei Hamburger Sammler ermöglichten ihm diesen Aufenthalt an der Akademie in Elbflorenz. Zunächst hatte er nur Landschaftsstudien im Elbsandsteingebirge machen wollen, doch nun traten plötzlich auch soziale und gesellschaftspolitische Probleme in seinen Gesichtskreis.

    Dieser Studienaufenthalt in Dresden veränderte Radziwills an den alten Niederländern orientierte Malkunst sichtlich. Dazu trug bei die Begegnung mit dem kritischen Realisten aus Gera, dem Maler Otto Dix, der damals an der Dresdener Akademie Hof hielt, und den Radziwill schon aus Berlin kannte. Dix’ gnadenlos ätzender Realismus beeindruckte den Dangaster Traumtänzer nachhaltig.

    Dix wollte seinen Freund Radziwill unbedingt portraitieren, im Gegenzug bot er dem zögernden Radziwill Kurse in Aktmalerei an. Der ließ sich darauf ein, und so entstand jenes denkwürdige Bildnis, auf dem Radziwill wie ein mongoloider Seemann aussieht, und das zehn Jahre später die berüchtigte NS-Ausstellung "Entartete Kunst" zierte. Unter dem Einfluss von Dix kommen die Widersprüche der Weimarer Republik auch in Radziwills Bilder, die Welt geht aus den Fugen, Himmel und Hölle geraten in Bewegung, die vertraute norddeutsche Landschaft wird bodenlos, fragwürdig: Sielwände werden zu Friedhofsmauern, Kräne und Windmühlen zu Gespenstern. Drohende Klinkerfassaden, Gespensterschiffe und tückische technische Apparate prägen nun seine Bilder. Machte Dix einen verkappten sozialistischen Realisten aus ihm? Im Gegenteil, Radziwill wurde – unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise – vorübergehend Parteigänger der NSDAP!

    Die Dangaster Schau zeigt, warum Radziwill dennoch nie ein Blut- und Boden-Maler nach dem Geschmack der Nationalsozialisten wurde. Dies lag nicht zuletzt daran, dass er in Dresden auch die Malerei der Romantiker Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus kennen- und lieben lernte. So ging er widerwillig in die "innere Emigration", zurück nach Dangast hinter den Deich, wo er 1983 im Alter von 88 Jahren starb. Noch heute atmet das Franz Radziwill-Haus den Geist, aus dem seine disparate Malerei entstand.