Selbstüberschätzung
Sozialpsychologe Erb glaubt an Dunning-Kruger-Effekt: Wer weniger weiß, hält sich oft für schlauer als andere

Der Sozialpsychologe Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg sieht den sogenannten Dunning-Kruger-Effekt als bestätigt an. Dieser besagt, dass sich gerade wenig kenntnisreiche Menschen überschätzen, weil diese nicht einmal ahnen, was sie alles nicht wissen.

24.05.2024
    Ein Bison steht auf der Straße 89 nahe Mammoth Hot Springs und zwingt die Autos zum Anhalten.
    90 Prozent der Autofahrer in den USA sind Studien zufolge davon überzeugt, überdurchschnittlich gute Fahrer zu sein, was nicht nur in Ausnahmesituationen gefährlich ist - wie bei dieser Begegnung mit einem Bison 2018 im Yellowstone-Nationalpark. (picture alliance/dpa/Soeren Stache)
    Auch wenn es womöglich statistisch bedingte Einschränkungen gebe - an dem Zusammenhang an sich zweifle er nicht, sagte Erb der Deutschen Presse-Agentur. Menschen, die in den sozialen Medien oder in anderen öffentlichen Diskussionen am lautesten schreien, sind nach Einschätzung Erbs meist die mit der geringsten Ahnung. Zum einen stärke Selbstüberschätzung das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten: "Wer sich selbst mehr zutraut, erreicht meist auch mehr." Zum anderen kämen von sich überzeugte Unwissende im Beruf oft weiter als klügere Tiefstapler. Das liege auch am Rest der Gesellschaft: Selbstüberschätzer würden oft als besonders kompetent und entschlussfreudig wahrgenommen.
    In der Psychologie gibt es schon seit einem Vierteljahrhundert die Theorie, dass inkompetente Menschen sich häufig selbst überschätzten. Benannt ist dieser Effekt nach den US-Psychologen David Dunning und Justin Kruger, die ihre Untersuchung 1999 vorgestellt hatten. Sie waren bei Testreihen mit Studenten zu dem Ergebnis gelangt, dass Menschen generell schlecht darin sind, ihr Wissen, ihre Fähigkeiten oder ihre Leistung realistisch einzuschätzen.

    In zwei Richtungen blind

    Dabei sollten die Probanden Fragebögen bearbeiten und danach einschätzen, wie gut sie im Vergleich zu den anderen Teilnehmern waren. Die Studenten, die in Wahrheit zu den schlechtesten 25 Prozent gehörten, glaubten selbst, sie hätten weitaus besser abgeschnitten - erstaunlicherweise auch dann noch, als sie die Bögen der besten Teilnehmer einsehen durften. Sie bemerkten weder, wie inkompetent sie selbst waren, noch konnten sie die Fachkompetenz von Menschen mit mehr Wissen anerkennen.
    Untersuchungen zufolge unterliegt die Selbsteinschätzung einem Wandel im zeitlichen Verlauf: Wer neu mit einer Sache beginnt, zeigt zunächst Respekt vor der Aufgabe. Doch sobald die ersten Kompetenzen erworben wurden, wächst offenbar auch das Risiko für den Dunning-Kruger-Effekt.
    Dunning, der an der University of Michigan lehrt, sagte unlängst im "Scientific American"-Podcast, er wünschte sich, dass der Begriff nicht als Schimpfwort verwendet würde. "Denn es geht wirklich darum, über sich selbst nachzudenken und zu wissen, dass es Dinge geben könnte, die man nicht weiß. Es geht nicht darum, über andere Menschen zu urteilen."

    Kritiker monieren mathematischen Ansatz

    In Fachkreisen gibt es durchaus kritische Stimmen zur Originalarbeit von 1999. So meldete der Mathematiker Eric Gaze vom Bowdoin College im amerikanischen Brunswick Zweifel an der verwendeten Rechenmethode an. Diese übertreibe die herausgearbeitete Selbstüberschätzung, schrieb Gaze auf der Plattform "The Conversation".
    Dunning erklärte dazu, Kritiker hätten nur die erste Studie berücksichtigt. Allerdings sei der beobachtete Zusammenhang auch in weiteren Analysen nachgewiesen worden.
    Diese Nachricht wurde am 24.05.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.