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Sozialpsychologie
Schimpansen-Senioren haben Freunde fürs Leben

In zunehmendem Alter werden die Freundschaften weniger, aber dafür inniger. Das gilt nicht nur für Menschen. Auch Schimpansen setzen auf alte Freunde. Das stellt eine gängige Theorie der Sozialpsychologie in Frage.

Von Anneke Meyer |
Drei Schimpansen sitzen nebeneinander.
Vom Verhalten der Affen kann man einiges über den Menschen lernen. (imago / Sience Photo Library)
Wenn sich zwei Schimpansenmännchen treffen, klingt es wild, aber eigentlich ist es sehr gemütlich: Sie sitzen eng aneinander gekuschelt und lausen sich gegenseitig den Pelz. Das Geschrei ihrer tobenden Artgenossen lässt die beiden dabei ziemlich kalt. "Das sind Kakama und Makoku, die einander das Fell pflegen", beschreibt Alexandra Rosati ist Juniorprofessorin für Psychologie und Anthropologie an der University of Michigan. "Die beiden sind alte Freunde. Ich mag dieses Video besonders, denn man sieht ganz deutlich, wie vertrauensvoll die beiden miteinander umgehen."
Was ist einem Schimpansen im Alter wichtig?
Rosati interessiert sich für Affen, weil man von ihnen auch einiges über Menschen lernen kann. In einer Studie, die in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science erschienen ist, stellt Alexandra Rosati gemeinsam mit der Biologin Zarin Machanda eine anerkannte Theorie der Sozialpsychologie auf die Probe. Die Soziemotionale-Selektions-Theorie, soll erklären warum Menschen im Alter weniger aber dafür intensivere Freundschaften haben.
"Die Idee dabei ist, dass man, wenn man jung ist und das Leben noch vor einem liegt, sich darauf konzentriert, neue Beziehungen aufzubauen. Aber wenn man älter wird und dem Ende sozusagen entgegen sieht, konzentriert man sich lieber auf Freundschaften, die wirklich wichtig sind. Wir dachten, es wäre interessant rauszufinden, ob das bei Tieren auch so ist, denn soweit wir wissen, können Tiere nicht Jahrzehnte in die Zukunft denken."
Fast 80.000 Stunden Videoaufnahmen
Um zu überprüfen ob Schimpansen ihr Sozialverhalten im Alter ähnlich ändern wie Menschen, analysierten die Wissenschaftlerinnen Verhaltensdaten von 21 wildlebenden Schimpansen aus dem Kibale Nationalpark in Uganda. Die Tiere wurden über einen Zeitraum von 20 Jahren beobachtet, und zwar im Rahmen eines fortlaufenden Forschungsprojektes bei dem Alexandra Rosatis Co-Autorin Zarin Machanda mitarbeitet. Jahrzehntelang im Wald sitzen mussten die beiden Forscherinnen für ihre Studie also nicht, aber sich durch 78.000 Stunden Videoaufzeichnungen durcharbeiten.
Nutzen mütterlicher Fürsorge - Schimpansen-Waisen zeugen selbst weniger Nachwuchs
Der Tod eines Elternteils hinterlässt bei Kindern tiefe Spuren – das gilt offenbar auch für Schimpansen. Zum Bespiel zeugten verwaiste Schimpansenmännchen weniger Nachkommen, sagte der Anthropologe Roman Wittig im Dlf.
Wie dieses hier: "Was man in diesem Video sieht ist, wie Lanjo, ein junges Männchen, den älteren Yogi laust." In der Auswertung notierten die Wissenschaftlerinnen und ihr Team nicht nur die Anzahl sozialer Interaktionen, die ein Tier hatte, sondern auch, ob sie dabei aggressiv oder freundschaftlich waren. Freundschaftliche Kontakte unterteilten sie weiter, je nach Qualität, erklärt Rosati:
"Jetzt kann man im Video sehen, wie Lanjo mit den Lippen schmatzt. Das ist eine Lautäußerung, die Schimpansen beim Lausen machen. Er schmatzt und dann tauschen die beiden ihre Rollen. Und das ist eine der Sachen, auf die wir geachtet haben: Sind die Zärtlichkeiten gegenseitig oder laust einer der Affen und der andere gibt nichts zurück?" Einseitige Freundschaften und unerwiderte Zärtlichkeit waren öfter das Los jüngerer Affen. Ältere Schimpansen dagegen hatten weniger Freundschaften, die dafür aber von gegenseitiger Zärtlichkeit geprägt waren.
Blick auf den eigenen Tod
Außerdem waren die Älteren weniger in soziale Konflikte verwickelt. Darin sieht Rosati eine Änderung sozialer Umgangsformen mit zunehmenden Alter, ähnlich wie bei Menschen: "Ich denke, wir konnten zeigen, dass die Fähigkeit, die eigene Sterblichkeit zu begreifen, nicht nötig ist, damit sich das Sozialverhalten im Alter ändert. Natürlich heißt das nicht, dass das für Menschen keine Rolle spielt. Wenn man an die eigene Sterblichkeit denkt, kann es schon sein, dass man neue Prioritäten setzt. Aber eine zwingende Voraussetzung ist es nicht, denn wir sehen das Phänomen eben auch bei Schimpansen."
Ganz unvermutet kommt das Ergebnis nicht. Vorangegangene Studien hatten entsprechende Hinweise geliefert, allerdings wurden dabei nicht dieselben Tiere über Jahre beobachtet, sondern nur unterschiedlich alte Tiere miteinander verglichen. Warum Schimpansen, warum Menschen später im Leben so viel Wert auf alte Freundschaften legen, bleibt unklar. Sicher ist, dass ein Freund an der Seite, egal an welchem Punkt des Lebens man steht, immer hilft.
"Meine Co-Autorin Zarin Machanda und ich sind seit über 15 Jahren befreundet. Wir haben vorher noch nie zusammen gearbeitet und diese Studie ist tatsächlich nur entstanden, weil wir Freunde sind und uns beim Kaffeetrinken diese Idee kam. Das ist schon lustig: Wir haben Freundschaften erforscht, weil wir Freundinnen sind."