"Die Natur der Gesellschaft" - das Motto auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie steht in einer langen Tradition des Fachs. "Gesellschaft" - das ist der zentrale Grundbegriff der Soziologie, während "Natur" eines der großen Themen moderner Gesellschaften ist, erklärt Heinz Bude, Professor für Soziologie an der Universität Kassel und einer der Veranstalter:
"Irgendwie haben doch offenbar immer Sozialphilosophen, bevor es noch die Soziologie war, sich auf die Natur berufen, um die Gesellschaft zu erklären. Hobbes zum Beispiel, sagte, der Mensch ist des Menschen Wolf. Wenn das so ist, wenn das die Natur des Menschen ist, dann müssen wir über bestimmte Weise über Gesellschaft nachdenken, nämlich, dass Gesellschaft eine Zwangsinstitution, sprich den Staat, braucht, um den Menschen zu zivilisieren. Oder Rousseau, der glaubte, wir reden über Gesellschaft im Blick auf einen Naturzustand, den wir dann irgendwann wieder erreichen, der uns glücklicher macht, richtiger leben läßt und so weiter."
Natur und Gesellschaft - ein, wie Soziologen gerne sagen, ganz altes Programm der Selbstbeschreibung also: Mit Bezug auf die Natur werden Probleme der Gesellschaft aufgezeigt. Doch das ist nur ein Aspekt des Mottos auf dem Kongress in Kassel. Der andere: Die Soziologie geht in die Offensive und wirft den Fehdehandschuh! Heinz Bude:
"Nämlich, den Fehdehandschuh den Lebenswissenschaften. Die Lebenswissenschaften, da sind mit gemeint, die Gehirnforschung, damit ist gemeint so etwas wie Entwicklungsbiologie aber auch die Demographie, scheinen im Augenblick das Feld zu bestimmen. Wenn es um Probleme unseres Zusammenlebens geht, fragt man nach der Bevölkerungsentwicklung, oder fragt danach, was können wir eigentlich durch bestimmte Interventionen in das Gehirn tun, oder so etwas."
Die Lebenswissenschaften bestimmen so zunehmend unsere Vorstellungen und Deutungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sagt Heinz Bude,
"Und auch in der Forschungsförderung nehmen sie dicke Mittel weg! Die Soziologie sagt jetzt, wir haben auch etwas dazu zu sagen. Das heißt, dieser Kongress will die soziologische Karte spielen in der Auseinandersetzung mit den Lebenswissenschaften. Keine falschen Konfrontationen herstellen, vor allen Dingen nicht, das will der Kongress nicht sagen, wir sind die Oberschlauen, die von einer sogenannten ideologiekritischen Position beurteilen, was es nun mit der Naturalisierung der Gesellschaftsverhältnisse auf sich habe, sondern durchaus auch Selbstbefragung der Soziologie hin auf die Natur der Gesellschaft."
Was also ist die Natur der Gesellschaft? Ein eigens angesetztes Plenum bot Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen. Zu einer gemeinsamen und erschöpfenden Antwort fanden die Referenten allerdings nicht, denn schließlich wurde ein weites Feld abgesteckt: Etwa von der Natur der Gesellschaft über die Natur der Weltgesellschaft und die Kulturbedeutung der Natur in postsäkularen Gesellschaften bis zu den Techniken in der Gesellschaft. Dirk Baecker, Professor an der Universität Witten-Herdecke ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob sich aus dem naturwissenschaftlichen Begriff der Natur ein Bild von der "Natur der Gesellschaft" ableiten läßt.
"Der allgemeine naturwissenschaftliche Begriff der Natur ist ein Begriff, der auf Verfallsprozesse, die immer wieder umgesetzt werden in Entstehungsprozesse von Phänomenen, abstellt. Also: Der wichtigste Begriff dort lautet Selbstorganisation. Etwas entsteht aus seinem eigenen Zerfall."
Dirk Baecker hat dieses Phänomen auch in der Gesellschaft beobachtet. Auf die Frage nach der Natur der Gesellschaft gibt er folgende Antwort:
"Vielleicht besteht die Natur der Gesellschaft in unserem Kommunizieren oder in der Kommunikation. Denn Kommunikation ist ein Austausch von Sätzen, ein Austausch von Gesten, die in dem Moment, das merken wir jetzt, indem sie gesagt sind, schon wieder verklingen und zerfallen und dann die Frage aufwerfen, worin könnte der nächste Satz bestehen."
Kommunikation als Natur der Gesellschaft? Werner Rammert, Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin, stimmt dieser Antwort zu. Doch er warnt davor, die verschiedenen Techniken der Kommunikation zu vergessen. Auch sie gehören für ihn zur Natur der Gesellschaft:
"Es macht einen großen Unterschied, in welcher Weise wir kommunizieren, ob wir es jetzt Angesicht zu Angesicht, oder ich über Mikrophon und dann breit ausgestrahlt im Rundfunk etwas sage, ob ich es in einem Buch schreibe, oder im Internet in einen blog hinein mache, was Tausende lesen. Es ist alles Kommunikation, aber es macht große Unterschiede über diese technische Verbreitung, über den Stil, wie man etwas macht, in der Einfachheit oder in der Schwierigkeit, wie man andere Leute adressiert."
Schließlich findet Kommunikation nicht nur über die Sprache statt. Es gibt viele Möglichkeiten, um mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, sagt Werner Rammert:
"Aber wir kommunizieren auch, indem wir mir Dingen umgehen, indem wir mit Körpern umgehen, also mit anderen interagieren. Wir müssen nicht sagen "Ich liebe Dich", sondern man kann den andern auch sozusagen, drücken, das ist auch eine Sprache des Körpers. Oder man kann ihm eine sms schicken, oder eine andere Form, wo‘s nicht drinsteht, "Ich liebe Dich", aber sozusagen, dass man überhaupt etwas tut, sich erinnert, ein Paket schickt, ja, ist auch eine Sprache."
Techniken zählen also ebenfalls zum Kern der Gesellschaft. Denn bei der Kommunikation der Menschen spielen sie eine zentrale Rolle. Und wie steht es um das Verhältnis von Natur und Techniken? Werner Rammert sagt: "Die Natur wird weitgehend durch Techniken gestaltet."
"Die Natur erfahren wir selbst kaum in ihrer ursprünglichen Form, sie ist ja selbst immer schon verarbeitet, als Landschaft, als Wald, als wirtschaftlich nützbarer Wald, selbst die wildesten Sachen, wie Wildparks, wo man Natur schützen will, sind ja auch reguliert um so etwas vorführen zu können, was man für reine wilde Natur hält."
Und auch das Bild, das wir uns von der Natur und vom Menschen machen, ist maßgeblich durch verschiedene Techniken bestimmt. Werner Rammert:
"Aber viel wichtiger sind wahrscheinlich die verarbeitete Natur, was unser natürlicher Körper ist, was Gehirntätigkeit ist, alles das wissen wir nur durch naturwissenschaftliche Forschung, durch Bilder, die wir aus Labors bekommen. Und mit jedem neuen Bild, mit jeder neuen Sendung, mit jeder neuen Illustrierten bekommen wir ein neues Bild von dem, was wir für die Erde halten, was für das Gehirn halten, was Gene sind. Ohne sie direkt sehen zu können, haben wir ein Verständnis von Natur, was aber immer vermittelt ist durch Techniken, technische Bilder, Computerbilder und ähnliches, die einfach das Bild in uns erzeugen, was wir von Natur, oder was andere davon haben."
Die Natur der Gesellschaft? Kommunikation und Techniken bestimmen Gesellschaften in entscheidender Weise. Das ist nun nicht wirklich neu. Doch wenigstens darin sind die Soziologen sich einig! Und einig sind sie sich auch in dem Befund, dass damit wenigstens so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner gefunden ist.
"Irgendwie haben doch offenbar immer Sozialphilosophen, bevor es noch die Soziologie war, sich auf die Natur berufen, um die Gesellschaft zu erklären. Hobbes zum Beispiel, sagte, der Mensch ist des Menschen Wolf. Wenn das so ist, wenn das die Natur des Menschen ist, dann müssen wir über bestimmte Weise über Gesellschaft nachdenken, nämlich, dass Gesellschaft eine Zwangsinstitution, sprich den Staat, braucht, um den Menschen zu zivilisieren. Oder Rousseau, der glaubte, wir reden über Gesellschaft im Blick auf einen Naturzustand, den wir dann irgendwann wieder erreichen, der uns glücklicher macht, richtiger leben läßt und so weiter."
Natur und Gesellschaft - ein, wie Soziologen gerne sagen, ganz altes Programm der Selbstbeschreibung also: Mit Bezug auf die Natur werden Probleme der Gesellschaft aufgezeigt. Doch das ist nur ein Aspekt des Mottos auf dem Kongress in Kassel. Der andere: Die Soziologie geht in die Offensive und wirft den Fehdehandschuh! Heinz Bude:
"Nämlich, den Fehdehandschuh den Lebenswissenschaften. Die Lebenswissenschaften, da sind mit gemeint, die Gehirnforschung, damit ist gemeint so etwas wie Entwicklungsbiologie aber auch die Demographie, scheinen im Augenblick das Feld zu bestimmen. Wenn es um Probleme unseres Zusammenlebens geht, fragt man nach der Bevölkerungsentwicklung, oder fragt danach, was können wir eigentlich durch bestimmte Interventionen in das Gehirn tun, oder so etwas."
Die Lebenswissenschaften bestimmen so zunehmend unsere Vorstellungen und Deutungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, sagt Heinz Bude,
"Und auch in der Forschungsförderung nehmen sie dicke Mittel weg! Die Soziologie sagt jetzt, wir haben auch etwas dazu zu sagen. Das heißt, dieser Kongress will die soziologische Karte spielen in der Auseinandersetzung mit den Lebenswissenschaften. Keine falschen Konfrontationen herstellen, vor allen Dingen nicht, das will der Kongress nicht sagen, wir sind die Oberschlauen, die von einer sogenannten ideologiekritischen Position beurteilen, was es nun mit der Naturalisierung der Gesellschaftsverhältnisse auf sich habe, sondern durchaus auch Selbstbefragung der Soziologie hin auf die Natur der Gesellschaft."
Was also ist die Natur der Gesellschaft? Ein eigens angesetztes Plenum bot Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen. Zu einer gemeinsamen und erschöpfenden Antwort fanden die Referenten allerdings nicht, denn schließlich wurde ein weites Feld abgesteckt: Etwa von der Natur der Gesellschaft über die Natur der Weltgesellschaft und die Kulturbedeutung der Natur in postsäkularen Gesellschaften bis zu den Techniken in der Gesellschaft. Dirk Baecker, Professor an der Universität Witten-Herdecke ging in seinem Vortrag der Frage nach, ob sich aus dem naturwissenschaftlichen Begriff der Natur ein Bild von der "Natur der Gesellschaft" ableiten läßt.
"Der allgemeine naturwissenschaftliche Begriff der Natur ist ein Begriff, der auf Verfallsprozesse, die immer wieder umgesetzt werden in Entstehungsprozesse von Phänomenen, abstellt. Also: Der wichtigste Begriff dort lautet Selbstorganisation. Etwas entsteht aus seinem eigenen Zerfall."
Dirk Baecker hat dieses Phänomen auch in der Gesellschaft beobachtet. Auf die Frage nach der Natur der Gesellschaft gibt er folgende Antwort:
"Vielleicht besteht die Natur der Gesellschaft in unserem Kommunizieren oder in der Kommunikation. Denn Kommunikation ist ein Austausch von Sätzen, ein Austausch von Gesten, die in dem Moment, das merken wir jetzt, indem sie gesagt sind, schon wieder verklingen und zerfallen und dann die Frage aufwerfen, worin könnte der nächste Satz bestehen."
Kommunikation als Natur der Gesellschaft? Werner Rammert, Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin, stimmt dieser Antwort zu. Doch er warnt davor, die verschiedenen Techniken der Kommunikation zu vergessen. Auch sie gehören für ihn zur Natur der Gesellschaft:
"Es macht einen großen Unterschied, in welcher Weise wir kommunizieren, ob wir es jetzt Angesicht zu Angesicht, oder ich über Mikrophon und dann breit ausgestrahlt im Rundfunk etwas sage, ob ich es in einem Buch schreibe, oder im Internet in einen blog hinein mache, was Tausende lesen. Es ist alles Kommunikation, aber es macht große Unterschiede über diese technische Verbreitung, über den Stil, wie man etwas macht, in der Einfachheit oder in der Schwierigkeit, wie man andere Leute adressiert."
Schließlich findet Kommunikation nicht nur über die Sprache statt. Es gibt viele Möglichkeiten, um mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen, sagt Werner Rammert:
"Aber wir kommunizieren auch, indem wir mir Dingen umgehen, indem wir mit Körpern umgehen, also mit anderen interagieren. Wir müssen nicht sagen "Ich liebe Dich", sondern man kann den andern auch sozusagen, drücken, das ist auch eine Sprache des Körpers. Oder man kann ihm eine sms schicken, oder eine andere Form, wo‘s nicht drinsteht, "Ich liebe Dich", aber sozusagen, dass man überhaupt etwas tut, sich erinnert, ein Paket schickt, ja, ist auch eine Sprache."
Techniken zählen also ebenfalls zum Kern der Gesellschaft. Denn bei der Kommunikation der Menschen spielen sie eine zentrale Rolle. Und wie steht es um das Verhältnis von Natur und Techniken? Werner Rammert sagt: "Die Natur wird weitgehend durch Techniken gestaltet."
"Die Natur erfahren wir selbst kaum in ihrer ursprünglichen Form, sie ist ja selbst immer schon verarbeitet, als Landschaft, als Wald, als wirtschaftlich nützbarer Wald, selbst die wildesten Sachen, wie Wildparks, wo man Natur schützen will, sind ja auch reguliert um so etwas vorführen zu können, was man für reine wilde Natur hält."
Und auch das Bild, das wir uns von der Natur und vom Menschen machen, ist maßgeblich durch verschiedene Techniken bestimmt. Werner Rammert:
"Aber viel wichtiger sind wahrscheinlich die verarbeitete Natur, was unser natürlicher Körper ist, was Gehirntätigkeit ist, alles das wissen wir nur durch naturwissenschaftliche Forschung, durch Bilder, die wir aus Labors bekommen. Und mit jedem neuen Bild, mit jeder neuen Sendung, mit jeder neuen Illustrierten bekommen wir ein neues Bild von dem, was wir für die Erde halten, was für das Gehirn halten, was Gene sind. Ohne sie direkt sehen zu können, haben wir ein Verständnis von Natur, was aber immer vermittelt ist durch Techniken, technische Bilder, Computerbilder und ähnliches, die einfach das Bild in uns erzeugen, was wir von Natur, oder was andere davon haben."
Die Natur der Gesellschaft? Kommunikation und Techniken bestimmen Gesellschaften in entscheidender Weise. Das ist nun nicht wirklich neu. Doch wenigstens darin sind die Soziologen sich einig! Und einig sind sie sich auch in dem Befund, dass damit wenigstens so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner gefunden ist.