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Soziologin Bediz Yilmaz
Der zivile Tod einer türkischen Forscherin

Bediz Yilmaz, türkische Soziologin, ist durch das Unterzeichnen einer Friedenspetition ins Visier der türkischen Regierung geraten. Der Vorwurf: Terrorpropaganda. Seit einem Jahr arbeitet und forscht sie im sicheren Deutschland. Doch die Umstände ihres Aufenthalts trüben ihr akademisches Glück.

Von Susanne Schäfer | 18.01.2018
    Demonstranten am 5.12.2017 in Istanbul, Türkei, vor dem Gerichtsgebäude, um eine Gruppe von Akademikern vor Gericht zu unterstützen
    Demonstranten am 5.12.2017 in Istanbul vor dem Gerichtsgebäude, um eine Gruppe von Akademikern vor Gericht zu unterstützen (AFP / Ozan Kose)
    "Ich fühle mich wie: Meine Freiheit ist weg genommen. Ich kann nicht zurück gehen, weil mein Pass ist ungültig."
    Deutsch zu sprechen fällt Bediz Yilmaz schwer. Vor allem, wenn es um ihre Gefühle geht. Als sie vor einem Jahr nach Osnabrück kam, da dachte sie noch, sie könnte auch jederzeit zurück in ihre Heimatstadt Mersin reisen, um ihren Mann und ihre Söhne zu sehen. Doch ein weiterer Erlass macht ihr das jetzt unmöglich.
    Seit April sei Rückreise in Türkei nicht möglich
    "Seit April kann nicht zurück in die Türkei. Und das ist eine schwerwiegende Veränderung, weil mir meine Freiheit genommen wurde. Ich kann nicht reisen, denn wenn ich zurück in die Türkei gehen würde, könnte ich nicht mehr nach Deutschland kommen und meinen Aufgaben hier nicht mehr nachkommen."
    Und zwar hier am Institut für Migrationsforschung der Universität Osnabrück. Sie hat ein Stipendium der Humboldt-Stiftung. Die Philipp-Schwartz Initiative unterstützt gefährdete Forscher. Die 44-Jährige ist dankbar dafür, sagt sie mit stockender Stimme, aber:
    "Es macht einen Unterschied, ob man freiwillig etwas tut oder ob man das Gefühl hat, gezwungen zu werden. Deshalb denke ich, dass es schöner wäre, wenn ich zu einer anderen Zeit hier sein könnte."
    Reiseverbot auch für den Ehemann
    Nur ihre zwei Söhne reisen zwischen Osnabrück und Mersin hin und her. Aber Bediz Yilmaz möchte forschen und das Geld, das sie in Osnabrück bekommt, ist wichtig für die Familie. Denn auch ihr Mann – ein Politikwissenschaftler - darf an keiner türkischen Universität mehr arbeiten. Auch für ihn gilt das Reiseverbot. Um wenigstens etwas zu tun, haben er und andere entlassene Akademiker in Mersin ein Kulturcafé mit Bibliothek eröffnet. Dort hängen im Fenster des Cafés bunte Kraniche. Die Papiervögel hat Bediz Yilmaz im fernen Osnabrück gefaltet. Es war ein Geschenk für ihre Eröffnungsfeier:
    "Ich habe das Origamipapier gekauft und dann haben mein Sohn und ich eine ganze Nacht lang gefaltet."
    Trotz all dem bereut sie nicht, dass sie vor rund zwei Jahren die Friedenspetition unterzeichnet hat. Als Opfer will Bediz Yilmaz sich nicht sehen und auch nicht von einer Tragödie sprechen:
    In der Türkei gibt es so viele Menschen, die Ähnliches oder Schlimmeres erleben. Ich habe viele Freunde, deren Partner im Gefängnis sind, die auf gefährlichem Weg aus der Türkei fliehen mussten oder die auch entlassen wurden."
    "Als Bürger tot"
    Die Strafen durch den türkischen Staat bezeichnet sie als zivilen Tod:
    "Auf eine Art wurden wir getötet. Wir atmen zwar, aber in allem, was einen Bürger ausmacht, sind wir tot."
    Dass sich die Lage in der Türkei entspannt, glaubt sie nicht. Für die ersten Unterzeichner der Friedenspetition hat in der Türkei der Prozess begonnen. Terrorpropaganda wird den mehr als 1.000 Akademikern vorgeworfen. Als erstes waren die Wissenschaftler der Istanbuler Universitäten an der Reihe. Auch Bediz Yilmaz und ihrem Mann aus Mersin steht der Prozess noch bevor. Derzeit sieht alles danach aus, als würden sich die Verfahren sehr lange hinschleppen. So lange würden sie und die anderen Akademiker in Ungewissheit leben. Der Prozess wäre damit wie eine machtvolle Karte, die die Regierung jederzeit spielen könne. Ein Jahr dauert ihr Stipendium noch. Im April wird sie erstmals an der Universität unterrichten. Gerade organisiert sie eine Ringvorlesung:
    "Das wird eine Vorlesungsreihe sein mit Wissenschaftlern aus Deutschland und auch aus der Türkei, die nicht ausreisen dürfen. Sie werden über Skype zugeschaltet. Und ich denke es wird sehr gut, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihren Beruf auszuüben."
    Bediz Yilmaz, die Wissenschaftlerin im Exil, freut sich jetzt erstmal auf den Frühling in Osnabrück. Dann will sie mit ihrem Sohn im Park Basketball spielen und Fahrrad fahren. Und zusammen die deutsche Sprache entdecken:
    "Mit meinem Sohn, meinen zwei Söhnen, wir lieben sagen 'Heute schön'. Lacht: 'Heute schön'".