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Spät entdeckt

Die Pfalzgalerie in Kaiserslautern zeigt in der ersten umfassenden Retrospektive Europas Werke der Künstlerin Carmen Herrera, der "älteste Newcomerin Amerikas", wie sie einmal genannt wurde. Die 95-jährige gebürtige Kubanerin lebt seit 1954 in New York.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Beatrix Novy | 27.01.2010
    Beatrix Novy: Am Anfang also die erstaunliche Geschichte der Carmen Herrera, die hat über 50 Jahre lang gemalt, bevor sie vom Kunstmarkt so richtig entdeckt wurde. Jetzt ist sie schon 95 und kann noch zusehen, wie ihre Bilder zu fünfstelligen Dollarbeträgen gehandelt werden. Das macht Mut, Christiane Vielhaber. Wie kam es denn? Was hat Carmen Herrera so lange vom Ruhm ferngehalten?

    Christiane Vielhaber: Sie hat sich wohl mehr um ihren Mann, den Literaturwissenschaftler oder Literaten, gekümmert, der 2000 gestorben ist, und sie sagt jetzt: Er hat ihr nicht den Weg freigemacht, aber er würde das von oben sicherlich sehr genießen, wenn er sieht, was jetzt mit ihr wird. Sie hat sich nie nach vorne gedrängt, obwohl sie eigentlich schon früh in der vordersten Reihe stand, und ich muss sagen: Ich habe diesen Namen noch nie gehört gehabt, bevor ich die Einladung von der Pfalzgalerie in Kaiserslautern bekam, und was mich ermutigt hat, mich darum zu kümmern, war eigentlich das Programm des Hauses, wo ich vor wenigen Jahren schon eine tolle Ausstellung über amerikanische abstrakte Expressionistinnen gesehen habe, also, mit Helen Frankenthaler, wo man auch nur den Mann kannte, oder Lee Krasner, die Lebensgefährtin von Pollock. Und da habe ich gedacht: Wenn die so was machen, dann ist das hier bestimmt ..., dann haben die bestimmt auch einen Riecher. Und ich muss sagen: Ich war überhaupt nicht enttäuscht, sondern ich war überrascht. Es ist das ganze Werk, also von 1948 bis in die Jetztzeit, sie sitzt im Rollstuhl, arbeitet aber immer noch, was aber bei ihr nicht so anstrengend ist, denn sie arbeitet eben konkret, und das heißt, sie arbeitet mit Form, mit Rechtecken und Quadraten. Sie kann das also so auf dem Tisch machen. Sie braucht nicht den Körpereinsatz mit dem Pinsel. Den hat sie am Anfang ein bisschen gehabt, das zeigt diese Ausstellung, wo sie noch so ein bisschen gestisch war, wo man auch noch so eine Handschrift merkte. Dann geht sie ... Sie hat ganz früh schon Zeichenunterricht gehabt, auf Kuba, mit zehn Jahren, sie kommt aus einem sehr intellektuellen Elternhaus, ihr Vater war ein Zeitungsherausgeber, die Mutter war eine Schreiberin, und die haben das Kind auch unterstützt.

    Novy: Jetzt müssen wir noch mal eben in die Vita gehen. Sie ist also geborene Kubanerin, hat aber in New York gelebt.

    Vielhaber: Sie hat dann erst mal in Havanna, wo sie auch geboren ist, Architektur studiert, geht dann kurzfristig nach New York und studiert dort Kunst, unter anderem zusammen mit Barnett Newman, der auch ihr Nachbar und später ihr Freund war, geht dann mit ihrem Mann nach Paris und kehrt 1954 endgültig nach New York zurück, wo sie auch heute noch lebt.

    Novy: Es hieß in einer Rezension, sie sei vielleicht deswegen so lange nicht beachtet worden, weil sie zu wenig Frau, zu wenig Kubanerin sei und zu wenig Schule und Richtung repräsentiere. Kann da was dran sein? Also, das heißt, dass ihr Werk nicht auf eine dieser Spezifizierungen und Schubladen hinweist.

    Vielhaber: Wenn Sie frühe Bilder sehen, dann denken Sie doch, es entspricht meinem oder unserem Klischee von kubanischer Farbe, von kubanischen Formen, das ist irgendwie so ein bisschen, ja, hat das was Folkloristisches. Dann erkennen Sie da aber Formen - ich habe immer gedacht, das sieht aus wie ein Pilz und das sieht aus wie ein Nagel, aber die Farben sind so warm.

    Novy: Also doch was Kubanisches, was Karibisches.

    Vielhaber: Ja, ein bisschen. Und dann wird es eigentlich immer strenger. Und wenn Sie am Anfang so gesehen haben, ach, so eine Nagel- oder Pilzform, dann wird das mehr und mehr ein spitziges Dreieck, also, diese Formen tauchen immer wieder auf, und es ist so ... Frau Novy, es sind so viele Assoziationen, manchmal denken Sie bei diesen Vexierspielen an die Op-Art, es gibt ein Bild, da habe ich davorgestanden und habe gedacht, wie ich als Kind immer das Zeichen von Edeka gesehen habe, dieses gelbe E auf blauem Grund - was ist vorne, was ist hinten? Steht das E vorne oder liegt es in der Tiefe? Solche Spielereien macht sie. Oder Sie kommen auf ein Bild zu und denken: Ein gelbes Bild, und rechts und links zwei spitzige Dreiecke draufgemalt, und je näher Sie kommen, sehen Sie: Die sind ausgeschnitten und sie gucken nur auf die weiße Wand. Also auch: Gucken Sie in die Tiefe oder liegt das drauf?

    Novy: Das klingt alles doch sehr nach Auseinandersetzung mit Farben und Formen und Mustern.

    Vielhaber: Muster weniger, sondern mit Fläche und Raum. Teilweise kommt sie auch dann mit ihren Wandbildern in den Raum rein. Also, Sie stehen vor einem Bild und dann haben Sie das Gefühl: Das ist jetzt ein Rechteck. Und wenn Sie seitlich gucken, dann sehen Sie, dass der Rahmen eigentlich ein Trapez ist, dass es wirklich Ihnen entgegenkommt, aber auf eine Art und Weise, die sehr eigenständig ist. Ich meine dieses Spiel mit Fläche und Raum, und man muss nicht Albers und man muss nicht Max Bill, die auch in der hauseigenen Sammlung sind und die man sich dann später angucken kann, zitieren. Man merkt ihren ... gerade mit diesen Ausschnitten und mit diesem Spiel, wo eine Form aufhört und in eine andere übergeht, wechselt sie dann auch die Farbe, das kann man alles sehr schön nachvollziehen.

    Novy: Also, ganz und gar keine Enttäuschung, ganz im Gegenteil, eine Empfehlung.