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Späte Ausgrabung

Es geht um die Macht. Um die Macht im Staat und um die Befreiung von einer fremden Macht. Vier russische Fürsten, von denen sich der Moskauer Dmitri im Machtvakuum nach dem Tode des Großfürsten zu dessen Nachfolger aufgeschwungen hat, diskutieren am Vorabend einer Schlacht gegen die Khane des tatarischen Großreiches im Zeltlager am Don über Ansichten und Absichten. Unentwegt wird von Politik, Freiheit, Kampf und Taktik geredet, doch hinter großen Worten und flotten Sprüchen stecken nur eigene Interessen oder individuelle Leidenschaften. Aller Kampf findet zunächst in Wortgefechten zwischen den Verbündeten statt.

Von Hartmut Krug | 14.01.2005
    Die Rede ist von hohen Zielen, doch die Beweggründe der Männer sind durchgehend niedrig. Nur Nina, Witwe des verstorbenen Herrschers, die von zugleich zwei Fürsten weniger als Frau denn als Anführerin eines Heeres begehrt wird, kommt als mit sich identische positive Figur daher. Nina liebt den neuen Großfürsten und kämpft zugleich für ihre Liebe wie für Russland.

    "Tatarenschlacht" ist Mittelteil einer 1996 entstandenen nachgelassenen Trilogie, deren erster Teil "Bojarenschlacht" und deren letzter "Der falsche Zar" heißt. Alle drei Stücke lehnen sich an alte russische Stücke an. "Tatarenschlacht" nennt sich im Untertitel "Schauspiel in fünf Akten nach Ladislaus Oserow". Es geht um politische Umwälzungen und gesellschaftliche Umbrüche im Russland des 14.Jahrhunderts, aber der Autor meint unsere Gegenwart. Das russische Mittelalter ist der Schauplatz, in dem sich unsere Gegenwart spiegelt, die zugleich im Gewand einer klassizistischen Tragödie beschrieben wird. So fungiert die Historie als Folie für die Wende am Ende des vergangenen Jahrhunderts in Russland und in der DDR.

    Doch während Hacks Anfang der Neunzigerjahre in seinem in Greifswald uraufgeführten Stück "Der Geldgott" noch mit schon im Titel angelegten platten Analogien die Nachwendezeit zu erklären oder besser zu verurteilen suchte, da versagt er sich jetzt jede Direktheit zugunsten eines grollenden, allgemeinen Pessimismus. Die Welt ist schlecht, und die Geschichte wird von billigen privaten Leidenschaften angetrieben. Selbst wo Gorbatschow oder Putin gemeint scheinen oder wo Peter Hacks politische Handlungen anderer heutiger Personen zitiert, wird das Stück nie direkt oder gar kabarettistisch, sondern bleibt immer anspielungsreich metaphorisch.

    Dass hier christliche Russen gegen islamische Tataren antreten, spielt bei Hacks keine Rolle. Regisseur Marc Pommerening lässt allerdings den Harem, mit dem einer der tatarischen Khane zu den Russen überläuft, als drei schwarz verhüllte Gotteskriegerinnen mit Maschinenpistolen und um den Bauch gebundenem Sprengstoff daherkommen: Dies die einzige und zugleich so oberflächliche wie überflüssige "Aktualisierung" in einer Inszenierung, die sich völlig auf die sensible Ausmalung von Hacks Figuren konzentriert und die unentwegten Machtverschiebungen im Gestrüpp der divergierenden und intrigierenden Interessen ausstellt. Dafür hat Bühnenbildner Nikolaus Granbacher die leere Bühnenschräge mit einem Gespinst von silbernen Stangen überzogen: Im Dickicht der Stäbe bewegen sich die Figuren in ihren zeitlos einfachen, bodenlangen Kostümen mit eleganter Selbstverständlichkeit. Bewegungen kommen aus der Sprache, nur selten werden die Stangen für äußere Beweglichkeiten genutzt. Die Männer verbergen ihre wahren Leidenschaften, während die Frau sie, emotional aufbrausend und mit taktischen Tränen, auch als Kampfmittel einsetzt. So unterstreicht die Inszenierung, dass Hacks die Frau zwischen all den sich unangenehm und schäbig mit Verstellung und Heimtücke um die Macht balgenden Männern als die einzige menschliche und positive Figur zu zeichnen versucht.

    Insgesamt ist die "Tatarenschlacht" allerdings ein eher schwächliches Stück. Statt der vom früheren Hacks bekannten galligen Bitternis, dem ätzenden Grimm oder der elegant funkelnden Ironie gibt es nur matte Eleganz und müde Witzelei. Hacks überzeichnet nicht und spitzt nicht zu, sondern malt sprachlich brav ein trauriges Zustandsbild. Regisseur Marc Pommerening, der in Erlangen bereits das U-Boot-Drama "Die Wölfe" des NS-Dichters Hans Rehberg als Gedankendrama inszeniert hat und mit seinem beim letzten Weimarer Kunstfest uraufgeführten Stück "Johnnys Jihad" Möglichkeiten von Toleranz beim Umgang mit fanatischer Religiosität untersuchte, holt bewusst aus der "Tatarenschlacht" nicht mehr heraus und legt nicht mehr in sie hinein, als Peter Hacks angelegt hat.

    Das junge homogene Erlanger Ensemble zeichnet ein differenziertes Figurenpanorama. Andreas Petri gibt den aufbrausend fordernden, Denis Larisch den genüsslich verschlagenen, Bernhard Majcen den ratgebend erfahrenen Fürsten. Während Lutz Wessel seinen Großfürsten bis zur Mattheit taktieren lässt, bringt Miriam Wagner als Witwe Nina inneren und äußeren Schwung in diese solide Uraufführung eines nicht sonderlich aufregenden Stückes. Eine Renaissance des Dramatikers Peter Hacks wird die Erlanger Uraufführung der "Tatarenschlacht" wohl kaum bewirken.