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Späte Begnadigung für Ego-Shooter

Was ist jugendgefährdend und was nicht? Zum Beispiel die Werke "Der kleine Sheriff" oder "Jezeb der Seefahrer" - die erschienen den Leuten von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften 1954 als "nervenaufreibend und verrohend" und sogar - man höre und staune - als "Ergebnis einer entarteten Phantasie". Die heutige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien hat sich sehr weiterentwickelt. Und sie korrigiert sich auch in ihren Urteilen, auch bei fast historischen Computerspielen, die vor 15 Jahren noch verteufelt wurden und auf den Index kamen - wie bei "Doom" und "Quake".

Von Christian Schiffer | 19.01.2012
    Ende 1993 erscheint "Doom", ein Meilenstein des Genres der 3D-Shooter. Als Space Marine läuft der Spieler durch eine surreale Forschungseinrichtung auf dem Mars, die von allerlei Dämonen und Zombies bevölkert wird. Mit Schrotflinte, Maschinengewehr, einem Raketenwerfer und der berüchtigten Kettensäge macht er aus den Monstern Pixelbrei.

    "Doom" wird zum Hit und später sogar zum Kulturgut. In den USA steht das Spiel längst in der altehrwürdigen Library of Congress. Und auch in der Ausstellung des Computerspielemuseums in Berlin ist es dokumentiert, sagt dessen Direktor Andreas Lange:

    "Ein ganz, ganz wichtiges Spiel. Nicht nur aufgrund seiner Popularität, sondern aufgrund dessen, dass es virtuelle Welten auf ganz andere Weisen erlebbar gemacht hat, eben durch diese 3D-Erfahrung."

    Dennoch: Damals gilt "Doom" vielen als gewalttätiges Machwerk und schnell ist klar, dass es hierzulande nicht lange in den Regalen stehen wird. Die Bundesprüfstelle entscheidet: "Doom" muss auf den Index, darf also nicht offen verkauft und beworben werden. In der Begründung heißt es:

    "Hier werden Verhaltensweisen trainiert, die die körperliche Integrität und Unversehrtheit des Gegenübers negieren. Das birgt die Gefahr in sich, dass der Respekt vor dem Leben und der körperlichen Unversehrtheit anderer herabsinkt."

    Mittlerweile wurde "Doom" begnadigt. Im August hat die Bundesprüfstelle auf Antrag der Firma, die die Rechte an dem Spiel hält, entschieden, dass es wieder verkauft werden darf. Und nicht nur das: Ende letzten Jahres wurde auch "Quake" vom Index gestrichen, einer der Nachfolger von "Doom". Die stellvertretende Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien Petra Meier, zu den Gründen:

    "Die Entscheidungen der Bundesprüfstelle geben immer den derzeitigen Wertestand der Gesellschaft wieder, was jugendgefährdend ist. Das kann sich über die Jahre durchaus ändern. Es kann eine liberalere Auffassung vorherrschen, es kann aber in anderen Fällen aber auch eine strengere Auffassung dazu geben. Das spiegelt sich in den Entscheidungen wider. Die Entscheidung zu "Doom" damals 1994 hat eben den damaligen Stand der Gesellschaft wiedergegeben, welche Gewaltdarstellungen nicht zulässige sind, weil sie einen verrohenden Effekt haben."

    Das, was damals noch schockte, wirkt heute naiv und harmlos. In anderen Medien ist das nicht anders: Songs der Band "Die Ärzte" beispielsweise standen lange auf dem Index, obwohl sie geradezu brav und unschuldig wirken gegen den Hip-Hop, wie ihn heute Berliner Gangster-Rapper machen. In Computerspielen kommt eine technische Komponente hinzu: Durch schnelle Prozessoren wird die Grafik immer realistischer. In modernen Ego-Shootern sieht man jede Hautpore, dagegen sehen die klobigen Pixel von "Doom" oder "Quake" fast schon aus wie kubistische Kunst. Auch der Diskurs hat sich verändert, sagt Lange:

    "Was noch dazu kommt, ist, dass sich unser Umgang mit einem neuen Medium zunehmend versachlicht. Eine Versachlichung heißt immer, dass Kritik an Punkten ansetzt, die es durchaus auch in Zukunft geben wird. Nämlich dort, wo grundsätzliche Schwellen unserer Moralvorstellungen übertreten werden. Bei vielen auf dem Index gekommenen Spielen war es aber eher eine Zeitgeistgeschichte. Das nimmt man heute zurück und das ist richtig."

    Wie Computerspiele sein dürfen und sein können, das hat sich in den letzten Jahren gravierend verändert. Ist das nun etwas Schlechtes? Wahrscheinlich nicht, denn es lehrt Demut. "Doom" und "Quake" zeigen: Was als Kunst, Kultur oder als gefährlicher Trash gilt, ist immer auch eine Frage der Zeit.