Samstag, 18. Mai 2024

Archiv


Späte Ehrung in Köln

Die Urteile gegen sogenannte "Kriegsverräter" aus dem Dritten Reich haben bis heute Bestand. Dennoch hat sich die Stadt Köln dazu entschlossen, den Opfern der barbarischen Nazi-Militärjustiz ein Denkmal zu setzen - das erste seiner Art.

Von Christoph Gehring | 01.09.2009
    "Der Soldat im Feld kann sterben. Der Deserteur muss sterben." Das war die Direktive von Adolf Hitler an seine Militärjustiz. Und die Justiz folgte: Mehr als 30.000 Todesurteile sprachen Hitlers Juristen aus wegen Fahnenflucht und Kriegsverrats. Urteile, die erst nach der Jahrtausendwende vom Bundestag für unrecht und nichtig erklärt wurden.

    "Wir haben bis zum Jahr 2002 warten müssen, wir Deserteure, bis die Urteile aufgehoben waren. Die Richter, die uns verurteilt haben, von denen ist keiner bestraft worden."

    Es ist deswegen eine späte Genugtuung für den Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann, Geburtsjahrgang 1921, dass da nun in Köln dieses Denkmal steht. Das erste von der öffentlichen Hand errichtete Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz. Das, findet Werner Jung, der Leiter des Kölner NS-Dokumentationszentrums, das sei der wesentliche Punkt: Dass die Stadt Köln einer Opfergruppe ein Denkmal setze, die bis heute in Teilen nicht als Opfer des NS-Regimes anerkannt sei – die Urteile der schrecklichen Nazijuristen wegen "Kriegsverrats" haben bis heute Bestand. Werner Jung:

    "Es gibt zwar in Deutschland ungefähr 16 Denkmäler dieser Art, aber es gab bisher keins mit einem offiziellen Auftrag. Und die sind versteckt auf irgendwelchen Privatgrundstücken. Was jetzt hier gemacht worden ist, ist ein sehr würdiges Denkmal an einem sehr zentralen Platz."

    Der sehr zentrale Platz befindet sich an einer vielbefahrenen Innenstadtstraße, neben einem U-Bahn-Eingang, zwischen zwei Rückseiten, der Rückseite des Stadtmuseums und der Rückseite des Verwaltungsgerichts. Hier hat der schweizerisch-französische Künstler, Grafiker und Designer Ruedi Baur hat ein Mahnmal geschaffen, das man auch für ein dekoratives Stadtmöbel halten könnte. Man könnte aber auch sagen: Er ist nicht der Versuchung erlegen, mehr von der altbekannten Betroffenheitsästhetik des NS-Opfergedenkens in den Raum zu stellen.

    "Was mich besonders interessiert ist jetzt, dass das ein Thema ist, wo nicht ein Konsens ist, sondern ein Thema, wo noch diffizil ist, wo noch schwierig ist, wo man noch Überzeugungskraft vielleicht setzen muss. Was heißt das – desertieren? Also was ist dieser Akt? Wären wir einmal konfrontiert mit dieser Frage, muss ich da folgen oder ablehnen, und wenn ich ablehne, wie stark ist dann die Strafe, die damit verbunden ist?"

    In die Sichtachse zum Kölner hat Ruedi Baur eine weiße Pergola mit sechs Füßen gestellt, vier Meter hoch vielleicht, an der statt Ziergewächsen Buchstaben zu einem Kettensatz wachsen: "Hommage den Soldaten, die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten, die sich weigerten zu töten die Menschen, die sich weigerten zu foltern die Menschen, die sich weigerten zu denunzieren die Menschen, die sich weigerten zu brutalisieren die Menschen, die sich weigerten zu diskriminieren die Menschen, die sich weigerten auszulachen die Menschen, die Zivilcourage zeigten, als die Mehrheit schwieg und folgte."

    Nein, sagt Ruedi Baur, er hätte dieses Mahnmal für diese NS-Opfer nirgends anders bauen mögen. Berlin sei schließlich voll von Gedenkstätten. Dass die Jury, die über die Form des Denkmals entschieden hat, das leichte, helle, beiläufige Format gewählt hat, nicht das schwere, düstere, das die Betroffenheit mit der Keule zu verteilen sucht, das fand nicht nur Beifall. Auch der einstige Deserteur Ludwig Baumann, der zum Tode verurteilt wurde und dem Strafbataillon mehr tot als lebendig entkommen ist, wünschte sich eigentlich ein Denkmal, das den Schrecken von damals stärker visualisiert – bis er sah, was heute enthüllt wurde.

    "Wir haben früher immer gedacht, das müsste etwas Gegenständliches sein. Aber ich finde dies so gelungen, sich verweigern als menschliche Tat, einfach zu sagen: Nein, ich will keinen Krieg und dies in die Gegenwart tragen – das ist für mich eine große Hoffnung."