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Späte Genugtuung

In niederländischen Schulbüchern ist noch immer von einer "Polizeiaktion" die Rede: Ende der 1940er-Jahre ermordeten Kolonialtruppen bei einem Massaker in Indonesien 4000 Männer. Nun hat sich Den Haag durchgerungen, diejenigen zu entschädigen, die damals den Dienst an der Waffe verweigerten.

Von Kerstin Schweighöfer |
    "Ich kann jedem in die Augen schauen,” betont Jan Maassen. "Ich habe niemanden kaputtgeschossen.”

    ”In der Bibel steht: Du sollst nicht töten”, sagt Jan van Luyn. "Daran habe ich mich immer gehalten, aus Prinzip. Ich hatte auch keine Lust, mich selbst totschießen zu lassen.

    Im niederländischen Fernsehen machten sie ihren Landsleuten nochmals ihren Standpunkt klar: Jan Maassen und Jan van Luyn - zwei von insgesamt 4000 Niederländern, die es 1945 wagten, den Kriegsdienst zu verweigern, und sich nicht nach Indonesien in den Unabhängigkeitskrieg schicken liessen.

    "Indie-weigeraars”werden sie genannt. Sie bezahlten dafür einen hohen Preis, mussten sich als Landesverräter, als Feiglinge und Deserteure ausschimpfen lassen. Sie wurden sogar mit dem Tod bedroht. Und - so wie 2600 andere Dienstverweigerer - zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt: Maassen sass dreieinhalb Jahre hinter Gittern, van Luyn zweieinhalb. Maassen durfte darüber hinaus fünf Jahre lang nicht wählen.

    Nun sind die zwei Männer – beide inzwischen weit über 80 - wieder vor einem Gericht erschienen. Dieses Mal vor der höchsten Rechtsinstanz der Niederlande: dem Hoge Raad. Um sich rehabilitieren zu lassen, sagt ihre Anwältin Liesbeth Zegveld:

    "Sie wurden sehr schlecht behandelt, noch schlechter als Niederländer, die während der deutschen Besatzungszeit mit den Nazis kollaboriert hatten. Die wurden früher freigelassen als die Indie-Weigeraars. Vielleicht deshalb, weil die Nation nach Kriegsende in Glanz und Gloria wiederauferstehen wollte – das ging nicht ohne Indonesien, unser Juwel in Südostasien. Dafür war kein Preis zu hoch. Die Tatsache, dass es Niederländer gab, die daran nicht mitarbeiten wollten, muss als unerträglich empfunden worden sein.”"

    Indonesien hatte sich im August 1945 für unabhängig erklärt. Als Antwort schickte Den Haag 120.000 Soldaten in den Archipel – um Recht und Frieden zu sichern, hiess es beschönigend im Polygoonjournaal, der damaligen Kinowochenschau. In Wirklichkeit schlugen die niederländischen Soldaten den Aufstand brutal nieder, Tausende indonesische Männer wurden standrechtlich erschossen; auch auf indonesischer Seite begingen die Aufständischen Kriegsverbrechen. Insgesamt verloren so bis zu 100.000 Menschen ihr Leben, darunter 5000 Niederländer.
    Dennoch steht dieser Krieg bis heute verharmlosend als "Polizeiaktion" - politionele actie - in den Schulbüchern. Dabei hatten zwei parlamentarische Untersuchungsaussschüsse schon in den Fünfzigern festgestellt, dass es in Indonesien, Zitat, zu "Exzessen" gekommen war. Doch ihr Abschlussbericht blieb unter Verschluss, erst im letzten Jahr, 2012, wurde einer der beiden Berichte öffentlich, so Anwältin Zegveld:

    ""Hätten die Richter 1949 beim Prozess gegen meine beiden Mandanten gewusst, was die niederländischen Soldaten in Indonesien angerichtet hatten, wäre es nie zu einer Verurteilung gekommen."

    Vor dem Hoge Raad haben die beiden Indie-weigeraars ihr Ziel zwar nicht erreicht, der Fall wurde Ende Juni abgewiesen. Enttäuscht sind sie dennoch nicht. Denn, so das überraschende Urteil der Richter: Es sei Sache der Politik für Rehabilitierung zu sorgen – mit einem entsprechenden Gesetz nach deutschem und österreichischem Vorbild. "Das ist viel besser”, sagt Anwältin Zegveld. Aber soweit müsse es erst noch kommen.

    Die linken Parteien im Parlament haben sich bereits dafür ausgesprochen, die rechtsliberale Regierungspartei von Premier Mark Rutte hingegen schweigt sich vorerst aus – womöglich, so mutmasst Zegveld, um jene Soldaten nicht vor den Kopf zu stoßen, die sich nicht weigerten, in Indonesien zu kämpfen und dort ihr Leben auf Spiel setzten – sie könnten eine solche Rehabilitierung als Dolchstoss in den Rücken erfahren. Aber, so gibt die Anwältin zu bedenken:
    "Wir haben Asylbewerber aus Bosnien akzeptiert, die zu uns flüchteten, weil sie nicht im Balkankrieg kämpfen wollten. Das war ein legitimer Grund. Auch Flüchtlinge aus dem südafrikanischen Apartheidsregime haben wir deshalb anerkannt. Die Frage, ob ein Soldat gezwungen werden kann, in einem unrechtmäßigen Krieg zu kämpfen, ist legitim – und nach wie vor höchst aktuell."