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Späte Genugtuung

Die als Massaker von Katyn bekannten sowjetischen Massenmorde an polnischen Offizieren von 1940 belasten immer noch das Verhältnis zwischen Polen und Russland. Aufhorchen lässt nun eine Erklärung des russischen Außenministers Sergei Lawrow, nach der Moskau derzeit eine Rehabilitierung der Opfer prüfe.

Von Henryk Jarczyk | 25.10.2011
    "Den Gedanken, dass Vater tot war, ließen wir lange nie zu 100 Prozent zu. Es gab immer einen kleinen Hoffnungsschimmer, dass er vielleicht irgendwo in Sibirien im Lager sitzt, dass er eines Tages zurückkehren wird. Also warteten wir."

    Doch der Vater von Danuta Panczakiewicz kam niemals zurück. Er wurde wie rund 20.000 andere polnische Offiziere vom russischen Geheimdienst auf Befehl Stalins verschleppt und erschossen. Männer, die vor dem Krieg die damalige Führungselite Polens repräsentierten. Juristen, Mediziner, Lehrer, Historiker, Philosophen, Staatsrechtler, Polizei- und Verwaltungsfachleute. Wer diese Schicht vernichtet, dachte Stalin, der vernichtet auch das ganze Land. Dies als eigentliches Ziel des immer noch hoch angesehenen sowjetischen Führers zu bezeichnen, wollen russische Politiker bis heute nicht zulassen. Dementsprechend sperre sich Moskau auch, wenn es darum gehe, Rehabilitierungsansprüche der Opfer anzuerkennen, erklärt Ireneusz Kaminski, Anwalt der Angehörigen. Sie klagen seit Jahren vor dem Straßburger Menschenrechtsgerichtshof und hoffen, dass die Richter bald entscheiden:

    "Ein gerechtes Urteil wäre, wenn das Tribunal klipp und klar erkennt, dass es hier zu Menschrechtsverletzungen gekommen ist. Und dass sie andauern. Denn hat Russland bislang nichts unternommen, um die Verbrechen von Katyn aufzuarbeiten."

    Das könnte sich nun ändern. Wie der russische Außenminister Sergei Lawrow auf Nachfrage erklärte, prüfe Moskau derzeit eine Rehabilitierung der Opfer. Damit wäre Russland bereit, diese so wörtlich "absolut rechtmäßige Bitte" 71 Jahre nach dem Massaker von Katyn zugunsten der Angehörigen zu klären. Russland wolle das Problem so beilegen, dass die Angehörigen zufrieden seien und russische Gesetze nicht verletzt würden, sagte Lawrow in einem jetzt in Polen veröffentlichten Interview. Wie es heißt, hätten russische Experten dem Kreml vorgeschlagen, die Opfer nicht namentlich, sondern pauschal zu rehabilitieren. Für die 80-jährige Offizierstochter, keine Überraschung:

    "Sie haben Angst vor Entschädigungsansprüchen. Hier geht es um 20 Milliarden Dollar. Nicht Zloty. Was meines Erachtens für die Angehörigen der Ermordeten zurzeit nun wirklich nicht das Wichtigste ist."

    Den Betroffenen, sagt Witomila Wolk-Jezierska, auch sie Tochter eines der in Katyn ermordeten polnischen Offiziere, gehe es nicht ums Geld, sondern schlicht um Genugtuung:

    "Am wichtigsten wäre es, wenn Russland die Schuld der damaligen sowjetischen Führung offiziell anerkennt. Moskau hat die Verbrechen zwar grundsätzlich zugegen, aber hier geht es darum, dass sich Russland dazu bekennt, dass es Mord an unschuldigen und wehrlosen Opfern war."

    Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, meint der Anwalt der Angehörigen. Für die Moskauer Führung indes ein gewaltiger Schritt, den bislang niemand zu machen wagte. Und dass obwohl der Krieg schon 66 Jahre zurückliegt. Genau deshalb werden in Polen die jüngsten Äußerungen des russischen Außenministers mit ganz besonderer Aufmerksamkeit verfolgt.