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Späte Gerechtigkeit?

Nach der Physikerin Marie Curie wäre George Sand die zweite Frau im Totentempel der "großen Männer der Republik". Staatspräsident Chirac hat über den Antrag allerdings noch nicht entschieden, und die mögliche 'Pantheonisierung’ hat eine Debatte entfacht, die Frankreichs George-Sand-Gemeinde spaltet. Während die einen meinen, es sei höchste Zeit, dass Sand endlich ebenso geehrt wird wie ihre männlichen Schriftstellerkollegen Hugo, Zola oder Dumas, argumentieren die Gegner etwas verblümter: Das Pantheon sei zu kalt und steinern für die Naturliebhaberin George Sand, so etwa die Meinung des Schriftstellers Gonzague Saint-Bris.

Von Kathrin Hondl |
    Ihre literarische Reputation ist vor den Toren des Pantheons, sagt Saint-Bris. Doch sie selbst wollte lieber in ihrer Heimat, auf dem Land bleiben. Dass Alexandre Dumas 2002 ins Pantheon kam, war normal: Schließlich war er ein Mann, der schon immer viel gereist war, und dem diese letzte Reise nichts ausmachte. Es ist aber auch normal, dass George Sand in Nohant begraben bleibt. Denn kurz vor ihrem Tod sprach sie diese wunderbaren und geheimnisvollen Worte: "Laissez verdure – lasst es grünen.
    Wie auch immer: Die aktuelle Debatte über den möglichen Umzug des Grabes von George Sand ins Pariser Pantheon scheint symptomatisch für eine in der französischen Literatur außergewöhnlich wechselvolle Rezeptionsgeschichte. 1832 erschien ihr erster Roman "Indiana". Das Buch wurde ein Erfolg. Das Buch eines Mannes, vermuteten die Kritiker damals und bewiesen in ihren Artikeln einmal mehr, dass Bücher von Frauen anders gelesen werden als die von Männern, so die Literaturwissenschaftlerin und George Sand-Expertin Béatrice Didier:

    Solange sie glaubten, George Sand sei ein Mann, lobten sie die Ausdruckskraft des Stils, die Entschlossenheit des Aufbaus undsoweiter. Als sie dann erfuhren, dass eine Frau dahintersteckt, lobten sie Sensibilität und weibliche Intuition und vermuteten, dass Indiana von den Eheproblemen der Romanautorin erzählte.

    Nichtsdestotrotz wurde George Sand eine der schillerndsten Schriftstellerpersönlichkeiten ihrer Zeit. Sie trug Hosen und rauchte Zigarren – eine Verkleidung, in der sie ungestört die Männerwelt der Literatencafés frequentieren konnte. Und sie schrieb viel, sehr viel: an die hundert Romane, aber auch Theaterstücke und: politische Texte. Sozialistische, anti-monarchistische und frühfeministische Schriften, die bei der Auftaktfeier zum George-Sand-Jahr in der Nationalversammlung im Mittelpunkt standen. Zum 200. Geburtstag, so scheint es, entdecken die Franzosen dieses Jahr eine neue George Sand. Eine politische Schriftstellerin wird da in Szene gesetzt und gefeiert, die zuvor - ein ganzes Jahrhundert lang – im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen – vergessen wurde, beziehungsweise: verkannt.

    Auf ihren Tod folge eine lange Zeit des Fegefeuers, sagt Béatrice Didier : George Sand wurde entweder auf die "gute Dame aus Nohant" reduziert, die erbauliche Geschichten über kleine Bauern erzählte. Oder aber sie war eben die Frau mit dem skandalösen Leben – die Geliebte von Chopin, Musset und anderen. Erst Ende des 20. Jahrhunderts wurde ihr Werk wirklich ernst genommen.
    Und erst jetzt – zum 200. Geburtstag - ist unter der Leitung von Béatrice Didier eine kritische Gesamtausgabe der Werke George Sands in Arbeit. In den 80er Jahren hatten Feministinnen in den USA George Sand als Vorreiterin der Frauenbewegung entdeckt. Und auch in Frankreich begann man, sie neu zu lesen. Die Veröffentlichung ihrer Korrespondenz, vor allem ihr Briefwechsel mit Flaubert und Zola, zeigte, dass man sie zu unrecht als romantische Idealistin verpönt hatte. Dass die ach so skandalöse George Sand den Avantgarden ihrer Zeit auch literarisch-ästhetisch nicht so fern stand, wie viele meinten.

    Ihre Zeitgenossen im 19. Jahrhundert hatten das gleich erkannt und sie mit einem sonderbaren Kompliment bedacht: "Sie schreiben wie ein Mann, Madame." Vielleicht bekommt Madame Sand ja doch noch – wie ein Mann - ihren Platz im Pantheon der Republik. Verdient hätte sie’s.