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Späte Gerechtigkeit für die Überlebenden der Killing Fields

Rund zwei Millionen Menschen kamen in den 70er Jahren unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer ums Leben: Sie wurden ermordet, zu Tode gefoltert oder verhungerten einfach. Die Verantwortlichen kamen ohne Strafe davon - bisher. Doch das soll sich bald ändern. In der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh bereitet sich ein internationaler Gerichtshof auf das Strafverfahren gegen die noch lebenden Führer der Roten Khmer vor.

Von Ulli Schauen |
    30 Kilometer außerhalb der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh führt ein Touristenführer eine Gruppe von Touristen über ein großes Wiesengrundstück, in dem überall Senken zu sehen sind. Die Killing Fields. Die Felder, auf denen die Roten Khmer vor 30 Jahren Menschen bestialisch ermorden ließen. Die Senken, das sind ausgehobene Massengräber.

    "Hier in Fußfesseln aus Eisen wurden sie zusammengekettet. Jeder in einer engen Klemme."

    Wieder und wieder erzählt Touristenführer Mao Ta die Geschichte. Es ist auch seine Geschichte.

    "Meine Eltern haben sie aus Phnom Penh vertrieben und mit Zwangsarbeit getötet. Mich steckten sie in ein Waisenhaus mitten in den Reisfeldern. Denn für die Roten Khmer gab es nur Bauern, keine Rechtsanwälte, keine Ärzte, keine Mönche. 1980 habe ich dann hier gesehen, wie die Massengräber geöffnet wurden. Es hat so gestunken! Hier lagen 100 Leichen. In einem sechs Meter tiefen Loch."

    Wenn Touristen durch Kambodscha reisen, dann haben sie meist zwei Ziele: die großartige Tempelstadt Angkor Wat und die Killing Fields, die Felder, auf denen getötet wurde.

    "Sie hatten davor zu knien, dann wurden sie geköpft, einer nach dem anderen.
    Hier, das ist ein Beinknochen. Da, die Kleidung eines Kindes, vielleicht zwei Jahre alt. Haben Sie eine Kamera? Machen Sie ein Foto!"

    Vor 29 Jahren machten die Vietnamesen mit ihrem Einmarsch in Kambodscha dem Regime ein Ende. Aber die Verbrechen der Roten Khmer wurden nie gesühnt. Doch nun ist das Verfahren angelaufen. Und viele haben hohe Erwartungen. In einem Workshop des Khmer Instituts für Demokratie in Phom Penh bereiten sich Lehrer darauf vor, in ihrer Provinz Zeugenaussagen zu sammeln. Die werden dann an den internationalen Gerichtshof nach Phnom Penh geschickt werden. Sie üben, wie sie ihren Mitbürgern das Gerichtsverfahren erklären und wie sie ihnen helfen, die Formulare auszufüllen.
    Ujan Thabi ist eine von ihnen.

    "Dieses Verfahren ist sehr wichtig für die Opfer dieser Herrschaft, die drei Jahre, acht Monate und 20 Tage gedauert hat. Wir werden erfahren, wer die wirklichen Verantwortlichen sind."

    Einige der Kursteilnehmer wischen sich Tränen aus dem Gesicht, als Ujan Thabi weiterspricht.

    "Ich habe selbst vier Menschen in meiner Familie verloren, meinen Vater und drei Brüder.
    Wir alle haben große Erwartungen an den Prozess. Wir verfolgen ihn im Radio und Fernsehen, jeder von uns ist gut informiert."

    Was sie im Fernsehen sehen, ist aber noch nicht der eigentliche Prozess. Denn noch steht die Anklage nicht, noch geht es bei den Vernehmungen oft um Vorgeplänkel, zum Beispiel, ob die Beschuldigten zu Recht in Untersuchungshaft sind, ob die alten Leute gesund genug sind für den Prozess.

    Einer der Beschuldigten ist der frühere kambodschanische Staatschef Khieu Samphan, heute 77 Jahre alt. Er fühlt sich in keiner Weise verantwortlich für die Morde und das Foltern, er habe andere Aufgaben gehabt, sagt er, beispielsweise die Preise für Güter festzulegen. Aber die Ermittlungsrichter widersprechen: Seine Verurteilung sei wahrscheinlich, also müsse er auf jeden Fall in Haft bleiben, damit er nicht flieht. Denn wenn er freikäme, so wird befürchtet, könnte er veranlassen, Zeugen einzuschüchtern.

    Das internationale Tribunal ist zusammengesetzt aus Ermittlern und Richtern aus Kambodscha und von den Vereinten Nationen. Sie haben mittlerweile vier alte Männer und eine alte Frau aus ihren Häusern in Phnom Penh und Pailin geholt und verhaftet. Menschen, die vor 30 Jahren an der Spitze des Staates und der Partei standen. Vordenker des Terrors. Man will ihnen die Verantwortung nachweisen für den Mord am eigenen Volk. Und der Prozess soll den Kambodschanern ein Vorbild sein für unabhängige Rechtsprechung, die in dem Land bisher selten ist.

    Der Rechtsanwalt des ehemaligen Staatschefs Khieu Samphan ist Jacques Vergès, sein früherer Studienfreund aus Paris. Er hat nach der Vernehmung seines Mandanten einen Auftritt vor der Presse.

    "Ich habe dem Gericht gesagt, dass die Verteidigung von Herrn Khieu Samphan einfach nicht möglich ist. Und zwar aus einem einfachen Grund: 16.000 Seiten aus der Anklage sind nicht ins Französische übersetzt worden, und Französisch ist eine der drei offiziellen Sprachen des Gerichtshofs."

    Das Tribunal kommt nur langsam voran. Wann der erste Beschuldigte angeklagt wird, darüber gibt es nur ungefähre Ankündigungen. Vielleicht noch in diesem Sommer, vielleicht im Herbst. Ob es noch weitere Verhaftungen geben wird? Man wird sehen.

    Außerdem steht der Gerichtshof in der Kritik. Denn nirgendwo sonst in Kambodscha lässt sich so viel verdienen wie mit einem Job beim internationalen Roten-Khmer-Tribunal. Es soll Vetternwirtschaft und Bestechung von Vorgesetzten gegeben haben, die über Einstellungen zu entscheiden hatten.

    Der Gerichtshof kostet rund fünfmal so viel wie das ganze restliche Justizsystem Kambodschas, haben Kritiker errechnet. Der erste Etat ist verbraucht, 56 Millionen Dollar. Derzeit hält sich das Gericht mit einer Spende der australischen Regierung über Wasser und bittet die internationale Gemeinschaft um ein Budget von weiteren 114 Millionen Dollar, um bis zum Jahr 2011 weiterarbeiten zu können.

    Viele Kambodschaner warten sehnsüchtig auf den Beginn des Prozesses, sagt Dina Nay, die Leiterin des Khmer Instituts für Demokratie.

    "Alle denken an die Vergangenheit, sie weinen, sind krank, traumatisiert, sie leiden. Wir hoffen, dass dieser Prozess heilen hilft. Dann können wir vielleicht mit dem Kapitel der Roten Khmer abschließen."