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Späte Rente, frühe Rache

Zwischen 900.000 und knapp drei Millionen Menschen waren in ganz Frankreich auf den Straßen und haben gegen die Rentenreform demonstriert, welche bald im französischen Senat diskutiert wird. Auch die größte Studierendenvereinigung macht mit.

Von Lisa Louis | 04.10.2010
    Der Versammlungssaal im Norden von Paris ist in dunklem Rot gehalten - passend zu den Bannern, die an der Rednerbühne hängen. Von der Partei der Linken, den jungen Sozialisten oder auch den Initiatoren der Veranstaltung, der größten Studentenorganisation Unef. Die macht nun mobil gegen Frankreichs Rentenreform, mit der unter anderem das Rentenalter von 60 auf 62 Jahre angehoben werden soll. 30.000 Flyer und 50.000 Plakate wollen die Studierenden in den kommenden Wochen im Land verteilen. Jean-Baptiste Prévot, Präsident der UNEF, erklärt den rund 300 Anwesenden, warum die Rentenreform vor allem junge Franzosen betrifft:

    "Die Regierung verlangt von uns, dass wir länger arbeiten. Eine Rentengarantie haben wir dabei jedoch nicht. Und wenn man die Beschäftigten später in den Ruhestand schickt, versperrt man der jungen Generation den Arbeitsmarkt. Und die hat heute sowieso extreme Schwierigkeiten, einen ersten Job zu finden. Mit dieser Reform werden zusätzlich eine Million Arbeitsplätze für uns blockiert."

    Deshalb fordern die Studierenden von der Regierung nicht nur eine Beibehaltung des aktuellen Rentenalters, sondern auch ganz konkrete Maßnahmen für die Jugend.

    "Die besondere Situation unserer Generation sollte bei der Rentenberechnung berücksichtigt werden. Studienzeiten sollten mit einbezogen werden, genauso wie Phasen unbezahlter Arbeitslosigkeit, gering bezahlter Jobs und Praktika. Letztere benachteiligen uns heute ja sogar."

    Realistische Forderungen? Nein, meint jedenfalls der Ökonom Philippe Crevel. Er ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts Cercle des Epargnants.

    "Es würde den Staat sehr viel kosten, Phasen unbezahlter Arbeitslosigkeit oder auch Studienzeiten in der Rentenrechnung zu berücksichtigen. Denn das Studium dauert heutzutage immer länger, teilweise bis zu acht Jahre. Ein ausgeglichener Haushalt würde da in immer weitere Ferne rücken und all die Ausgaben müssten anderweitig finanziert werden."

    Und angesichts knapper Kassen sei diese Rentenreform ja sowieso erst der Anfang, meint der Ökonom.

    "In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich das Berufsleben um acht Jahre verkürzt. Gleichzeitig hat sich die Rentenzeit verdoppelt. Langfristig muss Frankreich sein Rentenalter daher stark anheben. Die aktuelle Reform ist da nur ein erster Schritt."

    Doch Sylvie Durand von der Gewerkschaft CGT glaubt nicht daran, dass in Sachen Rentenreform schon das letzte Wort gesprochen ist. Sie verweist dabei auf die besondere Macht der Studierenden – und derer sei sich auch die Regierung bewusst.

    "Schließlich hat die Regierung schlechte Erfahrungen gemacht: 2005 wollte sie ein Gesetz durchbringen, dass sich Contrat Première Embauche nannte. Doch als die Studenten sich massiv den Gewerkschaftlern anschlossen, ist die Regierung eingeknickt und hat die Reform zurückgezogen."

    Bei der Demonstration am vergangenen Samstag waren dann auch zahlreiche Studierende unter den Demonstranten. Und sie sind entschlossen, diese Kraftprobe zu gewinnen.

    "Es ist unerträglich, was im Moment in Frankreich passiert. Die Politiker geben vor, dass diese Reform vor allem der Jugend zugute kommt. Dabei sind wir die ersten Leidtragenden."

    "Der Präsident hat in den vergangenen Wochen rapide an Zustimmung in der Bevölkerung verloren. Das liegt meiner Meinung nach vor allem an der Rentenreform. Wir sind Millionen hier auf der Straße – er sollte auf uns hören."

    "Das neue Unijahr hat noch nicht einmal überall begonnen, also konnten wir auch noch nicht alle Studenten mobilisieren. Aber man merkt, es ist eine Protestbewegung, die immer stärker wird und das Potenzial hat, das Gesetz zu kippen. Einfach wird das nicht, denn die Reform ist sehr wichtig für Präsident Sarkozy. Aber es ist möglich."

    Die nächste Demonstration ist schon angekündigt - für kommende Woche Dienstag. Bis dahin wollen die Studierenden ihre Informationskampagne noch verstärken.