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Später Eroberer
Knoblauchsrauke überschwemmt Wälder in Nordamerika

Eingeschleppte Pflanzen wie der Japanische Knöterich breiten sich in Europa aus, doch die botanische Migration funktioniert auch andersherum. Beispiel Knoblauchsrauke: Hierzulande ein Allerweltskraut, ist der Auswanderer in Nordamerikas Wäldern ein Riesenproblem - und für die Invasionsbiologie ein Weltstar.

Von Volker Mrasek | 14.09.2015
    Knoblauchrauke
    Knoblauchrauke (imago / blickwinkel)
    Sie wird hüfthoch, blüht weiß und wächst gerne an Weg- und Waldrändern
    "Ist eine 0815-Pflanze bei uns. Nichts Besonderes. Absolut allerwelt."
    Doch sie hat ein Geheimnis!
    "Kann man prima Pesto draus machen. Oder in die Kartoffelsuppe rein so wie Bärlauch."
    Kulinarische Qualitäten, die aber kaum noch jemand kennt.
    "Sie ist ein altes Küchenkraut. Irgendwann wurde dann scheinbar der Kräutergarten gleichgeschaltet, und es gab nur noch Schnittlauch und Petersilie. Aber früher haben das wohl viele Leute gegessen."
    Oliver Boßdorf ist weder Koch noch Kulturhistoriker, sondern Professor für Pflanzenökologie an der Universität Tübingen. Das würzige Kraut, das er beschreibt, ist die Knoblauchsrauke. Zerreibt man ihre gezackten, auffällig gefurchten Blätter, riechen sie nach Knoblauch. Und sie schmecken auch ähnlich. Daher der Name.
    Globale Feldstudie untersucht Ausbreitung der Knoblauchsrauke
    Doch das ist nicht der Grund, warum sich der Botaniker mit dem Kreuzblütler beschäftigt. Bossdorf ist Leiter eines Projektes, an dem sich fast 180 Forscher aus 16 Ländern beteiligen: die "Globale Knoblauchsrauken-Feldstudie". Oliver Boßdorf:
    "Die ist ein bisschen ein Star in der Invasionsbiologie. Das ist eine Art, die sich sehr stark ausbreitet in Nordamerika. Der Nordosten: New York, Pennsylvania, Connecticut - Bundesstaaten, wo es viel Laubwald gibt, da gibt's wirklich unheimlich viel Knoblauchsrauke."
    Noch nie ist der Vormarsch einer invasiven Pflanze so flächendeckend untersucht worden wie jetzt im Fall der Knoblauchsrauke in Nordamerika. Daten über alle irgendwie bekannten Bestände flossen in das Projekt ein. Dadurch erkannten die Forscher, dass es 14 riesige Ansammlungen der Rauke im Nordosten der USA gibt - jede mit einer Million Pflanzen oder mehr.
    "Wir haben das einfach Megapopulationen genannt. Eine Million Individuen ist wirklich sehr viel! Die Knoblauchsrauke kommt dort drüben tatsächlich viel massiver vor. Also, die bildet deutlich größere Populationen, deutlich dichtere Populationen. Und wir haben eben herausgefunden, dass im Mittel in nordamerikanischen Populationen zehnmal so viele Pflanzenindividuen stehen wie in einer europäischen Population."
    Einwanderer verdängt ortstypische Pflanzen in den USA
    Bei uns wächst die zweijährige Pflanze eher am Rand von Wäldern als mittendrin. In den USA strebt sie massiv hinein und verdrängt ortstypische Bodendecker wie Herzblumen, Schaumkräuter und Waldlilien. In der neuen Heimat kommt die Knoblauchsrauke dabei bestens mit äußerst heftigen Wetterschwankungen zurecht. Boßdorf:
    "Der Osten der USA hat tatsächlich ein anderes Klima als praktisch jeder Ort in Mittel- und Westeuropa. Dort wird es bullenheiß im Sommer und wahnsinnig kalt mit Blizzard im Winter. Und das ist der Ort, wo so viele Knoblauchsrauken vorkommen. Das haben wir ehrlich gesagt noch nicht ganz verstanden. Aus irgendeinem Grund scheint tatsächlich dieses Klima im Nordosten der USA der Pflanze besonders gut zu gefallen."
    Leichter nachzuvollziehen ist da schon eine andere Sache:
    "Die Art hat dort tatsächlich auch weniger Fraßfeinde. Das wissen wir. Es gibt zum Beispiel solche Rüsselkäfer. Das sind so kleine schwarze Dinger. Die sind hier sehr häufig. Die sind hoch spezialisiert, nur auf der Knoblauchsrauke. Und die gibt's in Nordamerika nicht."
    Ein dritter Punkt, den Oliver Boßdorf aufzählt: Die Rauke gibt ihre würzigen Inhaltsstoffe auch in den Boden ab. Unter anderem scharfe Senföl-Glykoside. Das macht sie, um Konkurrenten zu verdrängen.
    "Die ist insgesamt eigentlich eine sehr konkurrenzstarke Art. Und dann kommt vielleicht noch diese unterirdische Kriegsführung dazu. Und da macht sie's eben den nordamerikanischen Pflanzen ziemlich schwer."
    Küchenkraut auf Wanderschaft
    In ihrem transatlantischen Projekt wollen die Forscher als Nächstes das Erbgut der Knoblauchsrauken untersuchen. Und prüfen, ob sich die nordamerikanischen Pflanzen vielleicht auch schon genetisch von ihren Ursprungspopulationen in Europa entfernt haben.
    Ausgeschlossen ist das nicht. Denn den Sprung über den Großen Teich, den schaffte die Knoblauchsrauke schon vor mindestens 150 Jahren. Da wurde erstmals ein ausgewildertes Exemplar entdeckt. Vermutlich ist die Pflanze aber noch länger da. Europäische Einwanderer brachten sie mit. Und das ganz bewusst! Wie war das noch mit dem Küchenkraut?
    "Früher haben das wohl viele Leute gegessen."
    Und heute haben wir den Salat, könnte man fast sagen. Der Küchenflüchtling verfälscht die Flora Nordamerikas, und die Ökologen gehen davon aus, dass er sich weiter ausbreiten wird. Inzwischen hat er auch schon die US-Westküste erreicht.