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Spätrömische Intrigen im Barockgewand

Das war eine Premiere unter erschwerten Bedingungen. Schon während der in Zürich ohnehin immer sehr kurzen Probenzeit waren oft mehrere Protagonisten gleichzeitig grippekrank. Und dann der Horror aller Theatermacher: nach der Generalprobe, 2 Tage vor der Premiere, fiel auch noch die Sängerin der Titelpatrtie, Vesselina Kasarova, aus. Zwar konnte Juanita Lascarro, schon die Frankfurter Poppea, kurzfristig einspringen. Aber es lag natürlich so etwas wie Meltau über der Aufführung. Es klappe alles - aber es lebte nichts. Affekte wie mit angehaltenem Atem. So richtig über die Rampe kamen sie selten. Dabei ging es dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt und Regisseur Jürgen Flimm bei ihrer Monteverdi-Interpretation gerade darum, die Zuhörer heute, uns, emotional zu erreichen. Wie Risse in einem Spiegel wirken die kleinen Reibungen, die winselnden, jaulenden Misstöne , mit denen Harnoncourt die Oberflächenreize, den angenehmen Wohlklang der Partitur zerspellt - bis an die Grenze des Disharmonischen, wenn er den Sprachcharakter von Monteverdis Musik akribisch entfaltet, seine einzigartig ausdifferenzierte Textbehandlung zwischen dem Sprechen auf Tönen, dem sprechenden Singen und dem eigentlichen Gesang. Mit deren virtuos wechselndem Einsatz werden alle Figuren dieses Reigens gefährlicher Liebschaften kenntlich und, auch musikalisch: demontiert. So feiert Nero mit einem Freund Senecas Tod :

Von Cornelie Ueding |
    Flimm wollte die Modernität des Werkes sinnen-fällig machen. Und so hat er das Konfliktpotenzial aus bekannten psychologischen Konstellationen entwickelt. Bühnenbildnerin Annette Murschetz hat dazu eine moderne, zweigeschossige Villa mit Innenhof auf die Drehbühe gestellt, in der nun alle Protagonisten sozusagen Zimmer an
    Zimmer leben. Der Philosoph Seneca zwischen Bücherstapeln, Pflanztrögen und Adepten, Poppea und Nero auf dem zerwühlten Lotterbett, Neros betrogene Gattin Ottavia im Negligé mit Strapsen im einsamen Bett. Überall Diensttuende. Im Parterre dösen Wächter, Besucher und, wer weiß, Touristen? Dieser Wohnkreisel ist eindrucksvoll bühnentauglich, gestattet Ein- und Durchblicke, bleibt aber allzu beliebig, ist weder Vergnügungsressort der Fun-Gesellschaft noch Machtzentrale. Kein Ort. Nirgends. Austauschbar. Banal, ohne Bösartigkeit - so erschienen am Premierenabend auch die meisten Figuren, die alle nur perpetuum-mobile-artig ihre Interessen verfolgen. Dabei gehen sie selbstverständlich und gedankenlos über Leichen oder tändeln wie ein jung verliebtes Paar neben dem toten Seneca. Andere sind entweder Ziel der Begierde oder Mittel zum Zweck. Dass allerdings der Weg zur Ehe mit Nero für Poppea erst frei ist, wenn der unbequem sentenziös moralisierende Philosoph den kaiserlichen Befehl zum Selbstmord ausgeführt hat und die Gattenmord-lüsterne Kaiserin ebenso verbannt ist wie die von ihr zum Komplott benutzen Figuren, erscheint unter diesen Umständen als bloße Laune des Librettisten. Leider nämlich hat die Regie beim nüchternen Blick auf die Modernität ambivalenter Gefühle den Aspekt der Macht fast ganz aus dem Auge verloren. Weder die Fallhöhe der Kaiserin noch der Aufstieg Poppeas überzeugen in dieser Allerwelts-Dreiecks- und Bäumchen-wechsle-dich-Geschichte. Diese Nivellierung ist nicht passiert und auch nicht Folge der kurzfristigen Umbesetzung, sondern der Preis für die allzu vordergründige Aktualisierung.

    Am sichtbarsten ist dieses verflachende Verfahren beim Umgang mit den Allegorien. Tugend und Fortüne sind samt dem süßen Sängerknaben Amor von einer Service-Agentur vermittelt und, je nachdem, als Putzfrauen mit Eimer und Gummihandschuhen, als Hostessen, Pizzalieferanten oder: wie Amor für Poppea als, wörtlich zu nehmen, nicht antwortender Ansprech-Partner allgegenwärtig. Ob sie nun Wetten abschließen oder nicht - wen juckt's. Als alle anderen tot oder verbannt sind verschwinden auch sie. Poppea und Nero haben jetzt sich und die Welt für sich allein und fahren ungehindert (und, steht zu vermuten, bald gelangweilt) fort in ihren ebenfalls perpetuum-mobile-artigen Liebesschwüren. Es ist nur zu hoffen, dass der Premierenbeifall alle Beklemmungen gelöst hat und in den Folgevorstellungen auch die Banalität des Bösen zum Ausdruck kommen kann.