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Spätromantische Orchesterlieder
Strahlkraft und Leidenschaft

Als Einspringerin macht die Sopranistin Malin Byström 2018 bei den Salzburger Festspielen als "Salome" auf sich aufmerksam. Das dramatische Fach scheint ihrer Stimme gut zu liegen, das zeigt auch ihr erstes Solo-Album mit Orchesterliedern von Berg, Duparc und Rangström.

Am Mikrofon: Klaus Oehl |
    Eine Frau trägt ihr langen blonden Haare offen. Sie sitzt in einem weißen Kleid vor einer Steinwand.
    Die Sopranistin Malin Byström (Peter Knutson)
    Es ist doch erstaunlich, wie viele große Sopranstimmen aus Schweden kommen! Seit den 1950er Jahren war Birgit Nilsson für lange Zeit die unangefochtene Königin im Fach des hochdramatischen Soprans. Auf den internationalen Opernbühnen sangen aber auch in jüngerer Zeit immer wieder herausragende schwedische Sopranistinnen. Etwa Malin Hartelius im lyrischen und Nina Stemme im dramatischen Fach. Oder denken wir an die Mezzosoprane Anne Sofie von Otter – und auch Greta Thunbergs nicht weniger berühmte Mutter, die Opernsängerin Malena Ernman.
    Gewissermaßen über Nacht machte 2018 eine Einspringerin bei den Salzburger Festspielen in der Rolle der "Salome" von sich reden mit Namen Malin Byström. Im gleichen Jahr gewann sie den renommierten Preis der Zeitschrift Opera als beste Sängerin. Jetzt ist das erste Solo-Album von Byström erschienen. Hierauf lotet sie die ganze Bandbreite von spätromantischen Orchesterliedern aus. Und diese CD des Labels Swedish Society möchten wir Ihnen heute gerne vorstellen. Den Anfang macht die "Nachtigall" aus Alban Bergs 7 frühen Liedern:
    Musik: Alban Berg, "Die Nachtigall"
    Malin Byström mit der "Nachtigall" von Alban Berg, begleitet vom Symphonieorchester ihrer Heimatstadt Helsingborg unter der Leitung von Stefan Soljom. Alleine wegen der großen Orchesterbesetzung in Bergs Liederzyklus braucht es eine solch tragende große Stimme, wie Byström sie mitbringt. Leidenschaftlich und mit Verve gestaltet sie die ausladenden Melodiebögen. Und akzentuiert dadurch die erotischen Inhalte des Theodor-Storm-Gedichts, nämlich einer langen Nacht, in der nicht nur die Nachtigall gesungen hat, sondern auch "in Hall und Widerhall / die Rosen aufgesprungen" sind.
    Erotischer Inhalt kommt zur Geltung
    Den gleichen hochromantischen Topos einer Liebesnacht findet Berg in Rainer Maria Rilkes "Traumgekrönt". Überaus kunstvoll vertont der damals 22-jährige das Gedicht deutlich nach dem Vorbild seines Lehrers Arnold Schönberg. Zwei kleine Motive sind hier miteinander verschlungen, ganz wie die Liebenden im Gedicht.
    Musik: Alban Berg, "Traumgekrönt"
    "Traumgekrönt", laut Alban Berg "das zweifellos beste" seiner Lieder, das im Jahr 1907 uraufgeführt wurde. Da war er schon Hals über Kopf in Helene Nahowski verliebt. Daher mag die aus diesen Liedern sprechende Emphase eine unverhohlene musikalische Liebeserklärung an seine spätere Frau sein. Und im übersteigerten emotionalen Ausdruck zugleich so typisch für den Wiener Jugendstil. Als Hörer kann man sich dem nicht entziehen gerade zu Beginn, wenn sich Byströms Sopran in seiner tiefen Lage mit wunderbar dunkler Stimmfarbe emporschwingt bei den Worten "dann kamst du mir die Seele nehmen". Mit jeder Faser scheint die Sängerin involviert. Ob manchem das zu überschwänglich sein mag? Für das in der Tradition von Wagners Wesendonck-Liedern stehende Repertoire erscheint ein solches Vibrato schon passend.
    Musik: Alban Berg, "Traumgekrönt"
    Nach ihrer Ausbildung in Stockholm begann Malin Byström vor 20 Jahren als festes Ensemblemitglied der Nürnberger Oper und wurde vor allem als lyrischer Sopran besetzt. Sie sang die Pamina in der Zauberflöte oder die Gilda in Rigoletto. Seit 2002 arbeitet sie freischaffend und wird mehr und mehr auch für die dramatischen Partien gebucht – sowohl im Musiktheater als auch für das spätromantische Liedrepertoire. Auf ihrem Solo-Debütalbum findet sich eine feine Auswahl daraus, die man selten zu hören bekommt.
    Skandinavische Klangsprache von Ture Rangström
    Weit weniger bekannt als der Zyklus von Alban Berg sind die hier interpretierten Lieder aus Schweden und auch Frankreich. Der Komponist Ture Rangström hat die weite nordische Naturlandschaft in Musik gebannt. Mit ihrer bittersüßen Melancholie klingt sie so typisch skandinavisch, zum Beispiel in "Der Wind und der Baum", wobei Byström natürlich in ihrer Muttersprache singt. Das schlichte Strophenlied von Rangström wird in der Deutung der Sopranistin zu einem Edelstein, der in verschiedenen Farben schimmert. Die besungene Landschaft sowohl im Abendrot wie im ersten Morgenlicht lässt sie auch klanglich leuchten. Mit viel Schmelz und Geschmeidigkeit führt die Schwedin ihre Stimme.
    Musik: Ture Rangström, "Vinden och trädet"
    Von den über 300 Liedern Rangströms sind nur wenige außerhalb von Schweden bekannt geworden. Immerhin sechs hat Byström für ihr Album ausgewählt. Wer einige davon nicht schon – etwa durch Birgit Nilsson – kennengelernt hat, kann sich über den Zuwachs an wirklich schönem Repertoire von Orchesterliedern freuen. Bei dem eben gehörten Strophenlied bleiben die Instrumente leider sehr im Hintergrund. Der versierte Chefdirigent Stefan Soljom ist hierfür nicht verantwortlich zu machen, eher die Tonabnahme oder die Akustik des Konzerthauses Helsingborg. Die Klangbalance von Solistin und Orchester wünscht man sich ausgewogener; erst recht bei den hochdramatischen Liedern, die Rangström auch komponiert hat. Ein schwarzer Vogel erhebt seine großen Schwingen in den "Flügeln der Nacht":
    Musik: Ture Rangström, "Vingar i natten"
    Einmal mehr zeigt die stimmgewaltige Sopranistin hier ihre Strahlkraft und sichere Intonation. Ein weiteres Plus ist ihre deutliche Artikulation, die bei dramatischen Sopranpartien sonst zugunsten der Vokalfarben so häufig verwischt.
    Verführerischer, silbriger Sopran
    Henri Duparc ist der dritte auf dem Album vertretene Liederkomponist. Als Vertreter einer eigenen französischen Ästhetik geht er auf Distanz zur deutsch-österreichischen Tradition. Von Charles Baudelaire hat er eines der bekanntesten Gedichte vertont. "L'invitation au voyage" versteht Duparc als Einladung zu einer Reise in ein verlockendes Land, in dem es von Harfen- und Glockenklängen nur so funkelt und glitzert. Die eigentliche Verführerin in dieser so typisch französischen "Mélodie" ist Byström mit ihrem silbrigen Sopran.
    Musik: Henri Duparc, "L'Invitation au voyage"
    Nicht wenige der Orchesterlieder von Duparc haben diesen flimmernden Klang, in dem die Celesta fast nie fehlen darf. Das kleine Klavier mit den Metallplatten sorgt mit durchdringenden Glockentönen für die zauberische Atmosphäre und Byströms sinnliche Stimme für Gänsehaut.
    Wie zupackend und spannend sie Duparcs dramatische Ballade "Rosamundes Schloss" mit einem verwundeten Reiter gestalten kann, verrät wiederum die erfahrene Opernsängerin.
    Musik: Henri Duparc, "Manoir de Rosamunde"
    Fast zeitgleich mit ihrem Solodebüt ist auch der Live-Mitschnitt ihrer hervorragenden Salome mit dem Concertgebouw Orkester Amsterdam und Daniele Gatti erschienen. Von jener expressionistischen Klangwelt gar nicht weit weg ist auch auf dieser Aufnahme ein Beispiel noch einmal von Alban Berg. Die "Nacht", das erste der 7 frühen Lieder hat nicht nur ähnlich kühne Harmonien, sondern klingt ebenso geheimnisvoll und bedrohlich: ein aufs Äußerste gespanntes Mikrodrama, in dem Byström ihre dramatische Präsenz ein weiteres Mal eindrucksvoll unter Beweis stellt.
    Musik: Alban Berg, "Nacht"
    Orchesterlieder von Berg, Duparc und Rangström
    Malin Byström, Sopran
    Helsingborg Symphonieorchester
    Ltg.: Stefan Solyom
    Label: Swedish Society Discofil SCD1168