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"Spam - Fünfzig Tage"
Die Smartphone-bedingte Ausbeutung der Armen

Der deutsche Dramatiker Roland Schimmelpfennig ist ein fleißiger Autor. Am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg wurde sein neuestes Stück aufgeführt. Es heißt kurz "Spam - Fünzig Tage" und zeigt, weshalb Smartphones ein Werkzeug der Abhängigkeit der Reichen von den Armen, wie der Ausbeutung der Armen durch die Reichen.

Von Michael Laages | 24.05.2014
    Die Schauspieler Katja Danowski (l-r) als "Der Kapitän", Aljoscha Stadelmann als "Der Riese" und Jan Peter Kampwirth als "Der schöne Johnny" stehen bei einer Fotoprobe des Theaterstücks "SPAM - Fünfzig Tage" im Schauspielhaus in Hamburg auf der Bühne.
    Die Operation am offenen Herzen wird auf einem Tisch durchgeführt. (dpa / Malte Christians)
    Wir tragen das Drama am Ohr. Denn weil im Handy nichts geht ohne den Rohstoff Coltan und ohne das Tantal-Erz, beides wird unter gefährlichen bis menschenunwürdigen Bedingungen in zentralafrikanischen Minen abgebaut. Deshalb ist das kleine Gerät ein Werkzeug der Abhängigkeit der Reichen von den Armen, wie der Ausbeutung der Armen durch die Reichen. Mit Handy, Smart- oder iPhone telefonieren und mischen wir mit im globalen Wirtschaftsprozess, ob wir wollen oder nicht.
    Kein Theater-Text von Schimmelpfennig folgt vordergründig dokumentarischer Logik - der neue, uraufgeführt vom Autor selber am Hamburger Schauspielhaus im Bühnenraum von Wilfried Minks, erzählt in (mindestens) drei Handlungssträngen um den Kern des Themas herum. Zum einen folgen wir den letzten 50 Tagen im Leben eines weißen Grubendirektors. Sie beginnen damit, dass einer der schwarzen Arbeiter unauffindbar verschüttet wird beim Erz- und Gold-Abbau.
    "Die Erde brach ein, und ich verlor meinen Mann - ich nannte ihn das Licht meiner Augen, und an dem Tag, an dem er in der Grube, in der Erde sein Leben verlor, wurde ich blind."
    Die Frau des Toten weint am Schacht, ununterbrochen und der Chef wird magisch-tödlich angezogen von der jammernden Stimme. Er "verliebt sich" und will darum den Toten für sie ausgraben. Während er das aber versucht, stößt er nicht auf die erhoffte Leiche, dafür aber auf 400 andere - und wie viel Magie in dieser Sisyphusarbeit steckt, wird immer wieder in den Wortmeldungen der Köchin kenntlich, die quasi die letzten Tage herunter rechnet. Jeder Tag hat besondere Bedeutung: ein Passionsspiel.
    "Das war am zweiten Tag. Die Zwei ist die Zahl des Schmetterlings und der Schnecke, des leeren Glases und des Verbrennens."
    - "Sie sagte in dem Traum: Du wirst verbrennen, mein Riese. Dein Herz wird verbrennen."
    Traum und Alptraum einer Fahrt in der U-Bahn
    Der Grubenchef, ein "Riese", eigentlich verbandelt mit der Kapitänin des Transporters, der allmonatlich Müll nach Afrika bringt und die Schätze aus der Grube mit zurücknimmt, vielleicht nach Hamburg, ist der Weinenden also fundamental verfallen. Er verliert im Wortsinn das Herz. Ein Neues wird ihm eingepflanzt, in blutigem Grand-Guignol-Spektakel - und wie in Heiner Müllers berühmtem "Herzstück" ist es ein Ziegelstein. Aber die Zeit schwindet. Fürs Sterben beschwört die magische Köchin als Traum und Alptraum eine Fahrt in der U-Bahn: Der Chef und die vor lauter weinen Blinde berühren einander und der Zug explodiert. Das Gespenst des toten Arbeiters hat, unentwegt ins Handy quatschend, eine Splitterbombe gebaut.
    "Dies ist die Geschichte eines Mannes, eines riesigen Mannes, durch dessen Herz ein Zug fährt."
    Der Traum von der Zugfahrt, die realen 50 Tage und unbändiges Handy-Gezwitscher (unter anderem wie zwischen Autor und Lektor über den "tollen Titel" des Stückes) sind eng verwoben und schwer unterscheidbar, zumal reale Räume nur in Fragmenten beschworen werden. Die Zug-Szenerie findet an der Rampe statt, die Grube gibt es als Loch etwa dort, wo früher die Souffleusen saßen, für die Operation am offenen Herzen gibt's einen Tisch. Am Schönsten aber sind im wirklich grandiosen Raum von Wilfried Minks die rechtwinklig gestellten Glasflächen, auf denen - wenn die Drehbühne sie kreisen lässt - digitale Welten flimmern im Null-Eins-Modus. Dahinter hat Minks das berühmte Bild vom Turm zu Babel gehängt, aber wie bei Georg Baselitz verkehrt herum: als virtuelle Grube, als Erdkilometer aus Kunst und Fantasie. Toll.
    Und gelegentlich kommt Sehnsucht auf nach noch dichterer Verzahnung von Bild und Text. Anders gesagt: nach Minks als Regisseur. Denn im Kontrast zu dessen Bilder-Kraft wirkt das Neben-, Mit- und Durcheinander der unterschiedlichen Sprech-Ebenen absichtsvoll unübersichtlich, wie ausgeklügelt und kunstvoll auch immer es gestrickt sein mag. Und da eigentlich kaum je jemand mit jemandem richtig spielt im ewigen Fluss wechselnder Stimmen und nur zuweilen, aber auch keiner irgendwie zwingenden Logik und Strategie folgend, Schlagzeug-Attacken, singende Säge und Radio-Sounds die Übergänge zwischen den Welten markieren, ist es für niemanden im Ensemble-Sextett leicht, Profil zu gewinnen in diesem Nicht-Spiel.
    Ja, Roland Schimmelpfennig gräbt mit auf dem Kriegsschauplatz des kolonial-ausbeuterischen Kapitalismus, aber viel davon zeigen will er eigentlich nicht.