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Spanien
Der Grieche in Toledo

Toledo ist nicht nur eine alte Festungsstadt mit reicher Geschichte, sondern auch mit dem Namen eines großen Malers verbunden: El Greco. Am 7. April 1614 starb er dort - und rund um den 400. Todestag wird sein wirken an vielen Orten dort präsentiert.

Von Dorothea Breit | 06.04.2014
    Blick in das El Greco Museum in Toledo
    Das El Greco Museum in Toledo (picture alliance / dpa)
    40 Kilometer südlich von Madrid endet der Schnellzug in einem Sackbahnhof, inmitten der ockerfarbenen Wiesen von Kastilien-La Mancha. Im Horizont reitet Don Quijote vorüber. Windmühlen sind keine zu sehen, aber linkerhand, auf einer grünen Anhöhe, die Festungsstadt Toledo. Unangreifbar, von Mauern umgürtet.
    Ich gehe die Hauptstraße entlang, sie führt über die grünen Auen und Fluten des Tejo, die den Hügel träge umfließen. Hier also wirkte El Greco, der Grieche. In einem seiner Gemälde von Toledo flackert ein düsterer, von Blitzen durchzuckter Gewitterhimmel über der Festung. Jetzt lugt die Sonne hinter weißen Frühlingswolken hervor.
    Durch mächtige, steinerne Rundbögen mit Wehrtürmen, altes und neues Tor und das Sonnentor, betrete ich Toledo - Nadelöhre, durch die sich auch der Stadtverkehr quetscht und dann in Serpentinen hinauf ins Zentrum.
    Schulklassen, Touristen, Einheimische und Studenten drängeln auf dem Gehsteig vorbei an Geschäften, Cafés, Restaurants. Ich flüchte in eine Seitengasse, steige Treppenstufen die Anhöhe hinauf zwischen schmalen Wohnhäusern mit romantischen, puppenstubenartigen Holzbalkonen und lichtdurchfluteten Innenhöfen. Ab und zu öffnet sich ein kleiner Platz vor einer Kirche, einem Kloster. Dann stehe ich vor den Portalen der Kirche Santo Tomé aus dem 14. Jahrhundert, mit einem Turm im Mudejar-Stil der maurischen Zeit.
    Japanische Touristen bestaunen das Gemälde "Das Begräbnis des Grafen von Orgaz" von El Greco in der Kapelle von Santo Tomé. Die Farben des Bilds leuchten, als wäre es heute gemalt. Ist das eine Kopie, frage ich den Aufseher, der empört verneint.
    "Das Gemälde ist über 400 Jahre alt und wurde niemals restauriert. Es ist mit Öl auf Leinwand gemalt. Weil die Temperatur hier drinnen immer konstant ist und die Luft trocken, blieb es so gut erhalten. Das Bild erzählt die Legende vom Tod des frommen Herr Orgaz. Der Heilige Augustin und der Heilige Stephanus stiegen vom Himmel herab und legten den edlen Ritter mit eigenen Händen ins Grab. Das war im Jahr 1323. 260 Jahre später erhielt El Greco den Auftrag, das Ereignis zu malen. Es hatte damals Streit gegeben in der Pfarrgemeinde um das Vermächtnis des Grafen. Der Pfarrer wollte dann dem Grafen Ehre erweisen mit dem Gemälde."
    El Greco vereint in diesem Meisterwerk irdische Vergänglichkeit und himmlisches Leben.
    "Die Zeugen des Begräbnisses tragen schwarze Kleider mit weißen Halskrausen, das sind hohe Herren aus Toledo zur Zeit El Grecos. Links sind die Franziskanermönche Augustinus und Stephanus zu sehen, rechts der Priester, er liest die Totenmesse. Der Knabe im Vordergrund, der auf den Toten zeigt, ist El Grecos Sohn Manuel. Im oberen Bildteil führt ein Engel die Seele des Grafen zum göttlichen Gericht. Und die Jungfrau Maria und Johannes der Täufer beten dafür, dass der Graf zu den Heiligen kommt. Links ist noch der Heilige Petrus mit dem Schlüssel zu sehen."
    Ich stelle mir El Greco vor, wie er mit großen Schritten durch die Gassen nach Hause eilt. Eine hagere Gestalt im schwarzen Gewand der vornehmen Herren mit weißer Halskrause. Er lebte im Jüdischen Viertel der Stadt. Hier befindet sich auch das Museum Casa El Greco.
    "El Greco hat nicht genau in diesem Haus gelebt, das wissen wir, sondern am anderen Ende der Straße."
    Juan Antonio Garcia Castro, der Direktor des Museums Casa El Greco.
    "Dieser jüdische Palast gehörte einst Samuel Levi, der eine bedeutende Persönlichkeit im 14. Jahrhundert war. Das Haus wurde bis auf die Untergeschosse zerstört. Aber die Ruinen wurden in die komplexe Architektur des heutigen Gebäudeensembles integriert, das im historistischen Stil des 19. Jahrhunderts gebaut ist. Auch originale Fragmente und Dekore anderer Ruinen der Stadt aus dem 15. und 16. Jahrhundert wurden hier integriert, um die Geschichte architektonisch nachzuempfinden und uns einen Eindruck zu verschaffen, in welcher Umgebung El Greco mit seiner Familie gelebt hat."
    Ein bürgerlich-jüdischer Wohnpalast mit Patio und Balkongalerie, umgeben von einem hübschen Garten. El Greco lebte luxuriös. Oft wurde geschrieben, dass er Musiker bestellte, die zu den Mahlzeiten für ihn spielten. Viele Mythen ranken um den griechischen Ikonenmaler, der in Toledo berühmt wurde. Doch obwohl heute neben tausenden Dokumenten, die ihn erwähnen, auch Handschriften von ihm selbst vorliegen, bleibt vieles, vor allem sein Privatleben, im Dunkeln, sagt Juan Antonio Garcia Castro.
    "Es ist nicht bekannt, ob El Greco verheiratet war. In Toledo hat er nie geheiratet, ob in Kreta, wissen wir nicht. Von der Mutter seines Sohns Heronima de la Cuevas wissen wir so gut wie gar nichts. Sie wird nur einmal in El Grecos Testament erwähnt als Mutter seines Sohns Juan Manuel; unerwähnt bleibt, ob er mit ihr verheiratet war. Wir wissen auch nicht, wann und wo sie gestorben ist."
    In den Wohnräumen mit kleinen Fenstern und hölzernen Kassettendecken sind Werke El Grecos zu sehen, darunter die dritte Serie seiner Apostel-Bildnisse. Sie blieb unvollendet, aber gerade deshalb erlaubt sie Einblicke in El Grecos viel bewunderte Maltechnik. Die Hand etwa, mit der der Apostel Matthäus ein Buch hält, ist weiß und völlig verwischt, so als bewegte er sie gerade. Ob fertig oder unfertig – bis heute fasziniert die Brillanz der Farben in seinen Gemälden.
    "Er hatte eine sehr ausgefeilte Technik durch seine Ausbildung als Maler byzantinischer Ikonen. Danach lernte er in Italien die venezianische und die florentinische Malschule kennen. Doch malte er in den zehn Jahren, die er in Italien verbrachte, nur kleine religiöse Motive auf Holz. Eines der Rätsel bleibt bis heute, wie er dann in Spanien gleich große Leinwände bemalen konnte. Wir wissen nicht, wie er es geschafft hat, die kleinen Motive so perfekt auf große Formate zu übertragen, ohne kompositorische Fehler zu machen. Es gibt keinerlei Vorzeichnung bei ihm. Er arbeitete ganz aus der Farbe heraus. Von daher ist er auch ein großer Erfinder."
    Dabei erlebte der gebürtige Kreter Maler Domínikos Theotokópoulos erst mal eine herbe Enttäuschung, als um 1575 als 34-Jähriger nach Spanien kam.
    "Er kam ursprünglich, um am Escorial, dem großen Bauwerk von König Felipe II., in Madrid zu arbeiten. Dort wurden viele Künstler gebraucht, die meisten waren Italiener. So kam auch er von Rom nach Spanien. Aber die beiden Gemälde, die er für den Escorial schuf, gefielen dem König nicht. Über spanische Freunde, die er in Rom hatte, kam er dann nach Toledo, um hier sein Glück zu versuchen. Er hatte einen Sohn, er brauchte Aufträge. Und die bekam er hier."
    "Die zwei wichtigsten Kulturmäzene der Epoche, der König und der Kardinal öffneten ihm die Türen in Toledo. Die "Entkleidung Christi" auf dem Kalvarienberg ist eines der größten Werke, das El Greco für die Kathedrale schuf. Es gab einen juristischen Streit darüber wegen des Preises, aber trotzdem. Seine Idee war dann, eine Künstlerwerkstatt nach italienischem Vorbild aufzubauen, eine Werkstatt wie Tizian und Tintoretto sie hatten, um nicht nur einzelne Gemälde, sondern die gesamte Architektur für Kirchenaltäre zu schaffen."
    Er beschäftigte einen ganzen Stab von Spezialisten in seiner Werkstatt. Auch sein Sohn Manuel arbeitete später als Maler für ihn, erzählt der Restaurator Rafael Alonso. Wir gehen eine Einkaufsstraße hinunter, vorbei an Modeboutiquen und zahlreichen Waffengeschäften, die edle Schwerter und Messer anbieten, auf dem Weg zur Kathedrale. Ein überwältigendes Bauwerk mit fünf Schiffen, das eine Festung für sich bildet inmitten der Stadt. Ein architektonischer Mix aus Frühgotik, Mudejar-Stil und Renaissance. Das Innere quillt über vor Gold und Silber und biblischen Motiven in Holz- und Stuck-Dekoren.
    "Das Gemälde die "Entkleidung Christi" malte El Greco 1577 für den Altar der Kathedrale von Toledo. Wir haben jetzt den Firnis gesäubert, ansonsten ist das Bild in perfektem Zustand. El Greco verwendete die besten Materialien. Er ließ kostbare Leinwand und Farben aus Venedig kommen."
    Der Restaurator ist hingerissen. Rubinrot funkelt das Gewand Christi. In der Sakristei sind weitere Gemälde von El Greco zu sehen neben Werken anderer berühmter Maler.
    Zum 400. Todestag am 7. April widmet das Museum Santa Cruz dem Griechen eine große Ausstellung. Ich erreiche es über die zentrale Plaza Zocodover und den Arco de Sangre, den Blutbogen, der erinnert daran, dass auf dem Platz früher Hinrichtungen stattfanden. Dahinter steht ein Zeitgenosse El Grecos in Bronze gegossen: der Dichter Miguel de Cervantes. Angeblich kannten sie einander. Ein paar Schritte weiter liegt das Museum Santa Cruz in dem prächtigen Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert des ehemaligen Hospital de Santa Cruz.
    Zweistöckige Arkadengänge umgeben den Innenhof mit Blumenrabatten, Olivenbäumen und Brunnen. In der Ausstellung ist eindrucksvoll zu sehen, wie El Greco seine Figuren im Laufe der Jahre immer feinziselierter, ätherischer und vergeistigter darstellt - in den Porträts der Freunde und kirchlichen Auftraggeber, der Bischöfe und Kardinäle, ebenso wie in den religiösen Motiven. Sein Stil war zu Lebzeiten jedoch keineswegs unumstritten, sagt Fernando Marías, der Kurator der Jubiläumsausstellung.
    "Er ist eine paradoxe Person in jener Zeit. Es gefällt ihm, als Künstler mit eigensinnigen neuen Dingen zu überraschen, mit einer extravaganten Malerei, die man so zuvor noch nicht gesehen hat. Die Malerei ist für ihn ein Erkenntnisinstrument, ein Medium des Wissens von Dingen, die real sind, und von Dingen, die irreal sind und von daher nicht sichtbar. El Greco benutzt die Farben, um Personen und Dinge zu charakterisieren, egal ob er Engel oder Ruinen malt, oder Frauen und Männer aus Fleisch und Blut."
    Wie "Der Heilige Martin" auf einem Schimmel reitend dem Bettler seinen grünen Mantel reicht, lässt keinen ungerührt. El Greco ist ein guter Psychologe, er lässt den Betrachter unmittelbar am Seelenleben seiner Figuren teilhaben. Während er von sich kaum etwas preisgab. Gewiss ist nur, dass er gebildet war und gerne diskutierte. Er besaß eine umfangreiche Bibliothek und pflegte gute Beziehungen sowohl zu den Gelehrten der Universitätsstadt Toledo als auch zum Klerus in jener schwierigen Zeit der Gegenreformation. Aber wie religiös er persönlich war, ist unbekannt, sagt Juan Antonio Garcia Castro.
    "Wir wissen weder, ob er der griechisch-orthodoxen oder römisch-katholischen Religion anhing, noch ob er praktizierender Gläubiger war. Wir wissen nur, dass seine religiöse Ikonografie innerhalb der gegenreformatorischen Bewegung und dem Konzil von Trient bleibt. Er hatte nie Probleme mit der Inquisition. Bekannt ist nur, dass manchen Religiösen die Form nicht gefiel, wie er bestimmte Szenen der Evangelien repräsentierte, zum Beispiel dieser Anachronismus, dass er bewaffnete römische Soldaten wie Soldaten des 16. Jahrhunderts darstellte."
    Der Abend dämmert und ich verlaufe mich auf dem Weg zur Bernhardiner Klosterkirche Santo Domingo el Antigua im Labyrinth der alten Gassen und Gemäuer. Ein Student begleitet mich schließlich dorthin.
    "Die Klosterkirche Santo Domingo el Antigua war die erste, für die El Greco Gemälde schuf. Er malte insgesamt acht Bilder. Im Original sind heute noch "Die Anbetung der Hirten", "Der Heilige Johannes der Täufer" und "Die Auferstehung" zu sehen, die anderen sind Kopien."
    Die Nonne deutet auf eine Glasplatte im Steinboden, ein Fenster in das beleuchtete Kellergewölbe. Dort unten steht ein Sarg. El Greco liegt hier begraben.
    Es gibt kaum eine Kirche hier, die keine Werke von El Greco besitzt. Anlässlich seines Todestags ist erstmals nach hundert Jahren auch die Kapelle des Heiligen Joseph, die Privatleuten gehört, für Besucher geöffnet. Hier rührt mich unvergesslich das Gemälde "Der Heilige Joseph mit dem Jesusknaben". Joseph im blauen Gewand legt beschützend den Arm um den rot gekleideten Jungen, der sich furchtsam an ihn schmiegt. Wie so oft stand El Grecos Sohn Manuel Modell für den Jesusknaben. Er muss ihn sehr geliebt haben. Und er liebte auch den Blick von seinem Haus auf die grünen Hügel und Zypressen südlich von Toledo, wie eines seiner seltenen Landschaftsgemälde zeigt.