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Spanienbesuch mit Robert Schumann

Die Neuproduktion "Robert Schumann - Spanische Liebeslieder" widmet sich eher unbekannten Stücken der Romantik. Die vertonten Gedichte wurden aus dem Spanischen von Emanuel Geibel übersetzt und neigen zu Verniedlichungen. Die Kompositionen Schumanns sind jedoch keine kitschigen Lieder.

Von Johannes Jansen |
    "O wie lieblich ist das Mädchen"
    aus: Spanische Liebeslieder, op. 138 Nr. 3
    Werner Güra (Tenor), Christoph Berner und Camillo Radicke (Klavier vierhändig)
    CD Track 21"

    Zitronenbeladene Eselskarren und glutäugige Zigeunerinnen mit den Gesichtszügen der Lollobrigida: Kaufhauskunst nennt man solche zu purem Kitsch verkommenen Genreszenen, deren historische Vorbilder freilich mit hohem Kunstanspruch geschaffen wurden. Gibt es dergleichen auch in der Musik? Diese Frage wird uns 'Die neue Platte' nicht beantworten. Aber sie lädt ein, darüber nachzudenken, wo die Grenze zwischen Kitsch und Kunst verläuft. Willkommen zu einem Spanienbesuch mit Robert Schumann.

    Schönes Mädchen, wackerer Seemann, stolzer Ritter, ein Hirtenknabe noch dazu: Hier scheint sich wirklich ein Klischee ans andere zu reihen. Das hielt Robert Schumann freilich ebenso wenig wie später Hugo Wolf von der Beschäftigung mit solchen Texten ab. Es sind spanische Gedichte aus dem 15. und 16. Jahrhundert, deren veredelnde Übersetzung einige Jahre zuvor Emanuel Geibel besorgt hatte. Er war einer der meistgelesenen Lyriker seiner Zeit, aber auch Zielscheibe manchen Spotts, etwa aus der Feder Wilhelm Buschs, dessen verhinderter Dichter Balduin Bählamm Geibels Züge trägt ("Wie wohl ist dem, der dann und wann, sich was Schönes dichten kann..."). Schön im Sinne von formvollendet ist Geibels Lyrik in der Tat, doch das dichterische Ebenmaß geht mit einer manchmal schwer erträglichen Tendenz zu biedersinniger Verniedlichung einher. Manche nennen es auch Schnulze. Aber wer wollte behaupten, schwache Gedichte ließen sich nur schwach vertonen? Das romantische Liedrepertoire von Schuberts Müllerin bis zu Brahms' Zigeunerliedern liefert Gegenbeispiele zuhauf, und die Spanischen Liebeslieder Opus 74 und 138, mag man auch zögern, sie mit den Vorgenannten auf eine Stufe zu stellen, bilden da keine Ausnahme. Ganz gewiss keine Schnulze ist das Folgende, obwohl wir uns anscheinend auf steilem Pfad zu stolzen Gipfeln in der Kulisse eines Heimatfilms befinden - sogar "Lieb Mütterlein" schaut mal herein. Hören Sie "Hoch, hoch sind die Berge", mit angemessener Empfindsamkeit vorgetragen von Anke Vondung.

    ""Hoch, hoch sind die Berge"
    aus: Spanische Liebeslieder, op. 138 Nr. 8
    Anke Vondung (Mezzosopran), Christoph Berner und Camillo Radicke (Klavier vierhändig)
    CD Track 26"

    Während er wie abwesend komponierte, tobte in Dresden der Barrikadenkampf. Schumann hatte durchaus Sympathien für den Mai-Aufstand von 1849 und schrieb sogar einige Volksmärsche "mit Kraft und Feuer", zog sich jedoch aufs Land zurück und überließ es seiner Frau, die Kinder in Sicherheit zu bringen. Sie war erstaunt, wie unbeeindruckt er von allem blieb. Es sei denn, man betrachtet den milden, in sich gekehrten Ton der meisten Lieder - auch wenn sie, wie das eben gehörte, einmal nicht in Moll gehalten sind - als Ausdruck der Teilnahme und Trauer. Als Sinnbild ehelichen Beistands lässt sich "Ich bin Dein Baum" verstehen, in dem er sich, als Gärtner, melodisch an sie, den Baum, anschmiegt. Es singen Anke Vondung und Konrad Jarnot, am Klavier begleitet von Camillo Radicke.

    "Duett "Ich bin Dein Baum, o Gärtner"
    aus: Minnespiel, op. 101 Nr. 3
    Anke Vondung (Mezzosopran), Konrad Jarnot (Bass-Bariton), Camillo Radicke (Klavier)
    CD Track 13"

    Mit dem Baum-Duett aus dem Minnespiel nach Gedichten von Friedrich Rückert haben wir das Geibel'sche Spanien vorübergehend verlassen. Im Entstehungszusammenhang liegt dieses Opus 101 zwischen dem Spanischen Liederspiel aus dem Frühjahr und den Liebesliedern aus dem Herbst des schaffensreichen Jahres 1849. Anzahl und Anordnung der Sologesänge und Duette in den drei Zyklen sind verschieden; der Letzte (mit vierhändiger Begleitung) umfasst auch ein Vor- und Zwischenspiel des Klaviers, doch den Schluss bildet jeweils ein Quartett. Das originellste Stück steht freilich außerhalb. Es ist der im Anhang von Opus 74 veröffentlichte "Contrabandiste" und eigentlich das Einzige, das uns im Kontext dieser Lieder, von einigen lokalkoloristischen Bolero-Einsprengseln abgesehen, wirklich spanisch vorkommen will. Der prahlerische Schmuggler gibt eine noch groteskere Figur ab als der schon einige Jahre zuvor entstandene "Hidalgo"; hinreißend porträtiert ist auch das Pferd auf der vereinten Flucht.

    ""Der Contrabandiste. Romanze"
    aus: Spanisches Liederspiel, op. 74
    Konrad Jarnot (Bass-Bariton), Christoph Berner (Klavier)
    CD Track 10"

    Über Stock und Stein hoppelt diese Romanze, doch Jarnot weiß Tempo und Balance zu halten - ohne Abstriche bei der Textverständlichkeit. Im vierstimmigen Ensemble klappt es ähnlich gut, obwohl manches gehetzter wirkt, als es das jeweilige Stück verlangt, und dabei in seltenen Momenten auch die Intonationskontrolle einen Schritt zurückbleibt. Erfreulich ist, dass sich die Sänger eines allzu opernhaften Gestus' ebenso enthalten wie karikaturhafter Überzeichnung der vom Komponisten durchaus intendierten Heiterkeitsmomente.

    "Quartett "Ich bin geliebt"
    aus: Spanisches Liederspiel, op. 74 Nr. 9
    Marlis Petersen (Sopran), Anke Vondung (Mezzosopran), Werner Güra (Tenor),Konrad Jarnot (Bass-Bariton), Christoph Berner (Klavier)
    CD Track 9"

    Die Spanischen Liebeslieder sind bis auf wenige Nummern Außenseiterstücke des romantischen Lied-Repertoires geblieben, auch das Minnespiel. Etliche Bekannte hätten versucht, die Noten aufzutreiben, ehe ein Pianisten-Kollege sie in einem Hamburger Antiquariat entdeckte, berichten Werner Güra und sein Klavierbegleiter Christoph Berner, die treibenden Kräfte dieser Neuproduktion. Nach Veröffentlichung ihrer Platte geht es nun auch auf Tournee, und so könnte im Herbst des Schumann-Jahres doch noch in Erfüllung gehen, was sich der Komponist erhoffte: "Ich glaube, es werden dies meine Lieder sein, die sich vielleicht am weitesten verbreiten."

    "Duett "In der Nacht"
    aus: Spanisches Liederspiel, op. 74 Nr. 4
    Marlis Petersen (Sopran), Werner Güra (Tenor), Christoph Berner (Klavier)
    CD Track 4"

    Sie hörten Ausschnitte aus einer Neuaufnahme der Spanischen Liebeslieder von Robert Schumann, zuletzt 'In der Nacht' mit Marlis Petersen (Sopran) und Werner Güra (Tenor). Erschienen ist diese neue Platte bei Harmonia Mundi. Im Studio verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Johannes Jansen.

    Diskografie
    "Robert Schumann - Spanische Liebeslieder"
    Produktion 2010
    Interpreten: Marlis Petersen (Sopran), Anke Vondung (Mezzosopran), Werner Güra (Tenor), Konrad Jarnot (Bass-Bariton), Christoph Berner und Camillo Radicke (Klavier)
    LC 07045 / Harmonia Mundi HMC902050
    Bestell-Nr.: 794881966820