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Spaniens Jugend bleibt auf der Straße

Die spanische Jugend hat keine Chance auf dem Arbeitsmarkt - bei den jungen Arbeitssuchenden liegt die Arbeitslosenquote bei 45 Prozent. Vor allem diese Perspektivlosigkeit ließ die Jugendlichen vor der Kommunalwahl protestieren. Trotz der Wahlniederlage der Regierungspartei werden die Kundgebungen auf der Madrider Puerta del Sol fortgesetzt.

Von Hans-Günter Kellner | 24.05.2011
    Sie nennen es Demokratie, es ist aber keine – singen die Protestierenden auf der Madrider Puerta del Sol. Es sind jetzt unter der Woche zwar deutlich weniger als am Wochenende, aber immer noch strömen jeden Abend ein paar Tausend Menschen zur Zeltstadt auf dem zentralen Platz. Das Lied von der falschen Demokratie ist eine ihrer politischen Losungen, eine andere: "Sie repräsentieren uns nicht." Diese Politikverdrossenheit hat sich auch bei den Wahlen am Wochenende gezeigt. Die beiden Freunde Juan und Julio sagen:

    "Die ganzen Wahlkampfveranstaltungen sind genauso überflüssig wie die Wahlkämpfer. Das ist alles nur Betrug. Die tauchen nur auf, wenn Wahlen sind. Wenn keine Wahlen anstehen, sieht man nirgends irgendeinen Politiker. Bei den Problemen, die es gibt. Ich finde es gut, dass die Leute hier auf der Straße kämpfen."

    "Diese Bewegung ist sehr breit gefächert. Wir wollen im Konsens neu definieren, wie Politik und Wirtschaft zu funktionieren haben. Die Politiker interessieren sich nicht für unsere Meinung. Darum machen wir das hier. Um direkt mitzubestimmen."

    Für einige Besucher befindet sich die Bewegung am Scheideweg. Positioniert sie sich zu deutlich in Sachfragen, droht ihr, die breite Basis wegzubrechen. Diese Frau schreibt auf einen Zettel, Forderungen wie nach der Stilllegung sämtlicher Atomkraftwerke oder einem neuen Abtreibungsgesetz würden einen Teil der Bewegung ausschließen und wirft ihn in einen der Briefkästen aus Karton, die an jeder Ecke aufgestellt sind:

    "Ich will mehr Dinge, die mit der Ethik in der Politik zu tun haben. Denkanstöße für die bestehenden Parteien, die auch konservative Leute unterschreiben können. Wenn die Parteien in der Lage sind, diese Dinge zu beherzigen, haben sie eine Zukunft. Wenn sie sich aber als unfähig erweisen, wird es neue Parteien geben. Denn woran ich überhaupt keinen Zweifel habe: In ihrer jetzigen Form sind die Parteien unnütz."

    Die Bürgerbewegung hat für Aufsehen gesorgt, für Nachahmer in anderen europäischen Großstädten wie in London oder auch in Berlin. In der improvisierten Zeltstadt gibt eine Arbeitsgruppe an Laptops Kontaktadressen in eine Datenbank ein. Das Problem mangelnder Demokratie in den politischen Entscheidungen sei nicht auf Spanien begrenzt, sagt Studentin Olaya Rodríguez:

    "Wir wollen einen Mentalitätswandel, dass die Leute nicht einfach mehr alles hinnehmen. Das bewegt mich am allermeisten. Wir haben geschlafen, aber die Welt muss jetzt aufwachen. Sie sollen nicht bloß vor den spanischen Botschaften campen. Sie sollen sich ihre öffentlichen Plätze aneignen. Jeder soll sich für seine Sache einsetzen. Daraus soll die Sache aller werden."

    Der Überdruss über die etablierte Politik hat bei den Kommunalwahlen vor allem die spanischen Linken getroffen und zu einer historischen Wahlschlappe geführt. Wer früher die Sozialisten gewählt hat, ist diesmal zu Hause geblieben, auch die kleine Vereinigte Linke konnte von dieser Unzufriedenheit kaum profitieren.

    Kapital geschlagen hat aus dieser Stimmung hingegen die Volkspartei. Auch Bauarbeiter Luis Fernández ist nicht wählen gegangen. Er ist seit drei Jahren arbeitslos, bekommt keine staatliche Unterstützung und hält sich mit Schwarzarbeit über Wasser. Zu den Debatten im Parlament meint er:

    "Wie kann die Opposition Zapatero die Schuld an der Krise geben? Die wissen doch genau, dass die Krise ein internationales Problem ist, das die amerikanischen Banken ausgelöst haben. Sie manipulieren die Massen. Wie auch die Regierung jedes Miniwachstum zur Trendwende erklärt. Da wird so viel gelogen. Wenn ich früher meine Arbeit so schlecht erledigt hätte, hätten sie mich rausgeworfen. Die Politiker können wir aber nicht entlassen."

    Mindestens eine Woche soll die Zeltstadt an der Puerta del Sol bestehen bleiben. Am Wochenende wollen die Organisatoren in die Stadtviertel Madrids ziehen, und dort mit der Bevölkerung diskutieren. Daraus soll ein Katalog mit konkreten politischen Handlungsaufträgen an die Parteien entstehen. Einige Beobachter halten die Entwicklung durchaus auch für riskant. Im Gegensatz zu den Gesängen in der Madrider Innenstadt repräsentierten demokratisch gewählte Parlamente eine Gesellschaft sehr wohl, richteten einige Tageszeitungen nach dem Wahltag ihre Kommentare auch an die Protestierenden.
    Sprecher der Bürgerinitative "Echte Demokratie Jetzt!" bei einer Demonstration
    Ein Sprecher der Bürgerinitative "Echte Demokratie Jetzt!" bei einer Demonstration (Hans-Günter Kellner)