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Spaniens Wettbewerbsfähigkeit zu wenig ausgeprägt

Aufatmen in Madrid: Die Platzierung von neuen spanischen Anleihen war erfolgreich - die Nachfrage fast doppelt so hoch wie das Angebot. Experten sehen jedoch keinen Anlass zur Genugtuung: Die Wettbewerbsfähigkeit Spaniens liege brach - in Bildung, Forschung und Entwicklung sei zu wenig investiert worden.

Von Hans-Günter Kellner | 05.08.2011
    Noch vor der Emission neuer spanischer Staatsanleihen trat Wirtschafts- und Finanzministerin Elena Salgado vor die Presse und kündigte neue Kürzungen an, um das Haushaltsdefizit in diesem Jahr weiter zu senken – und um die Finanzmärkte zu beruhigen:

    "Spanien befindet sich noch in einer recht entspannten Situation angesichts der Spannungen auf den Finanzmärkten. Unser Schuldenstand wird gemessen am Bruttoinlandsprodukt zum Jahresende 68 Prozent betragen. Das ist deutlich weniger als in Deutschland oder auch in Belgien. Außerdem haben wir schon mehr als zwei Drittel unseres Finanzbedarfs dieses Jahres auf den Märkten abgedeckt. Wir befinden uns also in einer deutlich besseren Situation als andere."

    Als die spanischen Anleihen dann schließlich platziert wurden und die Nachfrage groß war, bewertete Madrid dies als Vertrauen der Märkte. Regierung und Opposition täten jedoch gut daran, die Nervosität der Märkte ernster zu nehmen, mein Wirtschaftswissenschaftler David Bach von der Madrider IE-Business-School:

    "Es gibt strukturelle Probleme, die angegangen werden müssen. Der große Fehler der Zapatero-Regierung war, nicht zu verstehen, dass es diese Probleme gab, was die Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Arbeitsmärkte und so weiter angeht. Und die konservative Opposition scheint sich so siegessicher zu sein, dass sie konkrete Aussagen vermeidet, um niemanden zu verprellen. Wenn man nachfragt, bekommt man den Eindruck, dass Spitzenkandidat Rajoy überzeugt ist, dass sein Wahlsieg alleine Rückhalt genug ist für die Märkte, dass das Wachstum wiederkommt und das Problem dadurch irgendwie bewältigt wird. Das ist natürlich fadenscheinig."

    Der Druck der Märkte ist folglich nicht nur Spekulanten geschuldet, wie viele Politiker in Spanien meinen, sondern viel mehr auch ein Zeichen maroder wirtschaftlicher Verhältnisse – und einer mangelnden Reformbereitschaft. Vor den Wahlen im November sagen die regierenden Sozialisten, es sei wieder mehr Spielraum für Arbeitsmarktprogramme für junge Arbeitslose, die Konservativen versprechen, keinesfalls Sozialleistungen zu kürzen.

    Bach: "Das Problem ist in der Tat die Wettbewerbsfähigkeit. In Spanien gibt es Probleme in der Bildungspolitik, die Universitäten müssten reformiert werden und spanische Unternehmen haben wenig in Forschung investiert, im Vergleich zum Beispiel zum deutschen Mittelstand. Das heißt, dass es kurzfristig zwei Möglichkeiten gibt: Entweder die Währung abwerten, was keine Möglichkeit mehr ist durch die gemeinsame Währung. Oder die realen Löhne sinken zu lassen, dadurch, dass es Lohnkürzungen oder keine Lohnerhöhungen gibt, während die Inflation die nominalen Preise anhebt. Das ist natürlich für viele Spanier hart. Die eigentliche Lösung ist Bildung, Forschung, Entwicklung – aber das dauert Jahre."

    Doch schon die bisherigen Sparmaßnahmen haben Massenproteste ausgelöst. Jugendliche weisen auf ihre eigene Perspektivlosigkeit hin, aber auch auf Widersprüche. So haben sich der Tageszeitung "El País" zufolge die Vorstandsmitglieder von Bankia, einem mit Steuergeldern saniertem Zusammenschluss mehrerer Sparkassen, ein Jahresgehalt von jeweils bis zu zehn Millionen Euro genehmigt. Solche Nachrichten verstärken die Reformbereitschaft der Bevölkerung nicht. Für Wirtschaftswissenschaftler Bach muss zudem auch die deutsche Bundesregierung umdenken:

    "Hätten wir jetzt Eurobonds, wären wahrscheinlich die deutschen Anleihen vielleicht 0,2, 0,3, 0,4 Prozent teurer. Das heißt natürlich schon, dass Deutschland höhere Zinsen bezahlen müsste. Aber es ist immer noch deutlich besser, als das, was uns treffen könnte, wenn der Euro auseinanderfällt. Es ist immer noch so – auch wenn die Bundeskanzlerin das nicht sagt – dass Deutschland mehr finanziellen Nutzen aus dem Euro zieht – auch politischen Nutzen – als jeder andere. Für Deutschland steht mehr auf dem Spiel, das hat mehr zu verlieren, und im Endeffekt wird es so kommen."

    Parallel dazu müsste die Finanzpolitik der Mitgliedsstaaten in Brüssel geregelt und überwacht werden. Die finanzstarken Länder hätten also ein Mitspracherecht darüber, wie in Madrid, Dublin oder Athen mit dem Geld umgegangen wird. Im Gegenzug würde allerdings auch Berlin nicht mehr machen können, was es wolle. Eine folgerichtige und notwendige Entwicklung aus der Schaffung des Euro, meint der deutsche Wirtschaftswissenschaftler an der IE-Business-School in Madrid:

    "Es besteht weiter großes Risiko in der Eurozone. Die Probleme sind nicht im Griff. Die politische Führung fehlt, und auch der Wille, dem auch nachhaltig zu begegnen. Solange das der Fall ist, werden die Märkte unruhig bleiben."