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"Der Rettungsschirm wird vermutlich ausreichen"

Die Euro-Krise – reicht der EU-Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro aus in den kommenden Jahren? Einige Experten sagen nein, die Politik sagt ja - wie der Finanzwissenschaftler Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance and Management.

Christoph Schalast im Gespräch mit Dirk Müller | 26.11.2010
    Dirk Müller: Die Euro-Krise – reicht der EU-Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro aus in den kommenden Jahren? Einige sagen ja, die Politik sagt ebenfalls ja, aber Experten sagen Nein. Wir wollen jetzt darüber reden mit dem Finanzwissenschaftler Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Tag!

    Christoph Schalast: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Kommen wir erst mal zu der anderen Frage. Es geht ja auch in der Bundestagsdebatte – wir haben das eben gehört bei unserem Korrespondentenbeitrag von Gerhard Irmler – immer wieder auch um die Frage, wer holt das Geld beim Bürger ab. Wenn die EU schwächelt und der Euro schwächelt, dann kassieren auch die Schwarz-Gelben beim Bürger?

    Schalast: Na ja, zunächst einmal muss man sagen, hier wird ja im Augenblick kein Bargeld verlangt. Es geht um Garantien. Und auch die Garantien, die die Bundesregierung über das SoFFin gegeben hat, sind bis heute nicht eingelöst worden. Dieses Geld wird nicht bezahlt werden müssen und muss nicht bezahlt werden. Das heißt, wir reden hier wirklich nicht über konkrete Zahlungen, die anstehen, und damit reden wir auch nicht über Geld, was beim Bürger geholt werden muss.

    Müller: Das haben wir jetzt schon häufiger gehört, Herr Schalast. Dennoch: Wenn das Geld nicht zurückgezahlt werden kann, was passiert dann?

    Schalast: Naja, wenn das Geld nicht zurückgezahlt werden könnte, dann hätten wir ein großes Problem in Deutschland, weil dann würde der deutsche Staat seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, und das würde heißen, der deutsche Staat wäre Pleite. Ein Staat kann aber letztendlich nicht Pleite gehen letztendlich, beziehungsweise wenn er Pleite geht, erleben wir das, was wir in Argentinien oder in Russland erlebt haben. Das ist aber so fern jeglicher, sage ich mal, Wahrscheinlichkeit, dass es eigentlich schon fast gefährlich ist, darüber zu reden.

    Müller: Aber in Griechenland und Irland ist das ja anders gelaufen?

    Schalast: Naja, in Griechenland und Irland ist es insoweit nicht anders gelaufen. Wenn Sie so wollen: Griechenland konnte auf die Solidarität der anderen EU-Länder setzen, und zwar mit Recht, und es ist nun mal auch gestützt worden. Wir haben kein Insolvenzrecht für Staaten. Wir planen gerade in der EU, ein solches Insolvenzrecht zu erarbeiten. Und die Sache in Irland muss man, glaube ich, sehr, sehr differenziert sehen. Irland wollte nicht unter den Rettungsschirm, Irland wurde letztendlich mehr oder weniger auch gedrängt, es zu tun, um die Märkte zu beruhigen, und auch die Ursachen, warum Irland und Griechenland in Probleme kamen, sind ja vollkommen unterschiedlich. In Griechenland haben wir ein Problem mit der griechischen Fiskalpolitik, und das Problem ist alt, das ist zehn Jahre alt, das hätte man auch erkennen können. Die Iren haben ein anderes Problem. Die Iren waren Gewinner der letzten 30 Jahre. Das ist ein Musterknabe, man kann sagen ein keltischer Tiger. Sie haben eine wirklich auch vor allem expandierende Finanzwirtschaft gehabt, und diese Finanzwirtschaft war nach der Krise zu groß. Die Iren hatten jetzt einen überdimensionierten Bankensektor und Finanzsektor, und den müssen sie jetzt schrumpfen lassen und dadurch kommen sie in ihre Probleme.

    Müller: Das interessiert den Rettungsschirm aber dahin gehend ja eher nicht, weil er muss auf jeden Fall das Geld bereithalten für beide Staaten und vielleicht auch für Portugal und vielleicht auch für Spanien. Wann ist Schluss?

    Schalast: Also erst mal Geld bereithalten heißt ja nur, es werden Garantien abgegeben, und die Frage ist, müssen diese Garantien eingelöst werden. Im Augenblick ist eine Garantie notwendig, um irische Staatsanleihen zu stabilisieren.

    Müller: Aber kann man seriös Garantien geben, ohne das Geld in der Kasse zu haben?

    Schalast: Ja. Das tun Staaten immer. Das ist, glaube ich, Staatspolitik, seitdem wir nicht mehr den Goldstandard haben. Das ist auch zulässig, wenn man diese Garantien entsprechend einkalkuliert, indem man die Wahrscheinlichkeit bewertet, nach der sie eingelöst werden müssen.

    Müller: Aber wir haben ja hier selbst auch vor zwei Tagen Schwierigkeiten gehabt, unsere Anleihen, also die deutschen Anleihen, zu verkaufen. Da wurde weniger geboten, als wir haben wollten.

    Schalast: Ja. Das hat sicherlich seine Ursache darin, dass im Augenblick durch die Irland-Krise wiederum das Krisenbewusstsein stärker geworden ist. Auf der anderen Seite, glaube ich, sind deutsche Staatsanleihen so sicher, wie nur irgendetwas sicher sein kann. Und bedenken Sie noch mal: Wir haben im Oktober 2008 500 Milliarden Euro bereitgestellt, um die deutschen Banken zu stützen. Bisher haben wir dieses Geld nicht bezahlen müssen. Das darf man nicht vergessen. Und die Stabilisierung ist geglückt!

    Müller: Das muss ich Sie jetzt noch mal fragen, Herr Schalast, zum Verständnis. Das heißt, das ist offenbar aus Ihrer Interpretation heraus unendlich, weil beispielsweise Deutschland ohnehin kreditwürdig ist? Das heißt, wenn wir jetzt 1,5 Billionen nehmen – das sind ja mehr als 1000 Milliarden Euro – für diesen Rettungsschirm, dann haben wir keine Probleme, das zu garantieren, das zu leisten?

    Schalast: Nein. Rettungsschirm heißt ja nur, dass sich bestimmte Stakeholder committen, verpflichten, Gelder dafür zur Verfügung zu stellen. In dem jetzigen Rettungsschirm hat Deutschland einen Betrag von 60 Milliarden, die es zur Verfügung stellt, vielleicht 120 Milliarden, wenn es ganz nach oben kommt. Das heißt, das ist das Geld, was Deutschland zur Verfügung stellen müsste. Das ist im Verhältnis zu dem, was wir bisher zur Verfügung gestellt haben, sehr wenig. Und hinzu kommt, dass wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Garantien bisher nicht eingelöst werden mussten, und es ist sehr wahrscheinlich, dass sie niemals eingelöst werden.

    Müller: Weil wir das Geld zurückbekommen, beziehungsweise weil Irland, Griechenland, Spanien, Portugal, wenn es da zur Krise kommt, aus eigener Kraft irgendwann alles wieder in den Griff bekommen?

    Schalast: Na ja, es handelt sich ja hier um irische und griechische Staatsanleihen, die ausgegeben wurden, und natürlich haben die Staaten immer damit kalkuliert, dass sie es zurückzahlen können. Im Fall Irland ist diese Wahrscheinlichkeit sehr hoch. Irland hat immer hohe Wachstumsraten gehabt und im Augenblick ist wieder absehbar, dass sie solche Wachstumsraten wieder erreichen werden. Das heißt, wenn sie ihre Staatsschulden zurückzahlen können, tritt der Garantiefall nicht ein.

    Müller: Da muss ich Sie noch mal fragen, Herr Schalast. Warum werden dann die Staatsschulden auch bei uns immer höher jedes Jahr?

    Schalast: Naja, das ist eine Entwicklung, die hat begonnen in den 70er-Jahren, als wir angefangen haben, eben mehr Geld auszugeben, als wir in der Kasse hatten. Es gibt verschiedene Ursachen dafür. Ein Grund war letztendlich auch, um das Wachstum, also im Grunde eine Politik im Interesse von Keynes zu betreiben, also das Wachstum damit zu fördern. Ob das richtig ist, das ist ja höchst umstritten, und wir haben inzwischen ja auch in der Verfassung Bestimmungen, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern wie in Hessen zum Beispiel, dass das in Zukunft nicht mehr geschehen soll. Ich halte das für eine richtige Entwicklung.

    Müller: Jetzt müssen Sie mir trotzdem weiterhelfen. Warum ist das dann nicht naiv zu denken, dass das jemals alles zurückbezahlt wird, dass wir irgendwann schuldenfrei sind? Die Entwicklung spricht doch dagegen.

    Schalast: Naja, ob wir jemals schuldenfrei sind, das habe ich auch nicht als Ziel formuliert. Schulden sind an sich kein Problem, wenn man sich entsprechend refinanzieren kann. Das weiß jeder Häuslebauer. Wenn sie heute ein Haus kaufen, dann werden sie es nicht zu 100 Prozent Eigenkapital finanzieren, sondern sie werden vielleicht 10, 20 oder 30 Prozent, je nachdem was sie aufbringen können, dafür hinlegen.

    Müller: Aber mit der Perspektive verbunden, irgendwann auf null zu sein.

    Schalast: Natürlich. Aber auf der anderen Seite, wenn sie eine andere Investition tätigen wollen, überlegen sie, ich lass das Fremdkapital, wenn ich denn den Zinsdienst gut bedienen kann, auf dem Haus und kaufe ein anderes Asset, vielleicht ein anderes Haus, oder ich investiere zum Beispiel in Aktien, wenn das eine vernünftige Rendite verspricht und die Rendite höher ist als das, was ich an Zinsen zahlen muss. Letztendlich ist es eine Frage, wie sie im Einzelfall kalkulieren und ob das auf soliden Füßen steht. Von daher: Ich glaube nicht, dass wir jemals eine Situation erleben werden, zumindest nicht solange wir noch leben, dass Deutschland schuldenfrei ist. Aber solange der Schuldendienst wirklich von Deutschland beherrscht wird – und das wird er –, sehe ich gar kein Problem.

    Müller: 750 Milliarden – letzte Frage -, das ist der Rettungsschirm. Reicht der aus?

    Schalast: Der Rettungsschirm wird vermutlich ausreichen, weil es gibt wirklich kein Anzeichen dafür, dass insbesondere Spanien in eine Krise gerät. Auch Spanien hat ja einen ganz anderen Hintergrund. Spanien selbst ist weniger verschuldet als Deutschland, das vergessen wir manchmal. In Spanien haben wir vor allem eine Immobilienblase, die problematisch ist, ähnlich wie in den USA. Wir haben aber auf der anderen Seite keinen expandierenden Finanzsektor, wie wir ihn in Irland hatten. Also es gibt immer unterschiedliche Ursachen und von daher kann man die Staaten auch nicht so einfach in einen Topf werfen.

    Müller: Aber weil Sie gerade das Beispiel USA nennen. Das heißt, das ist ja schon ein Problem, losgelöst einmal vom Finanzsektor, Immobilienblase. Hört sich ja auch nicht gut an.

    Schalast: Immobilienblase hört sich nicht gut an. Wir hatten auch in Deutschland eine Immobilienblase Anfang des 21. Jahrhunderts und wir haben sie in den Griff bekommen, indem wir eben den Schuldenbestand entsprechend abgebaut haben. Das ist möglich! Die Blase in Spanien ist auch anders getrieben als die in den USA. In den USA war sie vor allem getrieben von billigen Krediten, die endfällig gestellt waren und die vor allem auch an Häuslebauer verkauft wurden, die sie sich nicht leisten konnten. Das ist in Spanien nicht der Fall. In Spanien haben wir eine, muss man sagen, Spekulation letztendlich auch mit vielen Ausländern, die beteiligt sind, mit Ferienimmobilien, und das ist einfach wiederum eine andere Struktur.

    Müller: Heute Mittag im Deutschlandfunk der Finanzwissenschaftler Christoph Schalast von der Frankfurt School of Finance an Management. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schalast: Sehr gerne. Tschüß!