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Spanier haben Angst vor ausländischen Patienten

Neue Zahnkronen gibt es günstig in Polen, und für neue Hüftgelenke fährt man am besten nach Spanien. Das Europäische Parlament in Straßburg will es heute für Patienten künftiger noch einfacher machen, im Ausland Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Dagegen regt sich vor allem in Spanien Widerstand.

Von Hans-Günter Kellner |
    Eine kleine Karaffe Rotwein steht auf fast jedem Tisch. Rund 50 ältere Menschen sitzen im Speisesaal der bei Valencia an der Costa Blanca gelegenen Seniorenresidenz Montebello und tauschen nach dem Wochenende lebhaft ihre Erfahrungen der letzten Tage aus. Auch von spanischen Krankenhäusern wird erzählt. Der Augsburger Alfred Jochmann:

    "Zweimal bin ich schon dort gewesen. Und zwar im Notfall mit meinem Herz und Asthma. Die Untersuchung war ausgezeichnet. Sie haben sich wirklich sehr viel Mühe gegeben. Auch bei meiner Frau. Die ist auch im Krankenhaus gewesen. Nur die langen Wartezeiten! Ich warte jetzt zum Beispiel schon drei Monate auf eine Herzuntersuchung im städtischen Krankenhaus oder in der Poliklinik, in der staatlichen hier."

    Die Jochmanns sind sozusagen vorbildliche Patienten. Kurz nach ihrem Umzug nach Spanien meldeten sie sich bei den Behörden an, bekamen eine spanische Gesundheitskarte, mit der sie wie die Spanier zum Arzt gehen. Doch wegen der langen Wartezeiten haben viele eine private Zusatzversicherung, mit der sie in privaten Kliniken behandelt werden. Udo Lyhs, Pflegedienstleiter der Residenz, hält das staatliche Gesundheitssystem in der Region Valencia für völlig überlastet:
    "Das System ist belastet durch die vielen Altersresidenzen, die wir hier haben. Alte Menschen werden nun mal öfter krank. Da reicht dieses Bezahlsystem, das die EU hat, in Spanien nicht aus. Ich kann die Sorge der Spanier schon verstehen, wenn die sagen, wir legen ein Veto ein oder man muss die Zahlungsmodalitäten innerhalb der EU verändern."
    Denn die meisten der Hunderttausenden Nordeuropäer melden sich nicht wie Alfred und Edith Jochmann bei den Behörden an. Statt dessen gehen sie mit der europäischen Gesundheitskarte ihres Herkunftslandes zum Arzt. Mit dieser Karte kann die spanische Verwaltung die Behandlungen jedoch nicht detailliert abrechnen, sondern bekommt aus den EU-Fonds nur Pauschalbeträge. Diese Gesundheitskarte ist im Grunde nur für Notfälle auf Reisen durch Europa gedacht. Die spanischen Behörden sind dennoch großzügig bei den Behandlungen. Abgewiesen wird kaum jemand. Das Gesundheitssystem ist steuerfinanziert, und jeder, der in Spanien lebt, hat einen Rechtsanspruch auf kostenlose Behandlungen. Für deutsche Patienten sei das System nicht sehr attraktiv, da die Wartezeiten auf Operationen oder Diagnoseverfahren deutlich über denen in Deutschland liegen. Für britische Rentner aber ist Spanien nicht selten die letzte Rettung, erzählt Lyhs:
    "Da prallen zwei staatliche Systeme aufeinander. Wobei eines hier in Spanien relativ gut funktioniert - und in England Leistungen rationiert sind. Ab einem bestimmten Alter gibt es bestimmte Operationen nicht mehr. Die Grenze liegt bei 75, aber bei allem, Hüfte, Knie, alle Ersatzteile, die man auswechseln muss. Wenn man privat versichert ist, kann man's machen, aber im staatlichen System ist das rationiert."
    Und so kommen Briten für eine Hüftprothese oder Herzoperation nicht selten nach Spanien. In der Region Valencia hat sich ein regelrechter Gesundheitstourismus entwickelt. Spaniens Gesundheitspolitiker haben darum vor einer Ausweitung der europäischen Patientenrechte geradezu Angst. Das Reisen dürfe nicht zu Vorteilen bei der Versorgung führen. Das sagt Luis Rosales, in der Region Valencia zuständig für den staatlichen Gesundheitsdienst..
    "Wir hatten schon Fälle, da boten Reiseunternehmen in Nordeuropa Urlaub plus Operation in Spanien im Paket an. Das führt natürlich zu großen Problemen in unserem System. Da wurden Pakete mit Gesundheitsleistungen angeboten, die genauso gut in den Heimatländern hätten ausgeführt werden können. Statt dessen ließen sich die Leute im spanischen öffentlichen Gesundheitssystem behandeln."
    Großbritannien exportiere seine teuren Patienten in den Süden, heißt es immer wieder. Mehr als die Hälfte der Patienten, die im staatlichen Krankenhaus in Alicante an den Herzkranzgefäßen operiert würden, seien Bürger aus anderen EU-Staaten, erzählt der Arzt Antonio Gómez. Bevor das europäische Parlament die Patientenrechte ausweitet, sollte es einen gemeinsamen Leistungskatalog festlegen, fordert er:
    "Das wäre ein Desaster, wenn das Vorhaben im EU-Parlament durchkommt. Ich denke, wir müssten uns erst darauf festlegen, welche Krankheiten im grenzüberschreitenden Patientenverkehr behandelt werden und mit welchen Maßnahmen. Was nicht geht ist, dass die einen mit ihren Steuergeldern die Defizite der Gesundheitssysteme anderer Länder ausgleichen."