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Spannungen am Golf
Katar-Krise zerreißt Familien

Bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen konnten Menschen aus Katar ohne Probleme in Saudi-Arabien, Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten leben und arbeiten. Am kommenden Montag endet nun die Frist, zu der Kataris diese Länder verlassen müssen. Viele Männer und Frauen in gemischten Ehen fürchten nun eine Trennung ihrer Familien.

Von Sabine Rossi | 16.06.2017
    Eine katarische Familie geht am Freitag (07.01.2011) durch die Villaggio-Shoppingmall in Doha, der Hauptstadt von Katar.
    Rund 6.500 Kataris haben eine Frau oder einen Mann aus einer Nachbarmonarchie geheiratet. (dpa / picture alliance / Andreas Gebert )
    Abdullah war auf Dienstreise in seiner alten Heimat Katar, als die diplomatische Krise am Golf begann. Seit gut 20 Jahren lebt Abdullah in Dubai, ist mit einer emiratischen Frau verheiratet, hat mit ihr drei Kinder. Nun sitzt er in Katar fest. Seinen richtigen Namen möchte er nicht im Radio hören, aus Angst um seine Familie.
    "Ich wundere mich, warum dieser Bruch jetzt im Ramadan passiert. Das einfache Volk hat doch nichts mit der Politik zu tun", sagt Abdullah. "Wenn es Probleme unter den Herrschenden gibt, okay! Es ist ganz normal, dass sich Brüder innerhalb einer Familie auch mal streiten. Aber muss dieser Streit Auswirkungen auf die Familien haben? Schließlich gibt es Ehen zwischen katarischen und emiratischen Bürgern!"
    Wenn Abdullah von den Staaten am Golf als "Brüdern" spricht, ist er nicht allein. Viele in der Region bezeichnen sich selbst als Khaliji, als einer oder eine vom Golf. Für die Bürger der Golfstaaten galt bislang Reisefreiheit. Kataris konnten ohne Probleme in Saudi-Arabien, Bahrain oder den Vereinigten Arabischen Emiraten leben und arbeiten.
    Auch durch Familienbande sind die Golfstaaten eng mit einander verflochten. Offiziell haben rund 6.500 Kataris eine Frau oder einen Mann aus einer Nachbarmonarchie geheiratet. Viele haben dort Geschwister, Cousins, Onkel und Tanten. Aber so wie Abdullah sind sie jetzt getrennt.
    James Lynch kennt viele solcher Schicksale. Für die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat er mit Betroffenen in Katar gesprochen.
    "Ich habe eine Frau getroffen, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat. Sie selbst ist Katarin. Ihr Kind hat die Staatsangehörigkeit des Vaters, der aus Bahrain ist. Der Vater ist nun in Bahrain, um das Kind anzumelden, aber sie durfte nicht mitreisen. Die Behörden verlangen nun, dass das Kind, das kleine Baby, nach Bahrain kommt."
    Auch die Staatenlosigkeit droht
    Ohne die Mutter. Ähnliches könnte auch Abdullahs Kinder treffen. Von ihrem Vater haben sie die katarische Staatsangehörigkeit geerbt. Dubai könnte sie deshalb schon bald ausweisen. Für Abdullahs jüngste Tochter ist offen, wo sie nach den Sommerferien zur Schule gehen wird. Wie ihnen geht es vielen Kindern aus gemischten Ehen. Sollten sie sich entscheiden, bei der Mutter zu bleiben, könnten sie demnächst staatenlos sein.
    Abdullah hat von Familien gehört, die sich über die Krise zerstritten haben – einer steht auf der Seite Katars, der andere auf der Saudi-Arabiens. Mit seiner Frau diskutiere er nicht darüber, sagt Abdullah, aus Sorge, die Gespräche könnten abgehört werden.
    "Wenn ich mit meiner Frau telefoniere, fragt sie mich, wie es mir geht, und ich frage sie, wie es ihr geht und unseren Kindern. Die Telefongespräche kreisen ausschließlich um die Familie. Wir reden nicht über Politik, um Probleme zu vermeiden."
    Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain haben Strafen angekündigt, für all die, die sich positiv über Katar äußern. Wer Mitgefühl hat oder gar Verständnis für Katar, riskiert eine Geld- oder Gefängnisstrafe.
    Die Angst am Golf ist groß, sagt James Lynch von Amnesty International.
    Hoffen auf ein baldiges Ende der Krise
    "Die Leute haben Angst, mit Kataris zu reden oder ihnen zu helfen. Wir haben mit einem katarischen Mann gesprochen, der Saudi-Arabien verlassen muss und einen saudischen Freund gebeten hat, sich um seine ausländischen Angestellten zu kümmern. Doch der Saudi hat nur gesagt: 'Ich kann Dir nicht helfen. Du bist aus Katar, und ich will keinen Ärger.' Dann hat er aufgelegt."
    Abdullah ist das bisher erspart geblieben. Sein Chef in Dubai hat auf seine E-Mail geantwortet. Noch muss Abdullah nicht um seinen Job bangen – anders als zahlreiche andere, die nun festhängen und nicht zum Arbeitsplatz kommen.
    "Mein Chef hat mir empfohlen, meinen Urlaub zu verlängern bis nach dem Zuckerfest am Ende des Ramadan. (…) Er geht davon aus, dass es eine Lösung für die Krise gibt und dass alles so wird wie zuvor."
    Abdullah selbst ist weniger optimistisch. Das Zuckerfest werde er wohl in Katar feiern – allein, ohne seine Familie.