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Spannungen in Kamerun
Ein zunächst harmloser Konflikt eskaliert

In Kamerun haben Sicherheitskräfte am vergangenen Sonntag bis zu 17 Menschen getötet. Die hatten friedlich für die Unabhängigkeit der englischsprachigen Landesteile protestiert. Mittlerweile ist eine deutliche Radikalisierung der Demonstranten zu beobachten. Die Vereinten Nationen sind besorgt.

Von Jens Borchers | 07.10.2017
    Dutzende Polizisten gehen auf einer Straße.
    Sicherheitskräfte in der Stadt Buea im Westen Kameruns. (AFP)
    Kameruns Minister für Kommunikation kann sehr direkt werden. Am vergangenen Samstag trat Issa Tchiroma Bakary beim Fernsehsender Canal 2 auf. Die Moderatorin hatte in ihre Sendung auch Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung der englischsprachigen Provinzen Kameruns eingeladen. Der Minister für Kommunikation machte der Moderatorin folgendes klar:
    "Wenn Sie die Sezessionisten hier zu Wort kommen lassen, werden Sie bald nicht mehr da sein!" Die Moderatorin fragte daraufhin, ob das eine Drohung sei? Der Minister antwortet: "Nein, ich sage Ihnen nur, was sie zu tun haben. Wenn die Sezessionisten in ihrem Sender reden dürften, dann werde ich ihn schließen."
    Proteste mit Tränengas unterbunden
    Diese kleine Szene sagt viel aus über die angespannte Lage in Kamerun. In der englischsprachigen Region des Landes gab es vor gut einem Jahr die ersten Demonstrationen. Der Vorwurf: Die Region werde von der Zentralregierung schlechter behandelt als die französischsprachigen Landesteile. Diese Proteste wurden mit Tränengas und teilweise mit Schusswaffeneinsatz unterbunden. Die Regierung ließ Aktivisten einsperren und warf ihnen Terrorismus vor. Sie blockierte drei Monate lang die Internetverbindungen und brachte damit einen noch größeren Teil der Menschen im englischsprechenden Gebiet Kameruns in Wut.
    Forderungen wurden gestellt: Die Herrschenden in der Hauptstadt Yaoundé sollten einen Teil ihrer Macht an die Regionen abgeben. Und eine Minderheit begann schließlich, von Unabhängigkeit zu sprechen, von einer Abspaltung.
    Am vergangenen Sonntag eskalierte die Situation: Symbolisch wollten Demonstranten im englischsprachigen Teil Kameruns ihre Unabhängigkeit erklären. Sicherheitskräfte marschierten auf. Am Tag danach sprach Amnesty International von 17 erschossenen Menschen. Kommunikationsminister Issa Tchiroma Bakary sagte, es habe etwa zehn Tote gegeben. Die Bilanz des Einsatzes von Polizei und Soldaten sei positiv:
    "Wir sind davon überzeugt, dass wir es tatsächlich mit Terrorismus zu tun haben", sagte der Minister. Polizei und Soldaten hätten sich nur gegen deren Angriffe gewehrt.
    Ganz anders analysiert John Fru Ndi, der Oppositionsführer in Kamerun, die Lage. Er macht die Regierung für die Eskalation verantwortlich:
    "Wer ist gewalttätig? Der Polizist, der hierher kommt und auf unbewaffnete Demonstranten schießt. Das sind junge Männer und Frauen, ohne Waffen. Die haben Flugblätter in der Hand. Wer hat befohlen, auf sie zu schießen und sie zu töten?"
    "Es ist Zeit für entschiedenes Handeln der internationalen Gemeinschaft"
    Es ist eine Minderheit in der englischsprachigen Region, die nach Unabhängigkeit ruft. Aber das Gefühl der Benachteiligung – das teilen viele Menschen in diesem Landesteil.
    Antonio Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen fordert jetzt eine offizielle Untersuchung der Gewalt vom vergangenen Wochenende. Beide Seiten sollten sich jetzt um einen Dialog bemühen. Die Vereinten Nationen seien besorgt.
    Hans de Marie Heungoup, Kamerun-Experte der Denkfabrik International Crisis Group, sagt, Besorgnis allein werde wohl nicht ausreichen, um eine weitere Zuspitzung der Krise zu verhindern:
    "Es ist Zeit für entschiedenes Handeln der internationalen Gemeinschaft. Nur so kann eine unumkehrbare Verschlechterung der Lage verhindert werden. Wir beobachten, dass immer mehr Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung über Gewalt als Mittel des Protestes nachdenken."
    Konflikt ist schnell esakaliert
    Der Experte verweist darauf, wie schnell dieser zunächst harmlose Konflikt eskaliert sei:
    "Die Lage wurde schlimmer, seit die Regierung im vergangenen Oktober einfach bestritten hat, dass es Probleme in der Region gibt. Sie reagierte mit Repression und wies alle Beschwerden aus der englischsprachigen Region zurück. Als sie dann schließlich begann, einige der Forderungen ernst zu nehmen – da war es schon zu spät. Die Leute waren zunehmend radikalisiert."
    Kameruns Präsident Paul Biya regiert das westafrikanische Land seit 35 Jahren. Sein autoritärer Führungsstil stößt nicht nur in der englischsprachigen Region zunehmend auf Protest. Im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen in Kamerun an. Und es scheint, als wolle der greise Staatschef seinen eisernen Kurs bis dahin weiterführen.