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Sparkurs trifft die Armen

Seit vergangener Woche finden auch in Griechenland breite Bürgerproteste statt. In allen großen Städten kommen die Menschen zusammen, um gegen die Sparpolitik der Regierung zu demonstrieren. Der Graben zwischen Bürgern und Staat in Griechenland war lange nicht mehr so groß.

Von Alkyone Karamanolis | 30.05.2011
    Abends gehört der Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament den Bürgern. Viele kommen direkt nach der Arbeit und sie bleiben bis spät in die Nacht. Anders als in Spanien sind es aber nicht nur die Jungen, sondern Vertreter aller Altersgruppen, die sich vor dem Parlamentsgebäude versammeln, um die Politiker auf die Auswirkungen des Sparpakets aufmerksam zu machen:

    "Die Empörung treibt uns hierher. Wir haben keine Perspektive und keine Arbeit. Bei uns ist nur mein Mann regelmäßig beschäftigt. Ich bin arbeitslos, und mein Ältester jobbt trotz Universitätsdiplom als Bedienung. Halbtags. Wir leben also von 1500 Euro im Monat oder besser, wir versuchen, von dem Geld zu überleben. 1500 Euro für fünf Personen. Wo hat man so etwas schon gehört?"

    Es war die Diskussion über weitere Sparmaßnahmen, die für die Griechen das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Es werde am falschen Ende gespart, nämlich bei denen, die für die Schuldenkrise nicht verantwortlich seien, diese Klage hört man überall in Athen: im Supermarkt, im Bus – und nun vor dem Parlament. Auch diese Gymnasiallehrerin ist, obwohl überzeugte Pasok-Wählerin, über die Regierungspolitik empört.

    "Es kann doch nicht sein, dass Politiker und ihre Günstlinge die Staatskassen geplündert haben, dass die Reichsten im Land ihre Steuern nicht bezahlen, dass außerdem riesige Summen ins Ausland transferiert worden sind und dass die Politiker nichts tun! Diese Vermögen müssen konfisziert werden! Diese Menschen gehören ins Gefängnis! Ich bin bereit, Opfer zu bringen für mein Land, 1000 Mal bin ich bereit, Opfer zu bringen, aber in einem gesunden und gerechten Staat."

    Rund 280 Milliarden Euro soll das Vermögen griechischer Privatkunden auf Schweizer Bankkonten betragen. Sattes Geld, wenn man bedenkt, dass ein mittleres Netto-Einkommen in Griechenland bei 1200 Euro liegt. Die Menschen in Griechenland, die inzwischen sogar im Supermarkt genau schauen, was sie sich leisten können, registrieren solche Zahlen mit Wut, zumal sie kein Licht am Ende des Tunnels sehen:

    "Das schlimmste ist, dass sie uns um unsere Träume und Hoffnungen gebracht haben. Uns fehlt die Perspektive. Wir bringen Opfer, doch anstatt dass die Staatsverschuldung sinkt, steigt sie. Wir wollen eine Politik, bei der unsere Opfer nicht umsonst sind."

    "Ich habe meine Lebensfreude verloren. Meine zwei Kinder studieren, und ich kann ihnen kein Geld schicken. Ich bin verschuldet und unter Druck. Und ich sehe keinen Ausweg."

    In rhythmischen Chören fordern die Demonstranten die Regierung auf, zurückzutreten. Nurmehr 15 Prozent der Griechen unterstützten die Reformpolitik, deutlich weniger als noch vor einem Jahr.

    Die Wut der Bürger hat ihre Entsprechung auch im griechischen Parlament. Regierung und Opposition stehen sich unversöhnlich gegenüber. Kaum ein Oppositionspolitiker stützt die Sparpolitik, angesichts der tiefen Rezession gibt es selbst innerhalb der Regierungspartei offene Kritik. Nachdem ein Treffen der Fraktionsvorsitzenden ohne Einigung endete, rief vergangene Woche Präsident Karolos Papoulias an einen Runden Tisch. Aber auch dort konnte man sich auf keinen gemeinsamen Kurs verständigen. Indes strömen die Athener Bürger weiter Abend für Abend auf den Syntagma-Platz. Sie fühlen sich nicht nur finanziell unter Druck gesetzt, sondern auch in ihrem Stolz gekränkt:

    "Die Regierung versucht uns weis zu machen, wir seien alle gemeinsam Schuld an der Misere. Aber das ist eine Lüge. Es stimmt, dass manche zusammen mit den Politikern den großen Reibach gemacht haben. Aber das ist eine Minderheit."

    Als eine Fahrraddemo den Syntagmaplatz passiert, gibt es große Begeisterung. Die Menschen, die sich Abend für Abend in Athen vor dem Parlament versammeln, wollen ein neues Griechenland – einen modernen Staat, ohne Korruption und mit gleichen Chancen für alle – so wie es Premier George Papandreou in seinem Wahlkampf versprochen hatte. Doch, so beklagen sie, Papandreou habe sein Versprechen gebrochen.