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SPD-Innenexperte: Keine Mehrheit für Luftsicherheitsgesetz

Der SPD-Innenexperte Sebastian Edathy rechnet nicht mit einer Mehrheit im Bundestag für ein neues Luftsicherheitsgesetz. Er halte den Plan von Innenminister Wolfgang Schäuble, durch eine Grundgesetzänderung den Abschuss entführter Passagierflugzeuge zu ermöglichen, für hochgradig problematisch, sagte der SPD-Politiker. Nach Ansicht der Sozialdemokraten stelle die Verwendung eines Flugzeugs als Waffe keinen Verteidigungs-, sondern einen Katastrophenfall dar.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Gesetz sollte der Bundeswehr die Möglichkeit geben, ein vollbesetztes Passgierflugzeug abzuschießen, wenn es droht, etwa in ein Hochhaus gesteuert zu werden, so wie am 11. September 2001 geschehen. Doch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilte vor knapp einem Jahr, ein Abwägen von Menschenleben gegen Menschenleben verstoße gegen das Grundgesetz, auch wenn dadurch möglicherweise Schlimmeres verhindert werden könnte. Bundesinnenminister Schäuble nimmt jetzt einen neuen Anlauf und strebt nun eine Änderung des Grundgesetzes an. Mit ihr, so bestätigte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung, solle ein Terrorangriff mit dem Verteidigungsfall auf eine Stufe gestellt werden, denn im Krieg, da herrschen andere Grundsätze. Am Telefon ist jetzt Sebastian Edathy, SPD, Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestags. Guten Morgen!

    Sebastian Edathy: Morgen Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Edathy, gestern sagte Ihr Fraktionskollege Wiefelspütz, er könne sich nicht vorstellen, dass die SPD da zustimme. Hat Ihr Kollege da zuwenig Fantasie?

    Edathy: Ich glaube, der Kollege Wiefelspütz schätzt das vollkommen zutreffend ein. Ich halte den Vorschlag des deutschen Innenministers nicht für mehrheitsfähig. Er ist nicht sachdienlich und er ist im Gegenteil hochgradig problematisch. Karlsruhe hat letztes Jahr in einer nicht zu übertreffenden Deutlichkeit gesagt, dass ein Abschuss einer Maschine mit Unschuldigen an Bord gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstößt. Höher aufhängen kann man die Thematik nicht. Man mag das Urteil, das in Karlsruhe gefällt worden ist, nicht besonders gut finden, aber man kann es nicht durch die Hintertür umgehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Vorschlag des Innenministers auf eine verfassungswidrige Regelung hinauslaufen würde. Ich glaube nicht, dass wir damit in Karlsruhe durchkommen können.

    Heckmann: Muss man also sagen, dass der Innenminister am Grundgesetz dreht, um an dem Urteil aus Karlsruhe vorbeizukommen?

    Edathy: Es ist auch eine inhaltliche Differenz zwischen der SPD-Fraktion und dem, was Herr Schäuble will. Wir sind der Auffassung, dass ein Verwenden eines Flugobjektes zu einem Angriff nicht den Verteidigungsfall darstellt, sondern den Katastrophenfall. Der ist aber nicht dort geregelt, wo jetzt Herr Schäuble Änderungen vornehmen will, nämlich in Artikel 87 des Grundgesetzes, sondern in Artikel 35, und da sind wir bereit, im Lichte der Entscheidung von Karlsruhe auch eine Änderung vorzunehmen, die kann sich aber nur auf ein sehr enges Fenster beschränken, nämlich auf den Abschuss, da haben die Karlsruher Richter gesagt, das ist vertretbar, das kann man machen, wenn man das Grundgesetz entsprechend ändert, auf den Abschuss von unbemannten Maschinen oder von Maschinen, die nur mit Terroristen besetzt sind.

    Heckmann: Aber ist das nicht lebensfern, denn die Flugzeuge, die am 11. September als Waffe benutzt wurden, die waren vollbesetzt?

    Edathy: Ja, es ist völlig ausgeschlossen nach dem Urteil des letzten Jahres, dass, wenn auch nur eine unschuldige Person an Bord ist, die Maschine abgeschossen werden darf. Karlsruhe hat im Sinne der Menschenrechte eine sehr ungewöhnlich weit reichende Entscheidung gefällt im Februar 2006. Die gilt, und man sollte nicht den Eindruck erwecken seitens der Bundespolitik, man wolle den Schutz der Bürgerrechte, wie er ausdrücklich konstituiert worden ist, normiert worden ist durch das Karlsruher Urteil, aushebeln, indem man neben dem Verteidigungsfall gleichrangig sagt, die Verwendung eines Flugzeuges als Waffe ist gleichrangig. Das ist nicht der Fall. Der Verteidigungsfall ist grundsätzlich ein Szenario, bei dem es um die Existenz des Landes geht. Natürlich ist ein schweres Unglück hochproblematisch, aber da geht es nicht um den Bestand der Bundesrepublik Deutschland, wenn irgendwo eine Maschine einschlägt, und deshalb ist der Vorschlag von Herrn Schäuble eindeutig abzulehnen. Ich wundere mich auch, dass der Innenminister mit einem solchen Vorschlag in die Öffentlichkeit geht, ohne vorher mit dem Koalitionspartner geredet zu haben.

    Heckmann: Wie erklären Sie sich das?

    Edathy: Herr Schäuble ist, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr im Inland geht, jemand, der seit Jahren diese Position verfolgt. Es ist nun mal so in Deutschland, die Gesetze werden nicht von der Regierung gemacht, auch nicht vom Bundesinnenminister, auch wenn das ein guter Mann ist, sondern vom Parlament, und wo Herr Schäuble die Mehrheit für seine Vorschläge herbekommen will, das ist für mich nicht erkennbar.

    Heckmann: Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Justizministerin, spricht davon, dass Schäuble besessen davon sei, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen.

    Edathy: Er ist da mit einer gewissen Hartnäckigkeit an der Sache, die unserer Zusammenarbeit nicht sehr gut tut, weil er die Position der SPD sehr genau kennt. Wir sind bereit, auf der Grundlage dessen, was wir auch im Koalitionsvertrag miteinander beredet haben, zu handeln, aber das heißt eindeutig, Militarisierung der Innenpolitik, die Öffnung einer großen Tür für den Einsatz der Bundeswehr im Inland, die Aufhebung der Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen Polizei und Militär, das ist nicht die Position der SPD-Fraktion. Das weiß Herr Schäuble, und deswegen ist es nicht hilfreich, wenn er entsprechende Vorschläge, gleichwohl er weiß, dass wir dagegen sind, mit gewisser Regelmäßigkeit in die Öffentlichkeit trägt.

    Heckmann: Das Urteil aus Karlsruhe haben Sie schon mehrfach angesprochen, aber die Richter in Karlsruhe haben ja eben nicht auf der Grundlage des Verteidigungsfalles geurteilt, und es gibt namhafte Verfassungsrechtler, die sagen, dass die Tötung von Unschuldigen im Kriegsfall möglich ist, wenn dies eine notwendige Folge der Landesverteidigung ist.

    Edathy: Ja, aber ich will mal sehr deutlich sagen, die Entführung eines Flugzeuges und die mögliche Einsetzung eines Flugzeuges als Waffe stellt nach dem Dafürhalten meiner Fraktion nicht den Verteidigungsfall, sondern den Katastrophenfall dar, und für den Katastrophenfall gibt es bestimmte Regelungen. Da hat Karlsruhe gesagt, da kann man tätig werden in engen Grenzen, wenn Unschuldige nicht betroffen sind. Ich bin der festen Überzeugung, Artikel 1 ist der weitestreichende Artikel, den wir haben, an Artikel 1 komme ich auch nicht vorbei, wenn ich Artikel 87 etwas ändere, das wäre zumindest stark hinterfragbar, wir wollen das aber auch inhaltlich nicht. Der Verteidigungsfall ist etwas anderes als die Entführung eines Flugzeuges.

    Heckmann: Aber operiert die SPD da nicht mit einem veralteten Verteidigungsbegriff in Zeiten des internationalen Terrors?

    Edathy: Nein, das würde ich nicht so sehen, sondern ich glaube schon, dass man auch Respekt haben muss vor dem, was das Verfassungsgericht sagt. Das Verfassungsgericht sagt, der Schutz der Würde der Menschen, die an Bord sind, die unschuldig sind, der kann nicht relativiert werden durch ein Aufrechnen mit einer möglichen Vermeidung von Schäden am Boden, und das habe ich zu respektieren als Abgeordneter, dafür haben wir die Gewaltenteilung, und ich halte es nicht für gut, wenn man versucht oder den Eindruck erweckt, versuchen zu wollen, dass man einen vom Verfassungsgericht festgestellten ultimativen Geltungsbereich der Bürgerrechte dadurch einzuschränken oder in Frage zu stellen, indem man am Verteidigungsbegriff manipuliert. Ich halte das für manipulativ in der Tat, was da vorgeschlagen wird, und dafür wird man nicht die Hand reichen können.

    Heckmann: Ihr eben schon zitierter Kollege Wiefelspütz hat gestern Abend im ZDF gesagt, der 11. September 2001 sei ein Fall von Landesverteidigung gewesen, die Bundeswehr sei legitimiert gewesen, in einem solchen Fall in Deutschland einzugreifen. Das war ein einigermaßen überraschende Feststellung. Hat die SPD ihre Position in diesem Punkt korrigiert?

    Edathy: Man muss sich das Szenario natürlich dann konkret angucken. Also nehmen wir an, es werden 100 Flugzeuge gleichzeitig entführt, um das mal sehr zuzuspitzen, dann hätte man eine andere Situation. Aber ich bin der Auffassung, dass die Entführung von einem, zwei oder drei Flugzeugen nicht den Verteidigungsfall darstellen kann.

    Heckmann: Die amerikanische Regierung sieht die USA als Nation im Krieg und legitimiert damit auch Einschränkungen von Grundrechten. Sehen Sie die Gefahr in Deutschland, dass die Grenzen zwischen Krieg und Frieden verwischt werden wie in den USA?

    Edathy: Also wir haben aus unserer Tradition heraus und auf Grund der jahrzehntelangen Situation, dass der eiserne Vorhang vorhanden war, dass es eine konkrete Gefahr gegeben hat auch für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Grenzen, des Landes insgesamt, der Bevölkerung, wir haben eine andere Prägung des Begriffes Verteidigungsfall, und deswegen finde ich es eben auch völlig unverhältnismäßig, jetzt den Vorschlag zu machen, diesen Verteidigungsbegriff so zu relativieren und auszudehnen, dass er fast beliebig wird. Was ist denn das für eine Formulierung, wenn der Innenminister sagt, Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens. Das ist so interpretationsfähig, dass ich die Sorge habe, dass die Feststellung des Verteidigungsfalls oder eines solchen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens in das Belieben der Regierung bestellt. Das kann nicht sein, das haben die Menschen in diesem Land nicht verdient, und deswegen finden wir diesen Vorschlag auch nicht gut.