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SPD-Innenpolitiker kritisiert neues Terrorabwehrzentrum

An diesem Donnerstag eröffnet der Innenminister ein gemeinsames Abwehrzentrum von Bund und Ländern gegen alle Arten des Extremismus. Der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann hält dieses Konzept für falsch. Jede Form der Gewalt müsse mit eigenen Ansätzen bekämpft werden.

Michael Hartmann im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.11.2012
    Barenberg: Jetzt am Telefon der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Michael Hartmann!

    Michael Hartmann: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Hartmann, in dem Abwehrzentrum sollen Vertreter von bis zu 40 Behörden Informationen austauschen, gegenseitig Fahndungen koordinieren. Was ist dagegen einzuwenden?

    Hartmann: Na im Grundsatz ist gar nichts dagegen einzuwenden. Man fragt sich allerdings, wo war die Zusammenarbeit bisher, was ist bisher geschehen, warum war das notwendig geworden. Schauen Sie, der Minister redet zum Beispiel davon, dass nun auch im Kampf gegen Spionage dieses Zentrum enger und kooperativer sein soll, was es bisher nicht gab. Da frage ich mich: Ist Spionage eine Aufgabe für alle Sicherheitsbehörden? Wir haben den Verfassungsschutz, dessen Aufgabe ist die Spionagebekämpfung, nicht etwa die der Polizei. Und das Allerwichtigste: Herr Friedrich macht wieder einmal die Rechnung ohne den Wirt, denn ohne die Länder, die ja strikt sagen, wir wurden da überrollt, überrumpelt, da wird einfach etwas eingerichtet, ohne mit uns rückzukoppeln, wird gar nichts gehen.

    Barenberg: Nun sagen ja andere Innenminister aus anderen Ländern, dass von einem solchen Abwehrzentrum, einem gemeinsamen, schon ewig die Rede gewesen sei. Also da gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen offenbar, was den Vorlauf angeht. Aber ich verstehe Sie richtig: Zunächst einmal finden Sie das eine gute Idee, grundsätzlich ein solches Abwehrzentrum für verschiedene Formen des Terrorismus unter der Federführung von Bundesverfassungsschutz und Bundeskriminalamt zu begründen?

    Hartmann: Grundsätzlich ist mehr Kooperation immer gut. Das verweist ja auch darauf, dass es Defizite gab bisher. Es wurde nicht genügend kooperiert, man hat nicht genügend zusammengearbeitet. Ich stelle mir allerdings die Frage, ob das überall und in allen Bereichen A notwendig ist und B tatsächlich zutrifft. Wir haben jetzt das gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und wir haben das gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin angesiedelt. Diese beiden Zentren wurden gegründet, weil die Behörden einsahen, so wie bisher geht es nicht weiter, wir haben uns eher misstrauisch beäugt, anstatt zu kooperieren. Jetzt ist dieses gemeinsame Abwehrzentrum Rechts gerade mal eingerichtet worden, ist noch gar nicht richtig ans Laufen gekommen, übrigens nach meiner Ansicht falsch angesiedelt. Und nun sagt er, jetzt sind wir schon mal dabei, jetzt machen wir das noch gegen Spionage, machen das noch gegen Ausländerextremismus und so weiter und so fort. Er überschlägt sich, um Stärke zu zeigen, wo Kooperation notwendig wäre. Und ich halte es für äußerst unklug, ja sogar falsch und eine nicht besonders beeindruckende Kraftmeierei, ohne die Länder zu starten. Und im Moment ist er unterwegs ohne die Länder, die sich zurecht düpiert fühlen.

    Barenberg: Aber die Länder sind ja herzlich eingeladen, sich zu beteiligen. Der Bund wird ja nur zunächst mal in Vorlage gehen und seinerseits, was die Bundesbehörden angeht, für mehr Koordinierung sorgen. Also die Länder können sich doch einbringen in dieses Projekt?

    Hartmann: Na ja, fantastisch: eine herzliche Einladung an andere. Schön, wenn der Bundesinnenminister zunächst einmal sagt, wir legen los, sprich meine Bundesbehörden haben bisher nicht richtig kooperiert – das ist ja die Aussage, die dahinter steckt -, und nun sollen die Länder einfach mal Personal schicken, sollen die Strukturen mit aufbauen und sich entsprechend einbringen, ich lade dazu ein. Wie wäre es denn, wenn der Herr Friedrich erstens noch abgewartet hätte, bis die Strukturen richtig stehen, bis alles fest ist. Und zweitens dann vielleicht gemeinsam mit Länderinnenministern die Tür geöffnet hätte zu diesen neuen Abwehrzentren. Ich höre niemanden aufseiten der Länder, der sagt, wir brauchen keine weitergehende Zusammenarbeit. Ich sehe aber die Not in den Ländern, nachdem jetzt Abwehrzentrum gegen Islamismus, Abwehrzentrum gegen Rechts gestartet wurden, das personell auch zu beschicken in all den anderen Deliktbereichen. Und im Übrigen bin ich auch der Meinung, dass wir genau sehen müssen, dass nicht plötzlich noch ein Feuerchen angezündet wird. Will sagen: Unsere größte Aufgabe in Deutschland ist derzeit die Bekämpfung des Rechtsextremismus. Das ist eine Riesenherausforderung und da wurde nicht genügend getan in der Vergangenheit. Man muss jetzt nicht noch weitere Türen ins Haus setzen, bevor die anderen richtig so eingesetzt sind, dass durchgegangen werden kann.

    Barenberg: Das Argument des Bundesinnenministers ist ja, dass alle möglichen Formen von Extremismus und extremistischen Strömen übergreifend in den Blick genommen werden müssen. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen dieses Argument?

    Hartmann: In zwei Punkten widerspreche ich sehr deutlich. Zunächst einmal wiederhole ich: Wir haben die größte Bedrohung durch den Rechtsextremismus und wir haben eingeübte Strukturen im Kampf gegen den islamistischen Extremismus. Im zweiten Fall funktioniert's, im ersten Fall muss es erst noch zu funktionieren beginnen. Und nun sage ich: Bei der Spionage sehe ich nicht, warum zum Beispiel Polizeibehörden direkt und unmittelbar in einem Zentrum mit Personal, das anderswo gebraucht wird, zusammengeführt werden müssen, während dies so sehr Kernaufgabe gerade des Verfassungsschutzes ist. Und ich sage außerdem: Der Linksextremismus ist auch in einzelnen Erscheinungsformen hässlich und darum dort auch gewaltgeneigt. Aber wir sind in Deutschland weit davon entfernt, einen Linksterrorismus im Moment vor den Füßen zu haben – Gott sei Dank! Das ist auch der Wachsamkeit der Behörden zum Teil geschuldet. Also, ich will damit sagen: Es wird gerade da, wo es jetzt darum geht, gegen den Rechtsextremismus einen klaren analytischen Ansatz zu fahren, alles zusammengerührt: Linksextremismus, Ausländerextremismus, Spionage, Rechtsextremismus, alles in einen Topf, alles in einem Zentrum zusammen. Das ist der falsche Ansatz. Jede Form von Extremismus, jede Form von Gewalt muss mit eigenen Ansätzen bekämpft werden.

    Barenberg: ..., sagt Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Hartmann.

    Hartmann: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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