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SPD-Mitgliederentscheid
Prognosen sind schwierig - besonders für Journalisten

Nur wenige Journalisten hatten auf Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neue SPD-Vorsitzende gesetzt. Dabei hätten sie gar keine Prognosen abgeben müssen - die gehören ja sowieso nicht zu ihren Aufgaben, kommentiert Stefan Fries. Doch die nächsten Prognosen sind schon auf dem Markt.

Von Stefan Fries | 03.12.2019
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stehen vor dem SPD-Parteizeichen auf der Bühne, während das unterlegene Kandidaten-Duo (Olaf Scholz und Klara Geywitz) abtritt.
Das unterlegene Kandidaten-Duo der SPD tritt ab: Olaf Scholz und Klara Geywitz (dpa/ Kay Nietfeld)
Klara Geywitz und Olaf Scholz werden die neuen Vorsitzenden der SPD. So haben es viele Hauptstadtjournalisten in den vergangenen Monaten prophezeit. Auch Kollegen hier im Deutschlandfunk. Am Samstag waren dann vor allem die Hauptstadtjournalisten überrascht, dass das so gar nicht eingetreten ist. Die SPD-Mitglieder haben stattdessen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gewählt. Am Freitag soll der SPD-Parteitag die Personalie bestätigen. Was ist da los mit dem Hauptstadtjournalismus?Kommentar:
Es gibt nichts Schlimmeres als enttäuschte Journalisten. Wenn sie eine Sache vorhergesagt haben und die dann nicht so eintritt, reagieren sie wie Kinder. Sie suchen die Schuld bei anderen, schlagen um sich – und machen dann genauso weiter wie vorher. Beispiel SPD-Vorsitz: Viele Politikjournalisten sind wochenlang davon ausgegangen, dass eigentlich nur Klara Geywitz und Olaf Scholz eine echte Chance haben.
Dass sie danebenlagen, ist dabei eigentlich gar nicht so erstaunlich. Denn für eine solche Vorhersage braucht man erstens eine gute Datengrundlage – und zweitens die Fähigkeit, Daten korrekt zu interpretieren. Beides fehlt oft.
"Wir wissen nicht, wie es ausgeht."
Kurz erklärt am Fall SPD-Vorsitz. Abstimmen durften mehr als 425.000 Parteimitglieder, abgestimmt haben tatsächlich 230.000. Niemand kennt alle, und kein Journalist kann alle vorher befragen. Stattdessen berufen sich Journalisten auf Funktionäre in Partei und Fraktion in Berlin. Doch die sind keinesfalls repräsentativ, wie man gesehen hat. Psychologen nennen das die Verfügbarkeitsheuristik. Man beantwortet die eigentliche Frage durch eine andere, wenn die Antwort darauf leichter fällt.
Auch Umfragen wie die für das ZDF-Politbarometer noch am Freitag erweckten einen falschen Eindruck. Dort lagen zwar ebenfalls Geywitz und Scholz deutlich vorn, befragt wurden bei der Umfrage aber erklärte SPD-Anhänger – und wieder nicht die SPD-Mitglieder. Das ist vor allem dann ein Problem, wenn Journalisten solche Zahlen gar nicht oder falsch einordnen. Ehrlicherweise hätten sie sagen müssen: Wir wissen nicht, wie es ausgeht.
Das Problem ist, dass Journalisten überhaupt etwas vorhersagen wollen. Normalerweise legen sie bei ihren Recherchen großen Wert darauf, dass alle zusammengetragenen Fakten zutreffen, dass Aussagen von Politikern richtig wiedergegeben und Zusammenhänge treffend hergestellt werden. Doch all das funktioniert nicht, wenn es um die die Zukunft geht.
...besonders, wenn sie die Zukunft betreffen
Lernen Journalisten aus diesen Fällen von Selbstüberschätzung? Manchmal. Nach dem jüngsten SPD-Mitgliederentscheid nicht unbedingt. Statt demütig zu sein, sind manche gleich wieder übermütig – und machen einfach weiter mit ihren Vorhersagen. Diesmal ist es kein Wahlergebnis, sondern eine Apokalypse: dass die gewählten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als SPD-Chefs scheitern, dass die Partei zerstört wird und die Große Koalition endet.
Das ist nicht nur albern, sondern auch eine Beleidigung des Intellektes der Zuschauer, Hörerinnen und Leser. Journalisten sind keine Propheten. Selbst dann nicht, wenn sie ihre Prophezeiungen süffisant und vermeintlich selbstironisch mit dem Bonmot einleiten: "Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen."