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SPD-Mitgliederentscheid zur GroKo
66 Prozent sagen Ja

Rund fünf Monate nach der Bundestagswahl hat sich die Mehrheit der SPD-Mitglieder für eine Fortsetzung der Großen Koalition ausgesprochen. Rund 66 Prozent stimmten bei der Mitgliederbefragung für den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU. Die SPD-Minister der künftigen Regierung sollen bald vorgestellt werden.

04.03.2018
    Rednerpult nach dem Mitgliedervotum der SPD für eine erneute Koalition mit den Unionsparteien, dahinter ein Standbild von Willy Brandt
    Rednerpult nach dem Mitgliedervotum der SPD für eine erneute Koalition mit den Unionsparteien, dahinter ein Standbild von Willy Brandt (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Die Namen würden im Laufe der Woche bekanntgegeben, sagte der kommissarische Parteivorsitzende Scholz in Berlin. Drei der sechs Ressorts im neuen Kabinett würden mit Frauen besetzt.
    Rund 463.000 Mitglieder waren zur Stimmabgabe aufgerufen, beteiligt haben sich an dem Votum rund 378.000 Mitglieder. Das entspricht einer Beteiligung von rund 78 Prozent. Für eine Neuauflage der Großen Koalition stimmten 66,02 Prozent der Mitglieder. Auch 2013 ließ die SPD ihre Mitglieder über den Koalitionsvertrag mit der Union abstimmen. Die Beteiligung war damals ähnlich, die Zustimmung mit fast 78 Prozent aber deutlich höher.
    Parteispitze atmet auf, Kanzlerin gratuliert
    Die Entscheidung der SPD ist nun bindend. "Wir haben jetzt Klarheit", sagte Scholz. Die SPD werde in die Koalition eintreten. Die Entscheidung dafür sei aber nicht einfach gewesen. Der SPD-Politiker Oppermann erklärte, die 66 Prozent für den Koalitionsvertrag seien deutlicher, als er erwartet habe.
    Bundeskanzlerin Merkel gratulierte der SPD. "Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes", wird sie von ihrer Partei zitiert.
    Enttäuschung bei Kühnert
    Juso-Chef Kühnert will weiter für eine Erneuerung der Partei kämpfen. In der Debatte sei es nicht um Posten gegangen oder den Versuch, ihn oder andere aus der "NoGroKo"-Bewegung einzukaufen, sondern um eine echte Erneuerung der politischen Kultur und der SPD, sagte er. Die Jusos könnten die weitere Debatte durchaus bestimmen.
    Kevin Kühnert spricht und gestikuliert am Rednerpult.
    Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert war das Gesicht der GroKo-Gegner. (dpa/Kay Nietfeld)
    Auf Twitter zeigte er sich enttäuscht vom Ausgang des Votums. "Sind angetreten, um zu gewinnen. Daher erstmal: Enttäuschung. Kritik an #Groko bleibt".
    Parteiinterne Debatte
    Über die Neuauflage der Großen Koalition war in der SPD heftig gestritten worden. Vor allem die Jungsozialisten hatten sich dagegen ausgesprochen. Kühnert hatte erklärt, in der bisherigen Zusammenarbeit mit der Union seien die Gemeinsamkeiten aufgebraucht.
    Mit der Kampagne "Tritt ein, sag nein" hatten die Jusos versucht, möglichst viele Mitglieder zu werben, die gegen die Große Koalition stimmen sollten. Tatsächlich waren in den vergangenen Wochen rund 24.000 Menschen in die SPD eingetreten.
    "JA mit großen, großen Bauchschmerzen durchgerungen"
    Die Sprecherin der Parteilinken, Matheis, sagte im Deutschlandfunk ( Audio-Link ), von Enttäuschung über das Ergebnis des Mitgliedervotums dürfe man nicht reden. Es verbiete sich, die Entscheidung der Mitglieder zu bewerten. Matheis betonte, dass ein Drittel trotz des medialen und parteiinternen Drucks mit Nein gestimmt habe, sei ein wichtiges Signal für den Erneuerungsprozess der SPD gewesen.
    Nun wüssten auch die Befürworter: Ein Drittel habe sich hartnäckig und mit guten Argumenten gegen die Große Koalition ausgesprochen, und dieses Drittel dürfe man jetzt nicht abhängen. Sie selbst wolle bei ihrer konsequenten Haltung bleiben, gehe aber davon aus, dass Kanzlerin Merkel die erforderliche Mehrheit im Bundestag erhält, um weiterregieren zu können.
    Glückwünsche und Kritik
    Die Partei Die Linke kritisierte das Votum der SPD für eine Neuauflage der Großen Koalition. Fraktionschef Bartsch erklärte auf Twitter, Union und SPD ließen die brennenden sozialen Fragen im Land unbeantwortet.
    Die AfD sprach von einer Katastrophe für Deutschland. Spätestens 2021 komme die Quittung. FDP-Generalsekretärin Beer sagte, die Sozialdemokraten hätten mehr Angst vor Neuwahlen als vor einer weiteren Marginalisierung in einer neuen Regierung unter Merkel. FDP-Chef Lindner zollte den SPD-Mitgliedern hingegen Respekt für das Abstimmungsergebnis.
    Der frühere Grünen-Vorsitzende Özdemir beglückwünschte Union und Sozialdemokraten. Seine Partei sei bereit für eine konstruktive Opposition und zum Dialog.
    Die EU-Kommission begrüßte die Entscheidung der SPD-Basis. Wirtschaftskommissar Moscovici schrieb auf Twitter, Deutschland könne sich nun wieder stärker für Europa einsetzen.
    Frankreichs Präsident Macron sprach von einer guten Nachricht für Europa. Frankreich und Deutschland würden zusammenarbeiten, um schon von den kommenden Wochen an neue Initiativen vorzubereiten und das europäische Projekt voranzubringen, hieß es aus Élyséekreisen in Paris.
    Wirtschaftsverbände fordern zügige Regierungsbildung
    Vertreter der deutschen Wirtschaft verlangten eine rasche Regierungsbildung. Handwerkspräsident Wollseifer sagte, es sei von entscheidender Bedeutung, dass die Hängepartie der vergangenen Monate ein Ende finde.
    Der Außenhandelsverband BGA forderte, nun müssten die Dinge zügig angepackt werden, um als Wirtschaftsstandort international nicht an Boden zu verlieren. Mittelstandspräsident Ohoven meinte, die Ungewissheit über die nächste Regierung habe nicht nur der Wirtschaft geschadet, sondern auch der Demokratie.
    Kanzlerinnen-Wahl am 14. März
    Mit der Zustimmung zu einem Bündnis mit CDU und CSU kann sich Bundeskanzlerin Merkel nun vom Bundestag im Amt bestätigen lassen. Die Wahl soll am 14. März stattfinden. Es wird bereits die dritte Große Koalition für die seit 2005 regierende Merkel.
    Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer geht davon aus, das Merkel bei der Wahl eine deutliche Mehrheit erhalten wird. "Da wird es vielleicht die eine oder andere Gegenstimme geben, aber die Wahl ist nicht gefährdet", sagte Neugebauer im Deutschlandfunk.
    "Man hat Leuchttürme erwartet und sieht Teelichter"
    Die Parteiführung der SPD müsse nun aber auch mit einem echten Reformprogramm überzeugen, erklärte Neugebauer. Und mit einem klaren politischen Profil: im Koalitionsvertrag stehe wenig Konkretes und die Themen würden nur rhetorisch angeschnitten.
    Neugebauer wertet das Ergebnis in Hinsicht auf die Wahlbeteiligung mit 78 Prozent als positiv im Sinne der Parteiführung: Es liege über dem, was vorher prognostiziert worden sei, doch es zeige sich auch, dass die hohe Zahl der Gegenstimmen nicht nur aus den Reihen der Jusos stammten, sagte er im Interview der Woche im Dlf.
    Wie einen Igel anfassen - "also vorsichtig"
    Die Parteiführung solle mit dem Ergebnis umgehen, "als ob sie einen Igel anfasst - also vorsichtig". Die SPD habe bisher in der GroKo versäumt, ein alternatives Politikangebot zu machen - das müsste sie nun nachholen. Die Vertreter der No-GroKo-Bewegung von Kevin Kühnert wirke dabei als Kontrollinstanz. Sie wollten eine zukunftsfähige Partei, der die Wähler vertrauten und die perspektivisch selbst wieder die Führung übernehmen könne.
    Er begründete dies damit, dass die Stimmen für eine Fortsetzung der Großen Koalition im Wesentlichen aus dem Bereich der Funktionsträger und Abgeordneten gekommens seien. Dieses Lager habe in der Fortsetzung der Regierung den besten Weg gesehen.
    (fwa/rm/tep)