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"SPD muss nachweisen, dass sie regierungsfähig ist"

Die Parteivorsitzende der Grünen, Claudia Roth, fordert die hessische SPD auf, sich eindeutig zu positionieren und hinter eine rot-grüne Minderheitenregierung zu stellen. "Es ist jetzt die Arbeit der SPD, zu zeigen, sie sind in der Lage, eine Regierung zu bilden." Auch von der Partei Die Linken fordert Roth die notwendige Unterstützung in Hessen ein. Eine rot-rot-grüne Regierungsmehrheit nach den Bundestagswahlen 2009 hält die Grünen-Politikerin dagegen für "sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich".

Claudia Roth im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Frau Roth, lange haben wir auf die chinesischen Sommerspiele in Peking gewartet, jetzt ist es vorbei mit den Sommerspielen. Welche Bilanz ziehen Sie mit Blick auf die Rolle, die die chinesischen Gastgeber gespielt haben?

    Claudia Roth: Die chinesischen Gastgeber haben großartige Olympische Spiele organisiert. Die Erwartung, dass mit den Olympischen Spielen aber eine Verbesserung der Menschenrechtslage eintreten könnte, die hat sich aus meiner Sicht nicht erfüllt.

    Die Tibet-Frage ist keineswegs geklärt, die Situation der Uiguren ist dramatisch. Sie werden unterdrückt, es gibt drakonische Strafen. Die Pressefreiheit war massiv eingeschränkt, der Internetzugang - auch für die internationale Presse - war zensiert. Es waren große, schöne Olympische Sportspiele - aber eine Fassade, was die Verdeckung von Unterdrückung, von demokratischen Rechten angeht.

    Engels: Das Olympische Komitee hatte sich ja versprochen, dass es eine Verbesserung gibt in Sachen Menschenrechte, in Sachen Pressefreiheit. War es also - wenn Sie sagen, da gibt es nach wie vor diese schweren Mängel - ein Fehler, die Olympischen Sommerspiele nach Peking zu geben?

    Roth: Ich glaube, das Olympische Komitee muss sich die Frage gefallen lassen, was es alles mitgemacht hat. Schauen Sie, wenige Tage vor Eröffnung ging es ja noch einmal darum, dass zumindest die internationale Presse einen unzensierten Zugang zum Internet hat. Ich glaube, das Internationale Olympische Komitee hat sehr viel an Glaubwürdigkeit eingebüßt und es hätte sehr viel mehr auch konsequent fordernd auftreten können und auftreten müssen - übrigens nicht nur ein paar Tage vor Beginn der Spiele, sondern in den Jahren seit der Entscheidung.

    Und ich frage mich, wie wird es jetzt passieren, wenn in Sotschi Winterspiele sein werden. Es gibt auch in Russland systematische Menschenrechtsverletzungen, es gibt auch in Russland Unterdrückung von Minderheiten. Ich hätte mir sehr gewünscht und würde mir wünschen, dass es in China zu einer demokratischen Öffnung kommt, dass es zu einer Öffnung kommt, die dann gar nicht mehr rückgängig zu machen ist, die nicht mehr aufhaltbar ist. Aber da hat auch das Olympische Komitee wohl eher auf die finanziellen Einkünfte geguckt als auf das, was an Mehrwert an Demokratie zu erreichen gewesen wäre.

    Engels: Sie sprechen Sotschi an, Sie sprechen Russland an. Nun haben wir gerade im Zuge der Olympischen Spiele auch die Georgien-Krise erlebt. Wäre es ein mögliches Mittel, den Westen oder auch die Staatengemeinschaft dazu aufzufordern, die Winterspiele, die in Russland geplant sind, in Sotschi nicht stattfinden zu lassen?

    Roth: Ich bin immer sehr, sehr vorsichtig, was Boykottüberlegungen angeht und Boykottdrohungen angeht, weil - sie machen ja nur einen Sinn, wenn sie tatsächlich breit unterstützt werden. Boykott der Olympischen Spiele in China wäre erstens gar nicht durchgesetzt worden und zweitens hätte es wahrscheinlich wenig gebracht.

    Aber das Versprechen - die Zusage vor acht Jahren - bei der Vergabe der Spiele an Peking, dass damit der Prozess der Demokratisierung unterstützt werden soll, der ist vom IOC nicht eingehalten worden. Und ich finde schon, man darf nicht zulassen, dass diese Nichteinhaltung dieses Versprechens einfach so weitergeht, weil dann tatsächlich versucht wird, den Eindruck zu erwecken, dass Sport und Politik überhaupt nichts miteinander zu tun hat. Und das stimmt natürlich nicht, denn für China sind diese sportlichen Ereignisse ja auch ein Mittel zum Zweck - zu zeigen, wie stark China geworden ist, wie groß China geworden ist.

    Und wenn man dabei vergisst, wie stark die Unterdrückung ist, dann macht man sich schuldig an den vielen Oppositionellen, die ein anderes China wollen. Und genau so gilt es natürlich für Russland. Das braucht jetzt eine Kritik am Internationalen Olympischen Komitee, dass von Anfang an klar gemacht wird, es darf von Russland nicht Zensur geben, Unterdrückung von Oppositionellen und Minderheiten, die es ja auch in Russland gibt.

    Engels: Kommen wir weg von Olympischen Spielen, aber bleiben wir bei Russland. Wir sehen die Kaukasuskrise. Hat sich der Westen möglicherweise getäuscht in den letzten Jahren gegenüber Russland? Es gab ja immer die Theorie, man muss auf Russland zugehen - der ehemalige Bundeskanzler Schröder sagt das bis heute -, man muss Russland in die internationalen Institutionen einbinden, dann wird sich auch etwas entwickeln. Hat sich der Westen da getäuscht?

    Roth: Also ich glaube, dass die ganze Krise im Kaukasus sehr schwer einzuschätzen ist und dass es erst einmal eine wirklich unabhängige Untersuchung braucht: Was ist da eigentlich passiert, dass im Rahmen der OSZE eine unabhängige Überprüfung all der Vorwürfe, der unterschiedlichen Meldungen gemacht werden muss, um ein klareres Bild zu bekommen.

    Was ich allerdings wirklich falsch finde: Die Annahme, dass ein Demokratisierungsprozess ein Automatismus ist - je mehr es wirtschaftliche und politische Kooperationen gibt. Das war die These vom ehemaligen Bundeskanzler Schröder, der sowohl was China als auch was Russland angeht, immer gesagt hat: Mehr wirtschaftliche Kooperation, mehr außenpolitische Zusammenarbeit bringt auch einen automatischen Demokratisierungsprozess mit sich.

    Ich glaube, das ist gehörig falsch, was Russland angeht. Es gibt eine systematische Entdemokratisierung in Russland, und das muss deutlich ausgesprochen werden. Es kann nicht sein, dass Russland Großmacht-Politikstreben vorantreibt und der Westen schaut einfach zu.

    Engels: Hat die Bundesregierung in der Georgien-Frage richtig reagiert?

    Roth: Ich glaube, es wäre erst mal gut, wenn die Bundesregierung eine klare gemeinsame Außenpolitik fahren würde. Ich glaube, dass Angela Merkel gut daran getan hat, sowohl nach Russland zu fahren als auch nach Georgien zu fahren und ihre Position zu äußern. Ich würde mir von unserem Außenminister klare, deutliche Worte wünschen, die auf einen Dialog mit Russland bestehen, die aber sagen, es muss ein kritischer Dialog sein.

    Engels: Frau Roth, ein harter Schnitt: Schalten wir von der Außenpolitik in die Innenpolitik. Da war ja der politische Sommer im Inland doch sehr stark geprägt in der Diskussion um politische Farbenlehre, und da ist das Stichwort "Hessen" das, was die Grünen zurzeit sehr bewegt. Der dortige Fraktionschef der Grünen, Tarek Al-Wazir, hat es plastisch ausgedrückt: Bevor er sich auf den Plan der hessischen SPD einlasse, in Wiesbaden eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Unterstützung der Linken anzustreben und sich in schwere See zu begeben, wolle er wissen, ob er mit dieser SPD auf ein hochseetaugliches Schiff oder ein knallrotes Gummiboot steige. Was glauben Sie, was für ein Gefährt ist die hessische SPD?

    Roth: Also, erstmal haben wir einen superguten Fraktionsvorsitzenden und Parteivorsitzenden Tarek Al-Wazir. Und ich glaube, in diesem Hessen im Sommer 2008 ist Tarek Al-Wazir und sind Bündnis90/Die Grünen die Stimme und Kraft der Vernunft. Man sollte ja nicht vergessen, was in Hessen passiert ist: Da ist Herr Koch abgewählt worden. Herr Koch hat die Wahl verloren mit zwölf Prozent Verlusten, Herr Koch hat die Quittung bekommen für eine unsägliche populistische Kampagne zum Thema Jugendkriminalität, und er hat die Wahl verloren.

    Dann sind allerdings viele Fehler gemacht worden, bemerkenswerte Fehler von Seiten der SPD. Und jetzt ist es richtig von unseren Leuten, von Bündnis 90/Den Grünen, zu sagen: Die SPD muss klar nachweisen, dass sie regierungsfähig ist, sie muss klar und deutlich beweisen, dass sie ihren "Laden" - in Anführungszeichen - tatsächlich zusammenhält.

    Engels: Und damit Probeabstimmungen, die ja Herr Wazir gefordert hat, bevor man überhaupt in den Landtag geht und versucht, diese Wahl durchzuziehen. Aber das garantiert doch keine stabile Regierung.

    Roth: Also ich finde richtig, dass die Grünen sagen: Wir wollen einen Politikwechsel in Hessen, denn das ist das, was auch die Wählerinnen und Wähler wollen, aber natürlich kein Himmelfahrtskommando. Und deswegen muss die SPD nach diesem Rauf und Runter und nach den wirklichen Fehlern, die passiert sind, sagen: Ja, es steht die gesamte SPD - die Landtagsfraktion - hinter einer Minderheitenregierung Rot-Grün.

    Dann muss aber auch die hessische Linkspartei zeigen und glaubwürdig versichern, und das ist die Voraussetzung für eine Minderheitenregierung, dass sie tatsächlich politikfähig ist und dass sie sich an Zusagen halten kann - beispielsweise dass sie einen Haushalt mit abstimmt. Ich finde es richtig, dass die Grünen sagen: Es ist jetzt die Arbeit der SPD, zu zeigen, sie sind in der Lage, eine Regierung zu bilden - von Seiten der SPD -, dass die Linkspartei Ende August auf ihrem Parteitag in Hessen zeigt, ob sie tatsächlich in der Lage ist und willens ist, eine Minderheitenregierung zu unterstützen - nicht in der Regierung selber zu sein, aber diese Regierung zu unterstützen. Und dann ist es richtig, zu versuchen, diese Regierung zu bilden - natürlich auch auf inhaltlichen Anliegen, die in Hessen eine andere Politik formulieren.

    Engels: "Himmelfahrtskommando" ist aber das Stichwort. Nehmen wir an, es klappt nicht.

    Roth: Dann klappt es nicht. Wenn es nicht klappt, und das ist eindeutig die Position unserer hessischen Grünen, sie lassen sich nicht auf ein Himmelfahrtskommando ein, aber sie nehmen auch ernst, was die hessischen Wählerinnen und Wähler wollten, dass nämlich nicht eine Regierung Koch weitermacht, die hetzerische Politik betrieben hat, die eine zukunftsvernichtende Politik betrieben hat und der man jetzt nicht abnehmen kann, dass alles das, was sie beim Wahlkampf noch verurteilt hat, heute plötzlich richtig sein soll.

    Engels: Drehen wir's herum, nehmen wir an, es klappt: Gruselt es Sie da nicht doch ein wenig, dass dann die Grünen Teil dessen sind, die die Linken mit Oskar Lafontaine an der Spitze auch im Westen des Landes wieder hoffähig machen?

    Roth: Eine rot-grüne Regierung in Hessen macht die Linke nicht hoffähig, sondern macht in Hessen erstmal eine Politik und eine Regierung möglich, denn wir sind ja in einem absoluten, fast nicht nachvollziehbaren Zustand. Wir haben eine Regierung Koch, der sitzt auf dem Stuhl, obwohl er zwölf Prozent verloren hat. Und jetzt geht es darum, eine arbeitsfähige Regierung zu bilden.

    Dafür braucht es Bedingungen, die muss die SPD schaffen. Die Linkspartei darf nicht hin und her und darf nicht glauben, sie könnte Bedingungen diktieren, sie könnte sogar in Personalfragen sich einmischen wollen. Das geht überhaupt nicht. Die Linkspartei in Hessen - es geht um Hessen - muss sagen, ob sie in der Lage ist, eine rot-grüne Minderheitenregierung mit zu unterstützen. Und wenn sie das nicht ist, dann wird es diese Regierung nicht geben können.

    Engels: Sie stecken mitten im bayerischen Landtagswahlkampf. Wie soll denn das funktionieren? Sie haben eigentlich dasselbe Problem wie die SPD. In Hessen will man mit der Linken in irgendeiner Form kooperieren, in Bayern will man sich abgrenzen. Das geht doch zu Lasten der Glaubwürdigkeit?

    Roth: Also Moment: Es geht in Hessen nicht um eine rot-rot-grüne Regierung . .

    Engels: Aber Sie brauchen die Hilfe der Linken.

    Roth: Definitiv nicht, es geht um eine rot-grüne Minderheitenregierung, und da müssen Bedingungen formuliert werden, dass diese Regierung auch arbeitsfähig ist. Das ist wirklich etwas ganz anderes, und das ist in Hessen. In Bayern geht es darum, dass wir zweistellig werden, das ist ein sehr hohes Ziel, wir haben aber großen Rückenwind - das ist das erste Ziel. Und das zweite Ziel ist, dass wir die Alleinherrschaft der CSU endlich brechen, dass die CSU die 50-Prozent-Hürde nicht schafft - eine Partei, die seit Jahrzehnten in Bayern an der Macht ist und die vorne und hinten abgewirtschaftet hat, und deren Politikstil, deren populistisch demagogischer Politikstil, wie ihn Herr Huber jeden Tag wieder beweist, diese bayerische Politik mehr und mehr ins politische Nirwana führt.

    Engels: Bleiben wir noch bei Rot-Rot-Grün. Schließen Sie diese Koalitionsmöglichkeit nach den Bundestagswahlen 2009 definitiv aus?

    Roth: Wenn ich mir anschaue, wofür Oskar Lafontaine in der Außenpolitik steht, seine Position beispielsweise zur europäischen Integration, das Nein zum EU-Vertrag, wenn ich mir anschaue die Position zu Auslandseinsätzen, zur Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland, dann sind so große Unterschiede zur Grünen Partei. Wenn ich mir anschaue, wofür die Linkspartei steht in einer modernen Politik der Gerechtigkeit, dann reicht es eben nicht aus, das Blaue vom Himmel zu versprechen, sondern dann müssen wir neu Gerechtigkeit definieren; soziale Gerechtigkeit heute und nicht eine Retro-Politik formulieren. Also, ich halte das für sehr, sehr, sehr unwahrscheinlich.

    Engels: Aber Sie schließen es nicht aus?

    Roth: Schauen Sie, ich finde es ehrlich gesagt ziemlich müßig, ein Jahr vor der Bundestagswahl diese Farbspielchen zu spielen. Ich könnte genau so, wenn Sie mich fragen, was halten Sie denn von Jamaika oder was halten Sie von Schwarz-Grün, dann kann ich natürlich dazu sagen, dass die CDU/CSU sich mit Riesenschritten von uns entfernt mit ihrem Credo, ihrer Kampagne für die Atomkraft, mit der Diskussion, die Staatsbürgerschaft wieder zurück drehen zu wollen, mit einer Politik, die Mindestlohnregelungen versucht zu verhindern und soziale Gerechtigkeit höchstens am Sonntag auf die Tagesordnung setzt bei Sonntagsreden, also das ist sehr, sehr weit weg.

    Wir haben immer gesagt, wir wollen mit demokratischen Parteien verhandeln, aber die Inhalte sind die Voraussetzung für eine Zusammenarbeit. Und ich sehe in der Tat, dass es mit der CDU/CSU auf Bundesebene unendlich weit entfernt ist, aber mit einem Oskar Lafontaine, der sich in seinem Polit-Populismus von Herrn Huber nicht unterscheidet, genauso.

    Engels: Frau Roth, Sie sagen, die Union bewegt sich mit Riesenschritten von den Grünen weg zurzeit und Sie sagen, Schwarz-Grün im Bund - kaum eine Chance. Wie steht es denn dann auf Landesebene? Wenn es mit Riesenschritten auseinander geht, dann müsste doch eigentlich auch bald das schwarz-grüne Bündnis in Hamburg vor dem Scheitern stehen?

    Roth: Nein. Es ist ein großer Unterschied, das, was auf Länderebene passiert und wie sich eine Union auf Bundesebene aufstellt. Also, man kann Hamburg, die Hamburger CDU nun wirklich nicht gleichsetzen mit der bayerischen CSU: Da sind auch Lichtjahre dazwischen. Und auf Bundesebene ist es nun mal die Union. Da kommt zur CDU immer noch die CSU dazu. Und dass das in Hamburg erreicht worden ist in einem Koalitionsvertrag, der mit sehr großer Ernsthaftigkeit ausgearbeitet worden ist, da hoffe ich sehr, dass das erfolgreich wird. Aber man kann Hamburg nicht als Modell für den Bund nehmen und man kann Hamburg auch nicht einfach auf andere Bundesländer übertragen wollen.

    Engels: Aber ob nun - bleiben wir kurz bei Hamburg - das umstrittene Kohlekraftwerk Moorburg, das die Grünen ja ablehnen, nun tatsächlich gebaut wird oder nicht, das ist immer noch nicht raus.

    Roth: Nein. Selbstverständlich werden die Verantwortlichen nach Recht und Gesetz entscheiden. Aber es ist ganz klar, dass von grüner Seite aus dieses Kohlekraftwerk abgelehnt wird.

    Engels: Bricht dann die Koalition?

    Roth: Die Koalition hat jetzt gerade angefangen. Sie macht 100 Tage gute Arbeit. Es ist alles sehr klar festgelegt. Ich hoffe, es geht gut weiter. Und ich hoffe sehr, dass erreicht wird, dass dieser Klimakiller - und nichts anderes ist Moorburg - nach Recht und Gesetz zu verhindern ist.

    Engels: Schauen wir noch auf die grüne Gemengelage. Im Herbst auf dem Grünen-Parteitag in Erfurt wird ja ihr bisheriger Co-Parteivorsitzender Reinhard Bütikofer nicht mehr zur Wahl antreten. Um den freien Posten wird es eine Kandidatur von zwei Männern geben wie es aussieht: Cem Özdemir, Europaparlamentarier, und der Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus Volker Ratzmann. Wer ist Ihnen lieber?

    Roth: Also, wenn ich es beantworten könnte, würde ich es Ihnen natürlich nicht sagen. Aber ich kenne beide, Volker Ratzmann und Cem Özdemir, seit vielen Jahren. Ich schätze sie beide. Es sind sehr wichtige, sehr gute, sehr kluge, sehr grüne Kandidaten.

    Engels: Der Kandidat Cem Özdemir hat in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" etwas über Sie gesagt. Zitat: Sie würden helfen, gelegentlich schwierige Positionen in der Partei mehrheitsfähig zu machen, Frau Roth. Manche würden Ihnen allerdings auch unterstellen, dass es schwierig sei, mit Ihnen zusammen zu arbeiten. Herr Özdemir sagt, er selber sehe das nicht so, aber das klingt jetzt nicht nach völliger Begeisterung.

    Roth: Ach, ich kenne Cem so lange und ich finde, dass das ziemlich begeistert klingt, denn natürlich geht es im Bundesvorstand darum, zu integrieren. Der Bundesvorstand ist nicht ein Gremium, wo Flügel, die es in unserer Partei ja gibt, was übrigens für eine grüne Partei auch wichtig ist, dass wir auch streitbar bleiben, jetzt nicht streitbar gegeneinander, sondern streitbar in der Frage, was ist denn bitte schön der richtige Weg zum gemeinsamen Ziel?

    Und da geht es im Bundesvorstand darum, dass die Mitglieder dieses Gremiums deutlich machen, dass sie auf einander zugehen können, dass sie zusammenbinden können, dass sie Kompromisse finden können, dass sie schwierige Entscheidungen in der Partei mehrheitsfähig machen können. Und vielleicht meint er das damit, wenn er sagt, es ist nicht immer leicht. Aber mir sind eher Situationen, wo man zu ganz, ganz schwierigen Fragen auch ernsthafte und intensive Debatten führt lieber als ein schnelles Ja oder ein einfaches Nein.

    Engels: Was kann Volker Ratzmann denn besser als Cem Özdemir?

    Roth: Das sollten Sie die beiden Herren im direkten Vergleich fragen. Cem Özdemir hat einen sehr beeindruckenden Hintergrund. Seine ganze Biografie ist natürlich unglaublich spannend, ist auch Ausdruck der Realität der Einwanderungsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, in der immerhin 20 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte leben. Er hat große Erfahrungen sowohl bundespolitisch als auch europapolitisch und er ist ein Mensch, der Herzen gewinnen kann und der sehr auf Menschen zugehen kann.

    Volker Ratzmann hat gleichermaßen eine sehr spannende Biografie. Er hat als Fraktionsvorsitzender in Berlin die direkteste Erfahrung mit einer durchaus doppelbödigen Politik der Linkspartei, die große Forderungen draußen stellt, aber im eigenen Regierungshandeln dann plötzlich ganz andere Politik betreibt. Also, wie kaum ein anderer, weiß er auch, wie man mit diesen politischen Gegnern umgehen kann.

    Engels: Sie selbst werden dann im Herbst zum vierten Mal antreten, sich bewerben für das Amt. Wie lange wollen Sie es noch ausüben?

    Roth: Ich möchte dieses Amt noch einmal antreten, wenn ich die Unterstützung bekomme in unserer Partei, weil ich glaube, dass es in einem Jahr, wo wir zehn Wahlkämpfe zu bestreiten haben, ganz gut ist, wenn auch im Bundesvorstand Erfahrung mit am Tisch sitzt. Und solange die Partei mich als Person unterstützt und ich das Gefühl habe, ich kann auch zum Mehrwert der Partei und zum Ansehen der Partei draußen in den Auseinandersetzungen etwas beitragen, solange möchte ich das gerne weiter machen.

    Engels: Die Partei ist das eine. Nun sagen Beobachter von außen, die Grünen haben in den letzten Jahren der Opposition etwas von ihrer Regierungsfähigkeit verloren. Der Streit um das Afghanistan-Mandat war das eine, das teuer beschlossene Sozialpaket ist das andere. Dass auch Herr Özdemir und Sie - als Beispiel genommen, wenn das das künftige Paar wird - nicht in allen Themen einer Meinung sind, ist auch offen. Wie wollen Sie da Geschlossenheit demonstrieren bis 2009?

    Roth: Noch mal, ich war, wenn man es theoretisch sich anschaut, auch nicht immer einer Meinung mit Fritz Kuhn oder mit Reinhard Bütikofer. Aber das macht ja die Kraft aus, dass wir die Positionen, die es in der Partei gibt, versuchen zusammen zu binden, gemeinsame Beschlüsse zu bekommen, hinter denen sich dann die Partei insgesamt wiederfindet. Das ist die große Aufgabe. Also, die Streitbarkeit ist ganz enorm wichtig und es wäre keine Grüne Partei mehr, sondern wir würden sehr schnell sehr grau werden, wenn wir auch nicht über schwierige Herausforderungen uns streitbar auseinandersetzen würden.

    Es ist eine ganz schwierige Frage, wann sind Auslandseinsätze der Bundeswehr zu rechtfertigen? Kann ein Auslandseinsatz der Bundeswehr wie in Afghanistan tatsächlich mit dazu beitragen, dass Afghanistan eine politische, eine friedliche Perspektive bekommt? Was ist der richtige Weg im Sinne der Menschen in Afghanistan und einer ganzen sehr unfriedlichen Region? Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl, wenn andere Parteien sofort sagen 'selbstverständlich schicken wir deutsche Soldaten hin, überall auf der Welt', oder wenn eine andere Partei sagt 'selbstverständlich müssen alle deutschen Soldaten und Soldatinnen wieder zurückgezogen werden'.

    Ich bin froh, dass wir in unserer Partei solche Fragen uns nicht leicht machen. Und da sind wir diejenigen, die ganz oft gesellschaftliche Debatten fast stellvertretend führen, wo sich andere Parteien wegducken oder sich reduzieren auf das Denken in den Grenzen von Legislaturperioden.

    Engels: Frau Roth, Sie sagen, Sie führen gesellschaftspolitische Debatten in Ihrer Partei. Aber es geht ja auch immer um die Regierungsfähigkeit. Wie sehen Sie denn die Perspektive 2009? Sie haben gesagt, Jamaika ist unwahrscheinlich, Rot-Rot-Grün wollen Sie eigentlich auch nicht, Schwarz-Grün steht auch nicht richtig gut da, für Rot-Grün fehlen derzeit nach Umfragewerten weiterhin die Mehrheiten. Klappt es überhaupt mit irgendeiner bundesgrünen Regierung?

    Roth: Also, erstens glaube ich, dass die Grünen natürlich regierungsfähig sind, weil sie Zukunft beschreiben, weil sie nicht in Schützengräben liegen mit ihrer Politik, weil wir in der Ökologie, was Klimawandel angeht, Energiepolitik, Naturschutz, weil wir die glaubwürdigste Politik betreiben und weil wir das Original sind und gerade diese Bundesregierung, auch gerade die Bundeskanzlerin Merkel ja deutlich erkennen lässt, dass es nicht ausreicht, sich als Klima-Queen feiern zu lassen, grüne Fähnchen zu hissen, aber eine ganz andere Politik - Automobil-Lobbyismus-, Atom-Lobbyismus-, Kohle-Lobbyismus-Politik - zu betreiben.

    Ich glaube, es ist regierungsfähig, wenn wir sagen, man muss die Realität unserer Einwanderungsgesellschaft endlich anerkennen und die demokratisch gestalten, anstatt mit der deutschen Leitkultur, mit Einbürgerungstests immer konkurrenzunfähiger zu werden in einer globalen Welt, wo es Konkurrenz gibt um einwandernde Menschen, um Zuwanderung. Es ist ganz eindeutig nicht einfach, wenn man sich die anderen Parteien anschaut, wenn man sich das Fünf-Parteien-System anschaut, es ist eindeutig nicht einfach, aber uns geht es jetzt darum, als Grüne besonders stark zu werden, denn die Grünen sind die Voraussetzung dafür, dass eine mögliche neoliberale Politik unter Schwarz-Gelb verhindert wird, die in den vergangenen Wahlen immer die Mehrheit nicht erreicht hat.