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SPD-Wahlprogramm
Das Versprechen von der "kostenlosen Kita"

Kostenfreie Kita-Plätze ab 2025: Mit diesem Wahlversprechen wirbt aktuell die SPD um Wählerstimmen bei der Bundestagswahl. Kritiker befürchten, dass bei einer Abschaffung der Kita-Gebühren vor allem die Qualität der frühkindlichen Bildung leiden könnte.

Von Benjamin Dierks | 08.06.2017
    Ein Erzieher malt am 07.07.2016 mit zwei Kindern in der Kindertagesstätte «Coworking Toddler» in Berlin ein Bild. Es begann mit einer Kampagne im Internet, jetzt startet das Projekt «Coworking Toddler» durch. Das Konzept will Eltern dabei helfen, Job und Familie besser zu vereinbaren.
    Bisher gibt es für Kitas keine bundesweiten Qualitätsstandards. (picture alliance / dpa / Sophia Kembowski)
    "Hallo, was macht ihr denn, ihr knetet? Also die sind jetzt hier alle zwei Jahre alt. Wir arbeiten mit altersgleichen Gruppen."
    Carola Gliesche geht neben einem kleinen runden Holztisch in die Hocke und sieht ihren zweijährigen Kita-Kindern beim Kneten zu. Die meisten sprechen noch nicht genug, um die Fragen der Kita-Leiterin zu beantworten. Aber einige können ihr zumindest sagen, welche Figuren sie gerade kneten.
    "Was knetet ihr denn?"
    "Eine Schnecke."
    Wer sein Kind in diesem Alter hier in Berlin in die Kita schickt, musste bisher einen Elternbeitrag zahlen, der sich am Einkommen bemisst. Aber diese Gebühr wird nun schrittweise abgeschafft. Ab August muss nur noch für Krippenkinder gezahlt werden, die jünger als ein Jahr sind. Im kommenden Jahr wird die Kita für alle Berliner Kinder kostenlos.
    Was die SPD in Berlin durchgesetzt hat, will sie auch bundesweit erreichen: Ab 2025 soll es für alle Kinder in Deutschland eine kostenlose Ganztagsbetreuung geben. Wie realistisch und sinnvoll dieses Wahlversprechen ist, darüber scheiden sich die Geister. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund wies den Plan umgehend zurück. Kitagebühren sind bislang Sache der Kommunen.
    Kritiker merken auch an, dass die Gebühren sozial schwacher Eltern bereits teilweise übernommen würden. Besserverdienende brauchten diese Unterstützung nicht. Zustimmung erhält die SPD hingegen von Elternvertretern. Norman Heise ist Geschäftsführer der bundesweiten Kita-Elternvereinigung Bevki.
    "Weil das in der Tat eine unserer Kernforderungen ist und wir hier viele gute Möglichkeiten sehen, im Rahmen der Chancengleichheit, der Bildungszuganges und natürlich auch der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wo ja Kita eine wichtige Rolle spielt."
    Der Elternvertreter argumentiert wie die SPD, dass die Kita nicht nur eine Betreuung für Kinder sei, sondern ein wesentlicher Teil frühkindlicher Bildung. Und der solle — wie später auch die Schule — kostenlos sein. Norman Heise stört besonders, dass Eltern in Ländern und Kommunen unterschiedliche Bedingungen vorfinden.
    "Das kann dazu führen, dass, wenn man an einer Grenze wohnt, auf der einen Seite der Grenze mal zwei-, drei-, vier- oder fünfhundert Euro mehr bezahlt als 200 Meter weiter auf der anderen Seite der Landes-, Kommunen- oder Stadtgrenze. Und das ist schwer zu erklären und begründet diese Forderung: Macht es für alle kostenfrei."
    Bislang schwanken Kitagebühren in der Tat stark. Der Bund der Steuerzahler etwa hat die Gebühren in Nordrhein-Westfalen verglichen. Dabei fand er heraus, dass Eltern für die Betreuung ihrer Kinder im Krippenalter in Siegen rund 60 Euro berappen müssen, wenn sie bis zu 40.000 Euro im Jahr verdienen. Im kaum 100 Kilometer entfernten Arnsberg waren es schon gute 250 Euro. Auch Bildungsexperten sind der Ansicht, dass Familien unabhängig vom Wohnort ein ähnliches Bildungsangebot erhalten müssten. Wolfgang Tietze ist emeritierter Professor für Kleinkindpädagogik an der Freien Universität Berlin und Geschäftsführer des Bildungsinstituts Pädquis.
    "Ich glaube schon, dass es sinnvoll ist, auch unter dem Grundgesetzgebot der Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse, dass wir doch über die Republik hinweg, egal, wo ich wohne als Familie oder wo ich als kleines Kind aufwachse, dass wir vergleichbare Bedingungen haben."
    Keine einheitlichen Qualitätsstandards bisher
    Das gilt aus Tietzes Sicht allerdings vor allem für die Qualität der Bildung. Und hier ist das Problem mit der kostenlosen Kita: Nicht nur die Gebühren unterscheiden sich bundesweit, sondern auch die Qualität der Einrichtungen. Schon die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher, die für die Kinder zur Verfügung stehen, schwankt je nach Land enorm. Nur selten werden dabei die Qualitätsanforderungen von Bildungsforschern erfüllt. Das zeigt sich auch in der Kita von Carola Gliesche in Berlin.
    "Das sind die Zweijährigen und hier sind jetzt zwei Erzieherinnen in Vollzeit mit 14 Kindern."
    Sieben Kinder teilen sich eine Erzieherin. Das sind mehr als doppelt so viele wie von Bildungsexperten weitgehend einhellig empfohlen. Bei Krippenkindern soll eine Erzieherin demnach für drei Kinder zuständig sein. An diesen Wert kommt bislang aber nur Baden-Württemberg heran. Berlin hat bundesweit einen der schlechtesten Personalschlüssel. In der Hauptstadt herrscht Mangel an Erzieherinnen und Erziehern. Das liegt auch daran, dass sie hier rund 400 Euro weniger verdienen als anderswo. Annette Stein von der Bertelsmann-Stiftung fordert deshalb, erst einmal die Vergütung und auch die finanzielle Ausstattung der Kitas zu verbessern.
    "Und bei dem notwendigen Qualitätsausbau, den wir jetzt noch haben, kann Gebührenfreiheit nur ein Stück weit zulasten der Qualität gehen, denn beides in gleichem Maße zu finanzieren, würde sehr viel Geld kosten."
    Viele Eltern sind bereit, auf Beitragsfreiheit zu verzichten
    Rund 3,8 Milliarden Euro zahlen Eltern derzeit bundesweit an Beiträgen, hat eine Erhebung des Deutschen Jugendinstituts und der Technischen Universität Dortmund ergeben. Hinzu kommt eine gute halbe Milliarde an Elternbeiträgen, die jetzt schon von Ländern und Kommunen übernommen werden. Weil immer mehr Eltern ihre Kinder unter drei Jahren in die Kita bringen, dürften diese Kosten noch steigen.
    "Und es gibt ja viele Eltern, die sich so zu Wort gemeldet haben und sagen: Qualität ist uns wichtiger als die Gebührenfreiheit. Wir haben dazu im letzten Jahr eine Befragung durchgeführt und es war doch überraschend, dass über die Hälfte bereit war, auf eine Beitragsfreiheit zu verzichten oder eben sogar bereit ist, für mehr Qualität auch mehr zu zahlen."
    Die bisherige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat schon in der Qualitätsdebatte gemerkt, wie schwierig eine Einigung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist. Ihr Plan eines bundesweiten Qualitätsgesetzes scheiterte am Widerstand der Ministerpräsidenten. Vor drei Wochen konnte sie sich mit den Fachministern der Länder nun zumindest auf gemeinsame Qualitätskriterien einigen. Die sollen schrittweise Land für Land umgesetzt werden — vorausgesetzt, dass der Bund kräftig dazuzahlt.