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Spektakel trotz Debakel

Hier der Dopingskandal, dort die Jubiläumsvorbereitungen. Mit einem spektakulären Fest feierten die Organisatoren die Streckenpräsentation der 100. Ausgabe der Tour de France 2013. Doch anstatt weitreichende Aufräumarbeiten anzukündigen, gab es von einigen Seiten anerkennende Worte für den Dopingsünder Lance Armstrong.

Von Hans Woller | 28.10.2012
    Spektakuläre Videopräsentationen, atemberaubende Bilder, Worte der Superlative, Beschwörung der ewigen Bande zwischen der Tour und Frankreich: die Veranstalterfirma ASO versuchte mit allen Mitteln, sich das Fest der Präsentation der 100. Ausgabe der Tour de France nicht verderben zu lassen. Und doch schien ASO - Generaldirektor Jean Etienne Amory einen Knoten im Hals zu haben, als er -angesichts des organisierten Dopings in Armstrongs und anderen Teams- in seiner Begrüßungsrede reichlich beschönigend sagte:

    "Nicht die Dopingbekämpfung im Radsport ist in Frage gestellt, auch wenn sie ständig verbessert werden muss, sondern die Präsenz von unredlichen Personen in der Umgebung der Teams und manchmal innerhalb der Teams selbst."

    Dies sagt ein Mann, der bei ASO 2008 auf Patrice Clerc gefolgt war, welcher es mit dem Kampf gegen Doping sehr ernst gemeint und sich deswegen mit dem internationalen Radsportverband UCI jahrelang bekriegt hatte. Bis die Besitzer von ASO sich mit dem Weltradsportverband arrangierten und Patrice Clerc in die Wüste schickten. Dies war im Herbst 2008, als ein gewisser Lance Armstrong sein Comeback bei der Tour de France ankündigte.

    Im Saal des Pariser Kongresspalastes saß bei der Tourpräsentation auch Alberto Contador. Der spanische Radprofi und Dopingsünder. Ihm fiel nichts Besseres ein, als Lance Armstrong zu verteidigen:

    "Lance war derjenige, der mir Lust gemacht hat, Radrennfahrer zu werden. Was jetzt passiert, ist sehr kompliziert. Ich denke, er wird gelyncht."

    Damit trat er in die Fußstapfen des fünfmaligen Toursiegers Indurain, der Armstrong nach wie vor für unschuldig hält oder des großen Eddy Merckx, der die ehemaligen Teamgefährten Armstrongs angriff, welche über die langjährige Dopingpraxis des ehemaligen Radstars ausgepackt hatten. Nicht zu vergessen Ex-Profi Laurent Jalabert, seit Jahren Tour de France Co-Kommentator des französischen Fernsehens. Für ihn bleibt Armstrong ein "großer Champion".
    Dies alles passte nicht zum flammenden Anti-Doping Aufruf, den Tour-Chef Prudhomme an die Radsportwelt richtete. Er, der 2009 Armstrongs Comeback noch begrüßt hatte:

    "Die Tour de France wird sich als stärker erweisen als das Doping. Stärker als die Betrügereien, die auch auf andere Sportarten übergreifen. Das Doping ist der Feind.
    Beim bereits begonnenen Wiederaufbau, der die gesamte Welt des Radsports betrifft, haben die Manager eine wesentliche Rolle zu spielen. Sie geben die Richtung vor und sie müssen im wahrsten Sinn des Wortes ein Schutzwall sein."

    Es ist nicht leicht für Prudhomme, die Jubiläumsausgabe der Tour zu organisieren, wenn der internationale Radsportverband jetzt auch noch beschlossen hat, dass es im Klassement des Rennens, das er veranstaltet, in den sieben Armstrong-Jahren keinen Sieger gibt. Weil man etwa bei der Tour 2000 bis zum 8. Platz hätte hinabsteigen müssen, um einen Fahrer zu finden, der nie in eine Dopingaffäre verwickelt war.

    Angesichts des Bebens im Radsport werden nicht nur in Frankreich Stimmen laut, die einen völligen Neubeginn fordern. Dazu gehört der wiederholte Aufruf - besonders scharf formuliert von Greg LeMond - die gesamte UCI-Spitze und Pat McQuaid sollten zurücktreten. Oder auch das "Manifest für eine tiefgreifende Reform des Radsports", das gestern in fünf europäischen Tages- und Sportzeitungen erschien. Wie schon nach der Festina-Affäre wird in Frankreich dieser Tage erneut die Frage gestellt, ob man für einen Neubeginn die Tour de France nicht zunächst für ein Jahr schlicht aussetzen sollte. Ob er daran schon gedacht habe, wurde Tour Chef Prudhomme gefragt:

    "Nicht eine Sekunde, nicht eine Sekunde. Wenn es eine Definition der Tour de France gibt, dann die: 3500 Kilometer Lächeln. Sie ist ein Ereignis, sie ist unser Kulturgut, man muss sie lieben und sie verteidigen. Nur die Weltkriege haben die Tour de France stoppen können."

    Das Erdbeben im Radsport geht inzwischen weit über den Fall Armstrong hinaus. Marc Madiot, Manager von "Francaise des Jeux" sagt, wenn man im anstehenden Verfahren in Padua gegen den Dopingarzt Ferrari und ein ganzes Dopingnetzwerk, sowie in der Blutdoping-Affäre Puerto jetzt nicht wirklich bis ans Ende gehe, werde der Radsport sich schon bald wieder in derselben Situation befinden, wie bisher.

    In Frankreich könnte Armstrongs Sturz sogar noch einen politischen Skandal nach sich ziehen. Ex-Präsident Sarkozy hat aus seiner Nähe zu ihm nie einen Hehl gemacht und den Texaner 2009 gar im Elysée empfangen. Damals soll Armstrong den Kopf des Präsidenten der französischen Anti Doping Agentur, Pierre Bordry, gefordert haben. De facto hat er ihn auch bekommen. Der Anti Doping Agentur wurden danach die Hälfte der Mittel gestrichen, Pierre Bordry trat zurück. Der Betroffene sagte dazu letzte Woche:

    "Der Präsident der Republik ist frei zu tun, was er will. Ich war aber schon ein wenig erstaunt, als Armstrong nach einem Essen mit ihm erklärt hatte, dass er vom Präsidenten der Republik meine Entlassung gefordert hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein französischer Sportler mit Präsident Obama speist und ihm sagt: ich mache Sport in den USA und möchte, dass sie den Präsidenten der amerikanischen Anti Doping Agentur nach Hause schicken."

    Und 2005, bei Armstrongs siebtem Gesamtsieg, warteten am zweiten Ruhetag der Tour Dopingfahnder und zwei Journalisten von Le Monde versteckt vor dem Team-Hotel Armstrongs auf einen Mann mit einer blauen Kühltruhe, der Blutkonserven liefern sollte. Bis die Beamten einen Anruf und den Befehl erhielten, die Aktion abzubrechen. Damals war Nicolas Sarkozy französischer Innenminister.