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Spekulation mit Wohnheimplätzen

Für Studierende ist die Wohnungsknappheit in Hochschulstädten ein Riesenproblem, für Immobilienfirmen ist sie ein Riesengeschäft. Studentenwohnungen werden als Geldanlage und Spekulationsobjekt populär. Die Leidtragenden sind die Studierenden. Beispiel München.

Von Susanne Lettenbauer | 25.11.2011
    Das Studentenwohnheim an der Münchner Knorrstrasse ist nichts Besonderes. Fünf Stockwerke, viele kleine Fenster, im Hinterhof Unmengen an Fahrräder. Im Flur die Nummer vom Hausmeister und vom Studentenwerk, dem Noch-Betreiber. In wenigen Monaten wird das Haus leer stehen, alle 100 Studierenden müssen raus:

    "Ich war jetzt im Sommer schon aus einem anderen Wohnheim ausgezogen, weil das geschlossen wurde, ein katholisches Wohnheim, wegen Geldmangel. Ich bin mal gespannt auf nächstes Jahr."

    "Wenn man sieht, wie viele Leute hier wohnen, ist die Zeit zu kurz, um jetzt Wohnungen finden zu lassen für die Menge an Leuten."

    "Ich finde das negativ, auf jeden Fall. Erstens verlieren wir diese Wohnplätze, dann weiß ich nicht, was wir kriegen, wo und wann. Hier ist es von der U-Bahn nicht so weit. Auf jeden Fall negativ."

    Auf den langen, schmalen Fluren hat sich Resignation breitgemacht. Viele der Studierenden waren im September froh gewesen, als Erstsemester einen Wohnheimplatz ergattert zu haben. Eine eigene Bude und das nicht auf Flur zwei, wo ein großer Zettel prangt: "Notunterkünfte 1-3" für bis zu acht Personen pro Zimmer.

    Der plötzliche Rauswurf hat bei den Studierenden viele Fragen aufkommen lassen: wohin jetzt in München, das 40.000 Studis mehr im Herbst aufnehmen musste? Wie weit ist später der Weg zur Uni? Dass es nur teurer werden kann, daran zweifeln diese Studenten im Erstsemester nicht:

    "Es ist doch eigentlich eine sichere Übergabe von Mietern. Warum er uns hier raus haben will, verstehe ich nicht. Was will er mit einem leeren Haus ohne Einnahmen? Das wird doch sicher nichtbillig gewesen sein das Haus. Hier gibt's sichere Einnahmen von Studenten, die eventuell BAföG beziehen, das ist immer sicher. Da ist die Frage, was da besser ist."

    In der örtlichen Zeitung äußert sich der neue Eigentümer, die Leipziger Vicus AG beschwichtigend. Die Studentenwohnungen blieben erhalten, sagt der Chef Michael Klemmer. Davon wissen die betroffenen Studenten nichts. Auch das Studentenwerk München nicht. Sprecher Ingo Wachendorfer ist verärgert, dass ihm ausgerechnet im doppelten Abiturjahrgang nicht nur in der Knorrstraße, sondern auch eine Anlage in der benachbarten Kantstraße gekündigt wurde:

    "In dem Fall war es ein Sonderkündigungsrecht. Es ist so, dass diese Wohnanlage schon zweimal weiterveräußert wurde, aber das haben wir nicht in der Hand, wir sind ja nur die Vermieter. Und wenn der uns kündigt, müssen wir das so hinnehmen, ja. Wir haben versucht da Kontakt aufzunehmen und zu bewirken, dass die Studierenden da wohnen bleiben können, aber das scheiterte schlicht daran, dass wir nicht richtig in Kontakt gekommen sind."

    Natürlich könnten die Eigentümer ihre Immobilien verkaufen, sagt das Studentenwerk. Auch die Studierenden sehen das so. Doch der Trend ist klar: Das Studentenwerk München, das für gut 100.000 Studierende rund 10.000 Wohnplätze vorhält, muss bei dem Kampf um neue Immobilien und Grundstücke mit immer mehr kommerziellen Anbietern für Studibuden konkurrieren. So besitzt der Neueigentümer der Knorrstrasse, die Vicus AG über die Tochtergesellschaft "My Starthome" bereits gut 300 Einheiten in Nürnberg. Die Ott-Investment AG aus Oberfranken bietet auf ihrer Webseite Studentenwohnheime unter anderem in Leipzig, Bonn und Nürnberg an. Die steuerliche Abschreibung wird mit sieben bis neun Prozent p.a. beziffert. Die Rendite mit sechs Prozent. Eine zehnjährige Mietgarantie sei möglich heißt es zum Beispiel bei einer Anlage in München-Garching.

    Mit loungigen Werbevideos auf Youtube werden den Kapitalanlegern der Vicus AG die hohe Zahl an Studierenden in München präsentiert. Dass in diesem Jahr dreimal so viele Studenten wie Wohnungen in München vorhanden sind. Dass fünf Prozent Rendite drin wären. Eine Top-Mietnachfrage.

    Ingo Wachendorfer von dem gemeinnützig arbeitenden Studentenwerk wartet erstmal ab:

    "Es gibt sicherlich eine gewisse Klientel, die genug Geld hat, um sich so eine Luxuswohnung zu leisten. Aber alle, die sich das nicht leisten können, wird er da auch nicht gewinnen können. Weiss ich nicht, ob sich das wirklich rentiert. Wird man sehen, ob diese Anbieter wirklich die Bude voll kriegen."

    Für Investoren seien Studentenwohnungen eine sichere Anlage. Probleme mit den Mieteinnahmen gebe es kaum. "Dafür stehen in den meisten Fällen die Eltern gerade", heißt es aus der Erlanger Bauträger- und Immobiliengesellschaft Sontowski und Partner.

    Die Statistik des Studentenwerks zeigt: Viele Studierende haben rund 700 Euro im Monat zur Verfügung. Dass jetzt Kapitalanleger die Preise in die Höhe treiben und aus der Not der jungen Leute Profit schlagen wollen, ärgert diese Bewohnerin der Knorrstrasse:

    "Ich bin doch Studentin, die haben sowieso kein Geld, im Kühlschrank sieht es echt mau aus, ich gehe jetzt arbeiten, da bin ich sehr froh drum, sonst könnte ich mir gar nichts leisten."

    80 Euro verteilt das Münchner Studentenwerk jetzt pro Student und Umzug, damit wenigstens dort kein Engpass entsteht. Bis kommende Woche können sich die Bewohner der Knorrstrasse um neue Wohnheimplätze bewerben. Sie würden bevorzugt behandelt heißt es. Derzeit stehen rund 1500 Wohnungssuchende auf der Warteliste des Studentenwerks.