Archiv


Sperrig und voller Rätsel

Auch wenn die Musiker von Depeche Mode langsam alt werden - von Nostalgie ist auf ihrem dreizehnten Album nichts zu hören. Stattdessen viel Schmerz und Beschäftigung mit der gegenwärtigen Popkultur. Sie erfinden keine neuen Trends mehr, aber sie haben der Retromania einiges hinzuzufügen.

Von Anja Reinhardt |
    Die Mitglieder von Depeche Mode mögen langsam alt werden, altmodisch sind sie deswegen nicht. Ihre Musik ist nie nostalgisch und das kann man nicht über viele Bands sagen, die mehrere Jahrzehnte produktiv waren. Aber Depeche Mode stehen für eine Art von Popkultur, die ausstirbt. Deswegen ist es auch schwierig, ein Depeche Mode-Album unter rein musikalischen Aspekten zu beurteilen. Denn dafür steht die Band viel zu sehr für ein bestimmtes Bild, von dem es zwar Variationen gibt, das aber in der Aussage immer gleich geblieben ist. Martin Gore, Dave Gahan und Andy Fletcher stehen für das Mystische in der Popkultur, für das Quantum mehr, dass eine Band noch im letzten Jahrhundert umgeben hat und das sie für die Fans eben nicht nur musikalisch interessant machte. Daran sind natürlich auch die Bilder des Fotografen Anton Corbjin schuld, der, wie schon bei Joy Division, nicht das Strahlende, sondern eher den Schatten, das Abgründige ins Zentrum rückte.

    Dieser Mythos umgibt Depeche Mode bis heute und läuft auf einer imaginären Tonspur bei jedem neuen Album mit. Genauso wie die durchaus dramatische Bandhistorie: der zweiminütige klinische Tod des Sängers, seine Krebserkrankung, das Reiben der dominanten Charaktere Gore und Gahan am jeweils anderen, das Spiel mit Genderidentitäten. In der Popmusik sind solche Biographien heute kaum noch möglich, was alleine schon mit der Tatsache zusammenhängt, dass Musiker moralisch ganz anders bewertet werden. Das kann man sehr gut daran ablesen, dass ein altersgemäßes Danebenbenehmen bei dem 19-jährigen Superstar Justin Bieber weltweit zum Aufreger wird. Es gab mal eine Zeit, da wurde von Künstlern erwartet, dass sie die Mitte der Gesellschaft verlassen und sich seelisch und körperlich und auf Kosten ihrer Gesundheit verausgaben. Aber, wir wollen ja nicht nostalgisch werden.

    Nun also Delta Machine, ein etwas schwammiger Titel. Klar, die Maschine als ideologischer Referenzanker begleitet die Band schon länger, wenn auch eher visuell. Was das Delta im Titel zu bedeuten hat, darüber kann man fröhlich spekulieren. Etwas Mathematisches? Wissenschaftliches? Die Band als Trio? Oder sah es auf dem Plattencover einfach gut aus, Dreiecke graphisch in den Bandnamen und den Albumtitel einzubinden? Das Rätselhafte ist nun mal Teil des Depeche Mode-Kosmos. Dave Gahan klärt zwar kurz auf:

    "Delta kommt von Delta-Blues und ‚machine’ deswegen, weil wir mit Maschinen den Blues interpretieren."

    Aber der Delta-Blues ist nur mit viel Wohlwollen auf dem Album herauszuhören. Der Sound auf Delta Machine ist nämlich bisweilen ebenfalls ein wenig verrätselt, Martin Gore und Dave Gahan arbeiten sich an kalten Sounds und sperrigen Texten ab, die Songs zerfasern und finden dann doch wieder zurück in einen kühlen Rhythmus, der sicherlich sehr typisch für Depeche Mode ist, mehr als einmal aber auch an Noise à la Nine Inch Nails erinnert. Aber auch an den Arthouse-Synthiepop von The Knife.

    Was tatsächlich fehlt bei der ganzen Fülle von oft guten, manchmal aber auch ein wenig angestrengten Ideen und Frickeleien: die Melodie. Und zwar bei mindestens der Hälfte der Songs. Aber das ist 2013 eben kein Makel mehr, es spiegelt vielmehr eine Tendenz in der Popmusik, die es schon seit ein paar Jahren gibt, die allerdings eher im Post-HopHip-Genre auftritt. Rihanna hat es geschafft, mit sehr vielen Stücken, die absolut keine klassischen Harmonien aufzuweisen hatten, in sehr vielen Ländern an der Spitze der Charts zu stehen. Selbiges gilt, vielleicht nicht ganz so erfolgreich, für Künstler wie die späteren Songs von Beyoncé, Stücke von Snoop Dogg oder Justin Timberlake. Vielleicht ist das ein Paradigma unserer pop- und hitgesättigten westlichen Welt, dass die Melodie eben auch nicht mehr den Stellenwert hat, wie noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Vielleicht funktioniert Pop abseits des schnell produzierten und am Reißbrett entworfenen Hits nur noch als Dekonstruktion oder Noise.

    Was sagt das nun über "Delta Machine", über die Qualität des dreizehnten Albums von Depeche Mode aus? Martin Gore, Dave Gahan und mit Einschränkungen auch Andrew Fletcher bewegen sich im Hier und Jetzt, "Delta Machine" ist nicht einfach ein dahingerotztes Album, das eine weltweite Megalomania-Tour bewirbt. Dafür steckt hörbar zu viel Schmerz, zu viel Reflektion und Beschäftigung mit der gegenwärtigen Popkultur in den Stücken. Es gibt kein wirklich schlechtes Stück auf "Delta Machine", aber auch keinen Stadionhit wie sie ihn zuletzt auf "Playing The Angel" mit "Precious" geschaffen haben. Vielleicht verweigern sie sich mit ihrem durchaus sperrigen dreizehnten Album im Sinne von "Everything Counts" dem kapitalistischen System Musikindustrie – wobei sie es sich eben auch leisten können. Depeche Mode erfinden keine Trends mehr und retten ganz sicher auch nicht die Popmusik, aber sie haben der Retromania im Pop sehr viel hinzuzufügen. So viel, dass die relevanter sind als die meisten Bands, die sich im System des Mainstream Pop bewegen.