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Sperrmüll mit Goldrand und Federboa

Das Schneller-Höher-Weiter der großen Häuser ist mit der Finanzkrise zum Halten gekommen. Und man hat wieder den Blick, auch auf die kleineren Institute zu schauen. Auf das Ernst Barlach Haus im Hamburger Westen zum Beispiel, das immer wieder mit großartigen Ausstellungen überrascht. So auch jetzt wieder mit einer Werkschau Michael Buthes.

Von Rainer B. Schossig |
    Solche Collage- und Zeichenblätter hat man lange nicht gesehen; sie kommen schon fast wie aus anderer Zeit: Spinnwebfein gezeichnete Linien, die sich hier zu Labyrinthen verschlingen, dort in Punktwirbeln verlieren, sodass man vielleicht den stark vergrößerten Querschnitt durchs Rückenmark einer Stubenfliege vor sich hat. Oder gelblich verblichene Leisten und Winkel, verschattet durch Taubengraue Schraffuren und Fäden, aber warum sieht das Ganze schließlich so aus wie ein alter Feuerhaken? Oder fünf Wellpappe-Finger, die sich zu einer gestikulierenden Hand vor grauem Liniengespinst spreizen. Federfeine Herzknäuel und bröselnde Kohlefragmente liegen einträchtig beisammen. Das sind Klebebilder aus einer bisher unveröffentlichten Mappe von Michael Buthe. Entstanden in den 70er Jahren, lagen sie lange in der Schublade eines Privatsammlers. Jetzt werden sie zum ersten Mal gezeigt; im Zentrum einer Ausstellung mit hybriden Schaustücken des 1994 viel zu früh verstorbenen Künstlers Michael Buthe. Der Leiter des Ernst Barlach Hauses im Hamburger Jenischpark, Karsten Müller, hat sie aus disparaten Quellen zusammengestellt, ziemlich antizyklisch:

    "Weil viele ja denken: 70er-Jahre, Hippie-Typ, hat sich überlebt, aber ich glaube es sind Aspekte drin, gerade was die Freiheit im Umgang mit Materialien angeht, die man entdecken kann."

    Michael Buthes Materialien! Seine Collagen wachsen sich aus zu veritablen Wand- und Boden-Objekten, Stelen, kleinen und großen Landschaften nicht nur aus Papier und Pappe, sondern auch aus zerschlissenen, liebevoll wieder zusammengenähten Seidentüchern, verschnitten mit Federboas, verrosteten Blecheimern und getrockneten Rosenblättern. Marokkanische Tabletts, Palmwedel und fromme katholische Votiv- und Heiligenbildchen kontrastieren kokett mit eitlen Silber-Pailletten. Fragile Objekte, die scheinbar nur durch etwas Gummi-Arabicum, Gold-Bronze und Wachs zusammengehalten werden. Dies alles wirkte rührend verblichen, hoffnungslos analog, wenn da nicht zwischendurch immer wieder etwas aufleuchtete, als sei es eben erst vom Künstler erfunden und zusammengebracht worden. Diese hellwache Intelligenz, mit ironischem Unterton bewahrt Buthes Kunst bis heute davor, als schlicht nostalgisch abgetan zu werden:

    "Es sind noch genug Alltagsfundstücke in seinen Bildern drin, um uns zu verankern in seiner Kunst, zusammen mit einer sehr subjektiven Bildsprache, die gleichzeitig versucht, den Überschlag ins Universelle zu schaffen."

    Buthe hatte in den 70er-Jahren in seinem Kölner Atelier - verteilt in einer Zimmerflucht durch mehrere Mietwohnungen hindurch - ein solches universell-historisches Gesamtkunstwerk geschaffen: Seine private "Echnaton"-Kult-Kammer, ein kaum zu durchdringendes Dickicht von Sperrmüll und Fundstücken, dazu Sonnenscheiben aus Rosenblättern, schwer bestickte Portieren, hybride maghrebinische Totemfiguren. Eine Reihe dieser absurden zugleich feminin-wohnlichen dreidimensionalen Devotionalien Buthes schmücken jetzt die nüchternen Schauräume, den Patio, besetzen also prominente Orte des Barlach-Hauses. Ein Kontrastprogramm zur skulpturalen Sprache des Hausheiligen?

    "Also, es wird nicht als Antiprogramm wahrgenommen, sondern als etwas, was das Haus auf adäquate Weise füllen kann. Auch mit einer gewissen Spiritualität, die Buthe gesucht hat in Schwarzafrika, im Maghreb. Eine Art Befreiung auch für Barlach, der immer noch unter dem Verdikt des Christlichen steht, obwohl er selbst von sich behauptete: Ich bin viel Christ, viel Buddhist, viel Heide und vieles sonst."

    Kampf der Kulturen? Das war des Kultur-Nomaden Michael Buthes Sache nicht. Die überlebensgroße Collage "Der Engel und sein Schatten" zeigt zwei Silhouetten im Widerstreit: Eine silbrig-weiße und eine samt-dunkle Gestalt treffen in einem Nebel aufeinander. Da fliegen die Fetzen. Aber der Konflikt gebiert keine Monster, sondern ein Feuerwerk goldener Girlanden, schimmernder Lianen, züngelnder Gewächse aus reinem Licht. Eine Allegorie der Aufklärung?