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Sperrzone Deponiebecken

Umwelt. - Der Ort Kolontar steht für die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Ungarns. Am 4. Oktober vergangenen Jahres brach der Damm eines Aluminiumwerkes in Ajka, 30 Kilometer nordwestlich des Plattensees. Rund eine Million Kubikmeter ätzender, schwermetallhaltiger Schlamm überflutete daraufhin einen rund 40 Quadratkilometer großen Landstrich - unter anderem die Ortschaften Kolontar und Devecser. 10 Menschen starben, 100 wurden verletzt. Auch neun Monate später ist ein Ende der Aufräumarbeiten nicht in Sicht.

Von Bernd Amann |
    Wer an Kolontar nur mit dem Auto vorbeifährt, sieht kaum noch, welche Katastrophe sich dort vergangenen Oktober ereignete. Nur die roten Farbränder an den Häuserfassaden erinnern noch daran, wie hoch die giftige Bauxit-Lauge stand. Knapp acht Monate danach wächst auf den Feldern wieder Gras. Nur einige Bagger stören die vermeintliche Idylle. Der meiste Schlamm wurde mittlerweile abgebaggert, versichert der örtliche Vertreter der Regierungspartei Fidesz, Jozsef Ekes:

    "Sehen Sie, vom Rotschlamm ist hier nicht mehr viel geblieben. Die Ländereien hier am Damm sind fast alle wieder grün. Dieser Anblick ist einfach wunderbar."

    Je näher man dem geborstenen Damm aber kommt, desto mehr wird von der Katastrophe sichtbar. Die Ödnis nach der Schlammkatastrophe fängt gleich hinter dem Bürgermeisteramt von Kolontar an, etwa zwei Kilometer vom Damm entfernt. Hier beginnt die Sperrzone. Ein rotes Schild verbietet die Weiterfahrt. In unmittelbarer Nähe des geborstenen Damms, haben sich Schlamm und Steine zu einer roten, rissigen Mondlandschaft vermischt. LKW fahren in die Sperrzone, bringen jeden Tag noch ungefähr 5000 Kubikmeter getrockneten Giftschlamm aus den überschwemmten Gebieten dahin, wo er herkam: Zum Aluminiumwerk. Zusammen mit verseuchten Häuserresten kippen die LKW den Schlamm in ein intaktes Becken der Anlage. Später soll alles mit Erde bedeckt und bepflanzt werden. So wollen die Behörden verhindern, dass der Wind die Giftstoffe wieder verteilt. Viele der intakten Dämme der Anlage wurden mittlerweile verstärkt, bei starkem Regen soll durch Sicherheitsventile Wasser kontrolliert abgelassen werden, damit der Druck auf die Dämme nicht zu sehr steigen kann. Zu hoher Druck war nach Vermutungen von Experten der Hauptgrund dafür, dass im vergangenen Oktober der Damm brach. Die Regierung habe also durchaus gehandelt, so der Vertreter der Regierungspartei Fidesz, Jozsef Ekes:

    "Die Wahrheit ist, das doppelte Damm-System wurde ausgebaut, und eine automatische Entwässerungsstation errichtet, die das Sickerwasser auf eventuell erhöhte Werte misst, und dann umgehend normalisiert."

    Die Betreiberfirma hat ihre Produktion mittlerweile auf Trockentechnologie umgestellt. Der giftige Schlamm wird dabei vor der Lagerung entwässert. Greenpeace attestiert den Betreibern, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Und was ist mit dem roten Staub, der überall über die Felder und Straßen weht? Er soll nur noch minimale Giftstoffe enthalten, behaupten die Behörden und auch Greenpeace sieht das so. Schlechter sieht es mit der Wasserqualität aus, das Flüsschen Torna bleibt auf Jahre hinaus verseucht. Der zweite Bürgermeister von Kolontar, Jäno Torma, versucht optimistisch zu sein, auch wenn er den offiziellen Messergebnissen - wie viele hier - nicht so recht traut:

    "Sicher ist das Fragezeichen groß - denn nicht einmal die Wissenschaft kann mit Sicherheit sagen, welche Auswirkungen die Katastrophe später haben wird, wie es später aussieht. Wir können nur hoffen."

    Torma erzählt auch, wie wichtig das Aluminiumwerk in Ajka ist, dass knapp 6000 Menschen vom Werk leben, und wie er sich freue, dass es bleibt. Am Rande von Kolontar und der Nachbargemeinde Devecser hat die Regierung rund 100 Einfamilienhäuser bauen lassen, aber nicht alle Überlebenden der Katastrophe wollten bleiben. Obwohl der Bürgermeister von Devecser, Tamas Toldi, immer wieder betonte, dass für die Bewohner keine Gefahr mehr besteht, kehrten viele seinem Ort den Rücken, die Grundstückspreise sind bereits um ein Viertel gefallen:

    "Hier sind viele Häuser zu verkaufen. Aus Angst sind viele Bürger weggezogen. Das sind bislang bereits rund 300 Menschen. Und wir wissen nicht, ob wir diesen Prozess stoppen können."

    Der Bürgermeister von Devecser blickt in eine ungewisse Zukunft, dabei dürfte das nahe Aluminiumwerk mittlerweile das am besten kontrollierte in ganz Ungarn sein. Greenpeace verweist darauf, dass in Osteuropa noch Dutzende Giftbecken lauern, die weit gefährlicher sind, als das von Kolontar jemals war.